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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

„Wie könnt’ ich sagen, daß ich nicht glaubte, Sie vermöchten das,“ unterbrach ihn rasch Melusine, „da ich nicht das Mindeste von all’ den schönen und achtungswerthen Künsten verstehe, in deren Besitz ehrgeizige junge Helden Ihrer Art sich unüberwindlich fühlen!“

Es lag etwas Gereiztes, Heftiges in den Antworten Melusinens, was Ulrich nicht entging und ihm eine gewisse Freude zu machen schien.

„O, fordern Sie diese Künste nicht so ironisch heraus!“ rief er übermüthig. Dieser Uebermuth aber schien Melusine vollständig zu empören.

„Weshalb nicht?“ antwortete sie mit flammender Zornesröthe. „Es scheint mir nicht, daß es schaden könnte, wenn diese Künste einen Lehrer bekämen!“

„Wünschen Sie das? Reden Sie: wünschen Sie, diese Lehre geben zu können? Sie müssen wissen, daß in mir kein größeres Verlangen ist, als alle Ihre Wünsche möglichst bald erfüllt zu sehen, und deshalb …“

„Sie machen doch meine Tochter gar zu verlegen, Herr Graf,“ fiel hier der Vicomte, seine innerliche Entrüstung unter dem sanftesten und mildesten Tone bergend, ein, während er nach einem kurzen Blick in Melusinens erröthende Züge sehr ernst den Grafen ansah. „Sie machen meine Tochter doch gar zu verlegen durch solche Neckereien.“

„Ich bin tausend Meilen weit davon entfernt, mir herauszunehmen, sie necken zu wollen,“ entgegnete rasch einfallend Graf Ulrich. „Was ich sagte, war mein voller Ernst – ich möchte alle Ihre Wünsche so rasch erfüllt sehen, wie ohne Zweifel der erfüllt werden würde, von dem eben die Rede ist – gesetzt, ich ginge darauf aus, Ihre Eroberung … aber ach,“ unterbrach er plötzlich seine Rede, „ich sehe, ich gerathe durch dies Alles bei Ihnen in die tiefste Ungnade. Enden wir es, – es sei denn, Sie wollten wirklich meine Betheuerung auf die Probe stellen. Und warum wollten Sie es nicht? Geben Sie mir einen Befehl, nennen Sie einen Wunsch, den ausschweifendsten, den Sie wollen, und Sie werden sehen, daß ich ihn erfülle – das Schwierigste, das Unmöglichste …“

Melusine, die mit seinen Reden gründlich zu ärgern Graf Ulrich, wie es schien, eine eigenthümliche Gabe hatte, versetzte bitter, in höchst ironischem Tone: „Wohl denn, so lassen Sie sehen, was solche Rodomontaden werth sind – so thun Sie etwas Unmögliches …“

„Ich brauche nur zu wissen, daß Sie es wünschen. Geben Sie es an! Wir haben keine Felsen, von denen ich Blumen für Sie holen, kein Meer, aus dem ich Ihnen Perlen bringen kann, also überlass’ ich es Ihrer Phantasie …“

„Gut denn,“ rief spöttisch und boshaft Melusine aus, „so stehlen Sie Ihrem edlen Großherzog Murat seinen Säbel, mit dem er so breitspurig klirrt und rasselt, und legen ihn mir morgen als Huldigung zu Füßen; ich will Ihnen dann glauben, daß Sie Wunder thun können.“

„Pest!“ sagte Graf Ulrich lachend … „das ist freilich eine halsbrechende Aufgabe! Und gleich morgen wollen Sie ihn? Doch, Sie sollen ihn haben!“

Melusine zuckte die Schultern, der Vicomte aber fiel ein: „Ach, Ihr seid Kinder, Du sowohl, wie unser verehrter Wirth und Gönner; kehren wir zu unserem Thema zurück, zu jener verschollenen Verwandten! Hätten Sie gar keine Mittel, der Sache auf den Grund zu kommen, Herr Graf? Giebt es unter den Beamten dieser Herrschaft, unter den älteren Einwohnern des Dorfes nicht Leute, die Anhaltpunkte geben könnten, an welche sich Nachforschungen knüpfen ließen? Der verstorbene Graf Walram muß doch Menschen gehabt haben, die ihm näher standen, als andere, denen er Vertrauen schenkte; man müßte sie ausfindig machen … ich selbst bin gern erbötig, mich zu erkundigen, um Sie zu unterstützen, die Angelegenheit klar zu stellen …“

„Sie sind sehr gütig, Herr Vicomte,“ antwortete Graf Ulrich zerstreut und, wie es schien, nichts von dem auffallenden Eifer des Vicomte, über die Sache Licht zu bekommen, bemerkend. Doch fügte er nach einer Pause hinzu: „Das Nächstliegende ist, daß ich Frau Wehrangel ausforsche; ich bin überzeugt, daß, wenn irgend Jemand, Frau Wehrangel mir Aufschluß geben kann, wenn sie will.“

„Will? o, es ist ihre Pflicht, zu reden, wenn sie etwas darüber mitzutheilen hat,“ sagte der Vicomte ganz erhitzt „Die Frau muß wissen, was davon für Sie abhängt, und wenn sie es nicht weiß, so ist es doch sehr leicht, es ihr begreiflich zu machen!“

„Sie haben Recht, Herr Vicomte,“ entgegnete Graf Ulrich, „ich werde noch heute in ihren Thurm hinaufgehen und mit ihr reden. Joseph, geh’ hinüber und kündige der Frau Wehrangel meinen Besuch an!“

Der Graf bat Melusine mit einem fragenden Blick, die Tafel aufheben zu dürfen, und stand auf. Er verabschiedete sich bald darauf von seinen Gästen, ohne auf seinen Vorsatz, sie im Walde und auf seiner Herrschaft umherführen zu wollen, zurückzukommen. –

„Der Mensch ist zu, zu übermüthig und roh,“ sagte der Vicomte verdrießlich, als Graf Ulrich gegangen war, zu seiner Tochter. „Du thust Unrecht, ihm so die Stirn bieten zu wollen, Du solltest vorziehen, ihn reden zu lassen, was er mag.“

Melusine schwieg; sie sagte sich, was ihr Vater ihr bemerkt, ja selber; aber es war etwas in ihr, was stärker war als sie, sie konnte nicht schweigen ihm gegenüber; noch niemals hatten Reden, die doch nur die thörichten und vermessenen Worte eines übermüthigen jungen Mannes waren, sie so innerlich gereizt und gezwungen, ihnen den Widerpart zu halten; als ob dies nicht die unnützeste, thörichtste Anstrengung von der Welt gewesen!

„Und welch’ grenzenloser Leichtsinn es ist,“ fuhr der Vicomte fort, „sich gar nicht nach den eigentlichen Bedingungen umzusehen, unter denen er dies Erbe hier angetreten hat! Es wäre ja schrecklich, wenn gar noch jene Verwandte des alten Grafen Walram lebte, wenn sie eines Tages plötzlich auftauchte …“

„Ach, wie wäre das zu befürchten!“ sagte Melusine. „Wenn sie unter den Lebenden wäre, sie hätte sich sicherlich längst gemeldet –“

„Bist Du dessen so gewiß? Es sind seit des Grafen Tode erst Monate verflossen, nicht mehr. Ist es nicht möglich, daß, wenn sie lebt, sie an irgend einem Orte lebt, wo die Nachricht dieses Todes noch nicht bis zu ihr gedrungen ist? Es wäre auch für uns ein entsetzlicher Querstrich …“

„Weshalb, mein Vater?“ versetzte Melusine ihn groß anschauend. „Es wäre für uns auch beruhigend. Wir, die wir unser Recht als eine Sache betrachten, welche wir die Pflicht haben zu vertheidigen, müssen auch bereitwillig weichen, wenn ein Anderer ein besseres vertheidigt, und müssen vollständig damit einverstanden sein!“

„Aber wir dürfen beklagen, daß nicht unser Recht das bessere ist!“

„Mag sein! Mir würde, hoffe ich, die Klage nicht sehr tief aus dem Herzen kommen“ entgegnete Melusine.




11.

Am Nachmittage hatte Melusine ihrem Vater vorgeschlagen, zusammen einen Spaziergang durch das Dorf und die Gegend zu machen; als der Abend herabsank, kehrten Beide heim, und während der Vicomte sich in’s Haus begab, wandte sich Melusine der Terrasse unter den Kastanien hinter dem Schlosse zu, um sich da in der milden und lauen Abendluft eine Weile allein ihren Gedanken zu überlassen.

Sie setzte sich auf eine Steinbank, aber sie blieb nicht lange allein. Sie sah den Grafen Ulrich aus der Thür, welche in den Thurm führte, kommen … er kam also erst jetzt von seiner Unterredung mit Frau Wehrangel zurück. Diese Unterredung mußte für ihn keinen sehr beruhigenden Inhalt gehabt haben, denn er ging gegen seine Gewohnheit langsam, das Haupt zu Boden gesenkt, die Hände auf dem Rücken gekreuzt. Als er Melusine wahrnahm, kam er rasch auf diese zu.

„Sie haben die Frau Wehrangel gesprochen und haben Mittheilungen von dieser erhalten?“ fragte Melusine.

„In der That,“ versetzte er, sich neben der jungen Dame niederlassend.

„Sie konnte Ihnen Aufklärungen geben, die, wie es scheint, sehr ernster Natur waren?“

Graf Ulrich antwortete nicht gleich, er kaute auf seiner Unterlippe; dann fragte er plötzlich brüsk: „Sagen Sie mir, ist Ihnen ein Mann bekannt, welcher Lohoff heißt?“

„Lohoff,“ versetzte Melusine nachdenklich, „– Lohoff – der Name tönt mir allerdings bekannt …“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 498. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_498.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)