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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Ja wohl, wie der Wurm! Der Inspector hat ganz Recht gehabt, ich bin einer – ein nichtsnutziger Beißwurm, der nur Schaden anrichten kann, dem’s nit anders gehört, als daß er zertreten wird! … Ich habe so Viele unglücklich gemacht und mit ihnen mich selbst; ich bin meiner Tochter im Weg’, ohne mich könnt’ sie glücklich sein! Ich gehöre nicht herein in die Welt … und ich will auch nicht mehr bleiben, ich will hinaus! Hinaus!“ rief er wieder, und der Ruf ging in einen wilden Schrei über, in welchem Wuth und Freude grausig zusammenklangen; es war eine Art grüßender Erwiderung auf das Rasseln und Schnauben des Dampfwagens, das aus geringer Entfernung hörbar wurde. „Bist Du da?“ schrie er wie außer sich. „Rufe mir nur, ich lasse nicht auf mich warten. ... Da bin ich – da!“ Mit gräßlichem Aufjauchzen flog er den Abhang neben dem Steinbruch hinab, in wenig Augenblicken stand er auf den Schienen und heulte der heranstürmenden Maschine seine Flüche und Verwünschungen entgegen. …

Schon war sie ganz nahe, als plötzlich im letzten entscheidenden Moment ein starker Arm den Wahnsinnigen faßte und bei Seite riß: es war der Falkner’s, der eben aus dem Steinbruch kommend mit eigener Gefahr ihn den Rädern entzog; doch konnte er nicht verhindern, daß der Hebel der Locomotive ihn noch streifte und mit furchtbarem Stoße weithin schleuderte, so daß der Retter mit dem Geretteten zu Falle kam. …

Als der Bergwirth wieder zu sich kam, blickte er verwundert um sich; es war Nacht um ihn her, aber eine Lampe brannte hell genug, um ihn die Umgebung erkennen zu lassen. Er glaubte zu träumen, denn Alles, was er um sich sah, kam ihm bekannt vor, und er irrte nicht, er befand sich in seinem gewohnten Zimmer im Bergwirthshause, und Alles war am nämlichen Orte, Alles in demselben Zustande, wie er es verlassen hatte; die weibliche Gestalt, welche im Schatten neben der Lampe saß, war die seiner Tochter. Einen Augenblick war ihm, als habe er eine schwere Krankheit durchgemacht; als wäre Alles, was er erlebt, nur ein Fiebergebilde gewesen, aus dem er genesend erwacht; die Schmerzen seines schwer verwundeten Körpers brachten ihn aber bald zum vollen Bewußtsein. Mit ihm kehrte die Erinnerung des Geschehenen zurück und eine Ahnung dessen, was er noch nicht wußte, dämmerte ihm auf. Ein Seufzer entwand sich seiner Brust, mit einem Ausruf der Freude von Juli begrüßt, welche herbeieilte und sich sorglich über ihn beugte.

„Wo bin ich denn?“ fragte er schwach.

„Fragt nicht, Vater,“ entgegnete Juli, „Ihr seid in guten Händen und seid bei mir; der Herr Doctor hat gesagt, Ihr sollt vor Allem ganz ruhig sein …“

„Sage mir nur Alles, wie es ist,“ sagte er, „ich kann Alles hören …“ Er machte keine Bewegung und lag mit geschlossenen Augen da, als Juli erzählte, wie Falkner ihn gerettet und in das Bergwirthshaus gebracht, wie sie ihn gesucht und wie er nun in dem alten gewohnten Zimmer ruhig seine Genesung abwarten könne. Er fragte nach Falkner und blickte dem Eintretenden erhellten Angesichts entgegen. „Ich kann Ihnen die Hand nicht geben,“ sagte er mit Anstrengung, „aber reden kann ich noch und kann Ihnen sagen … Sie haben mir das Leben retten wollen – ich danke Ihnen, weil ich nun doch noch Zeit habe, meine Rechnung zu machen. … Ich hab’ Ihnen Unrecht gethan; Sie sind ein Ehrenmann, Herr Falkner … bringen Sie das Bergwirthshaus wieder zu Ehren, und wenn Sie sich nicht daran stoßen, daß sie mich zum Vater hat, geben Sie meinem Mädel Ihren Namen statt des meinigen …“

Ueber den Leidenden hinweg bot Falkner schweigend seine Rechte, in welche Juli die ihre legte und schluchzend das Gesicht in dem Bette barg.

„Wenn Euer Segen dabei ist, Vater …“ rief sie mit erstickter Stimme.

„Der ist dabei! Sei so glücklich, als Du gut und lieb mit mir gewesen bist, da kann es Dir nit fehlen! … Vergiß mich nit ganz und trag’ mir nichts nach in die Ewigkeit …“

„Redet nit so, Vater, Ihr könnt wohl wieder aufkommen …“

„Nein, ich spür’, daß es zu End’ geht mit mir ... es ist auch besser so. … Ich hab’ mich in die neue Welt nit finden können … ich könnt’s wohl auch in Zukunft nit … also siehst Du wohl ein, daß ich fort muß. … Halt’ mich nit,“ rief er stärker als sie seine Hand drückte, während seine Augen unheimlich zu leuchten begannen und sich immer starrer auf die Flamme der Lampe hefteten. „Ich muß hinaus – muß den Beißwurm fangen! Dort ist er, dort in dem finstern Winkel … siehst Du, wie seine Augen glühn … sie werden immer größer – immer feuriger. … Er kommt … er kommt immer näher auf mich zu, immer geschwinder … Ah …“

Mit einem kreischenden Schrei wollte er sich aufrichten … er vermochte es nicht und sank in Betäubung zurück, um nicht wieder aus ihr zu erwachen.

Groß war das Aufsehen, welches das Ende des Bergwirths und seine Todesart in der Gegend verursachte; größer aber noch, als nach einigen Monaten im Bergwirthshause Hochzeit gehalten wurde, und Falkner seine schwergeprüfte Braut auf’s Neue in der alten Heimath einführte. Sie brachte die Zeit bis dahin im Bahnwärterhäuschen bei dem neuen Einsiedel zu, der auf ihren und Falkner’s Wunsch ihr das Ehrengeleit bei dem festlichen Einzug gab.

Mit dem Paare hatte auch das Glück seinen Einzug gehalten; das Bergwirthshaus war vergessen, aber der Berghof blühte und gedieh dauernd, wie im Herzen seiner Bewohner die Liebe heimisch blieb, die Treue und der Friede.

Bei der Hochzeit war kein fröhlicherer Gast, als der Postbartel; sein Hörnlein bekam weidlich zu thun, und Alle meinten, es habe noch nie so schön und hell geklungen, als wie er blies:

Ich will Dir etwas sagen,
     Herzliebstes Bräutelein –
Die Bäume thun ausschlagen
Und lauter Rosen tragen,
     D’raus soll Dein Kränzel sein!




Kleiner Briefkasten.

H. in St. Wir ersuchen Sie, über Ihren Roman zu verfügen.

Reinh. Müller in Syracuse (New-York). Es existirt keine größere Abbildung des Denkmals. Herzlichen Dank für Ihre liebenswürdigen Complimente.

F. G. in N. K. Für Ihre Zwecke empfehlen wir Ihnen „Schwatlo, Handbuch zur Beurtheilung und Anfertigung von Bauanschlägen. Halle, 1869.“

Wolff in Montreal (Canada). „Nur ein Ballgespräch“ ist keine erfundene, sondern eine durchaus wahre Geschichte.

E. V. in Hannover. Wenn in Barthel’s Literaturgeschichte Max Bauer als Verfasser der „Prinzessin Ilse“ angegeben ist, so ist das eben ein Irrthum. Die Dichterin jenes reizenden Büchleins heißt, wie in Nr. 19 der Gartenlaube ganz richtig angegeben wurde, Marie Petersen.




An unsere Leser!

Angesichts des frevelhaften Uebermuths, mit welchem in diesem Augenblicke Frankreich, aus keinem andern Anlaß, als erbärmlicher Ruhmeseitelkeit, die furchtbarste Kriegesbrandfackel in den Friedenssegen unseres Vaterlandes schleudert, angesichts dieser bubenhaften Verhöhnung unserer nationalen Würde und Freiheit, muß die gesammte deutsche Presse geharnischter als je sich als die Großmacht bewähren, welche den Geist des Volkes in den Kampf führt. Der Geist vom Jahre Dreizehn muß unsere ganze Nation erheben, denn dieser Kampf, welchen die zwei Riesen der Wehrkraft Europas beginnen, kann nur mit der politischen Vernichtung des Einen enden.

Getreu ihrem längst bewährten nationalen Streben wird auch die „Gartenlaube“ ihre Schuldigkeit im Anregen und Berichten, im Sammeln und Opfern thun.

Bereits sind Vorkehrungen getroffen, daß

nicht nur Künstler, sondern auch Schriftsteller in unserem Auftrage von den Hauptquartieren aus den militärischen Bewegungen folgen werden,

um das Wichtigste und Interessanteste aus dem Marsch-, Feld- und Kriegsleben in Bild und Text zur Anschauung zu bringen. Wir geben uns mit allen unsern deutschen Lesern der zuversichtlichen Hoffnung hin, recht bald von den Siegen unserer tapferen Armeen berichten zu können.

Leipzig, im Juli 1870.

Die Redaction.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 496. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_496.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)