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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


Literaturbriefe an eine Dame.
Von Rudolf Gottschall.
VI.

Haben Sie, Madame, einmal in der Hauptstadt Preußens einen „ästhetischen Thee“ mitgemacht? Und wenn Ihnen auch dies Glück neuerdings zu Theil geworden – Sie haben nur einen schwachen Aufguß der früheren ästhetischen Thee’s genossen; denn in dem geharnischten Preußen Bismarck’s spielt die Aesthetik dieselbe untergeordnete Rolle, die sie schon seit langer Zeit auf den preußischen Universitäten spielt.

Die Blüthezeit der „ästhetischen Thee’s“ fällt in die schöngeistige Epoche des Königs Friedrich Wilhelm des Vierten, welcher einen Ludwig Tieck, den großen Maestro der Leseabende, nach Berlin berufen hatte. Die Geheimen Räthe, die jüdischen Banquiers, die ganze „gute Gesellschaft“ – Alles wurde plötzlich von ästhetischen Anwandlungen heimgesucht. Glücklich der Kreis, der einen kunstfertigen Vorleser oder gar einen jungen Dichter aufzuweisen hatte, welchem die ersten schüchternen Lorbern um die Stirn zu sprossen begannen! Man beneidete sich um die Dichter, wie sich die Brasilianerinnen um die Leuchtkäfergürtel beneiden, die sie um den Leib tragen.

Wohl gab es auch ästhetische Thee’s, die sich durch eine ganz aparte Physiognomie auszeichneten. In dem großen Hause der Maurerstraße, wo Varnhagen von Ense wohnte, wo Ludmilla Assing an der Theemaschine präsidirte, da war nichts zu finden von ruhigem ästhetischen Behagen; da prickelte die ganze Unruhe einer „Revolution in Glacéhandschuhen“; da war die politische Unzufriedenheit heimisch; die Feuerwerke und Raketen eines schonungslosen Witzes prasselten in die Luft, selbst wenn ein so eifriger Vorkämpfer der Reaction, wie Freiherr von Sternberg, zugegen war und mit vornehm-künstlerischer Haltung sich damit beschäftigte, die Strudelköpfe mit dem Bleistift in sein Studienalbum einzutragen. Und wer einen Salon bei Frau Gräfin Ahlefeld besuchte, der früheren Gattin Lützow’s, an die sich manche unvergeßliche Erinnerung aus den Befreiungskriegen knüpft, der Geliebten Karl Immermann’s, der nahm den Eindruck mit nach Hause, als sei er bei der „zehnten Muse“ zu Gast gewesen; so ästhetisch-priesterlich war das Wesen dieser Frau, so feinsinnig ihre Begeisterung für das Schöne, mochte es von altem oder neuem Datum sein, so bedeutsam geschmückt der Salon wie ein Heiligthum der Künste.

Doch das waren die glänzenden Ausnahmen – in der Regel war der „ästhetische Thee“ in den Geheimrathskreisen von erschrecklicher Nüchternheit. Die unerläßlichen Requisiten für diese „Huldigung der Künste“ waren: eine Theemaschine, ein Fortepiano, ein Lesepult, zwei oder mehrere Töchter, von denen die jüngste eben aus der Pension mit dem frischen Cursus der Literaturgeschichte im blondlockigen Köpfchen in’s Elternhaus zurückgekehrt war, während die älteste sich seit längerer Zeit den Musen in die Arme geworfen hatte, die einzigen, welche offengeblieben waren, um sie zu empfangen, ferner ein Dramaturg, ein Kunsthistoriker oder Poet. War der Herr des Hauses, der Geheime Rath, nicht gerade bei seiner L’hombrepartie, so erschien er wohl selbst in dem ästhetischen Cirkel und betheiligte sich an der Unterhaltung durch einige Bemerkungen über Goethe, der, außer anderen schätzbaren Vorzügen, auch den besaß, daß er Geheimer Rath und Minister, wenngleich nur in einem kleinen Staate, gewesen war. Die geistigen Genüsse dieser Kreise wurden nicht durch die materiellen gestört. Aus dem himmlischen Reich stammte zwar auch der „grüne Thee“, welcher reichlich consumirt wurde; aber zweifelhaft blieb, ob er nicht vorher die Bekanntschaft mit „Berliner Blau“ gemacht hatte, um sich beizeiten zu „acclimatisiren“. Theegebäck und Butterbrödchen erschienen nur en miniature; jede stoffartige Wirkung, welche dem Evangelium der reinen Kunst schaden konnte, wurde ängstlich vermieden.

Und wenn dann der junge Poet selbst die Lichter am Pult zurechtstellte und sich die Locken von der Stirn strich – welch’ freudiges Flüstern, welche andächtige Spannung! Ein Talent, ein Genie in nächster Nähe; man hatte es wachsen sehen und hören! Da ist ja die Tante anwesend, die es auf den Armen getragen, als es noch in unscandirbaren Tönen seine ersten Lebenselegieen den Schallwellen der Luft anvertraute; da kann die Frau Professorin bestätigen, welches glänzende Abiturientenzeugniß, mit Ausnahme der Mathematik, der strebsame Dichterjüngling davongetragen; die Geheimräthin aus dem Ministerium des Innern weiß zu erzählen, wie oft er mit ihrer Tochter getanzt, wie er sie stets durch Extratouren und Cotillonorden ausgezeichnet hat. Am glücklichsten aber ist die Kleine aus der Pension! Was haben ihr die Dichter für Mühe gemacht mit ihren oft absonderlichen Namen, wie oft hat sie dieselben en masse unter das Kopfkissen gelegt, um sie ihrem Gedächtniß einzuprägen und bei’m Examen zu bestehen! Und jetzt sieht sie einen Dichter vor sich, der zwar in keiner Literaturgeschichte steht, der aber viel hübscher und liebenswürdiger ist, als die meisten Herren Classiker, die auf den Bildern so ehrwürdig aussehen wie Schul- und Consistorialräthe, einen Dichter, den sie sich behält ohne Hülfe des Kopfkissens und ohne Furcht vor irgend einem Examen, es müßte denn Gott Amor selbst als Examinator erscheinen und einige Gewissensfragen an sie stellen.

Der Dichter liest mit einer Begeisterung, die des Erfolges sicher ist; er ist gewöhnt an das Flüstern der Bewunderung, das seinem Vortrage folgt. Man rühmt die „schöne Sprache“, die melodischen Verse, das Rührende, Empfindsame, Sittsame; in diesem oder jenem Auge zeigt sich eine Thräne, die Hausfrau aber credenzt ihm eine neue Tasse „grünen Thee“ und des Hauses älteste Tochter gießt mit verständnißinnigem, collegialischem Lächeln ihm den Rum hinein.

Der Dichter aber fühlt sich bereits auf den Schwingen des Ruhms weit über die Gegenwart hinausgetragen; wer den Besten seiner Zeit genug gethan, der hat gelebt für alle Zeiten; und es sind ja die Besten seiner Zeit, es ist ja die „gute Gesellschaft“, die ihm huldigt.

Warum ich Ihnen das Alles erzähle, Madame? Gewiß nicht, um mit dem Griffel Cruikshank’s zu wetteifern und durch Caricaturen aus unseren Salons Ihnen ein anmuthiges Lächeln auf die Lippen zu zaubern! Nein, ich will Ihnen heute von einem Dichter sprechen, der seine ersten Erfolge in diesen geheimräthlichen Salons errang und dessen Muse in vielen Zügen ihre Herkunft aus den ästhetischen Theecirkeln nicht verleugnet, ich will Ihnen über Paul Heyse berichten, dessen „Gesammelte Novellen in Versen“ in zweiter, auf’s Doppelte vermehrter Auflage (Berlin, 1870) soeben erschienen sind.

Unsere großen Dichter, Madame, haben in ihrer Jugend eine Sturm- und Drangepoche durchgemacht, deren Spuren ihre ersten Werke trugen; ich brauche Sie blos an Schiller’s „Räuber“, an Goethe’s „Götz“ zu erinnern; eine wilde ungezügelte Kraft durchbraust diese Dichtungen; ein vulcanisches Feuer zersprengt das Gefüge des Styls und schlägt hier und dort in helllodernden Flammen empor; die Dichter erscheinen wie felsenschleudernde Giganten, welche Hyperbeln auf Hyperbeln thürmen, weit über die Grenzlinien des Schönen hinaus. Und nebenbei stand in diesen Erstlingswerken der Cynismus in voller Blüthe und sprach der feineren Sitte der guten Cirkel Hohn.

Doch diese ungeläuterte Kraft, die in solchen gewaltsamen Explosionen hervorbrach, war die verheißungsvolle des Genius, und sie schenkte uns nach verbrauster Gährung den Feuerwein, der noch späten Geschlechtern zur Labung dient. Nun denken Sie sich aber, Madame, durch einen kühnen Anachronismus den jugendlichen Schiller in einen Berliner Salon versetzt, wo er den Geheimrathstöchtern zum ersten Male die „Räuber“ vorliest – diese medusenhäuptige Dichtung würde ja augenblicklich die zartfühlenden Hörerinnen in Stein verwandelt haben!

Ein Dichter, der aus den Berliner Salons hervorgeht, kann keine Sturm- und Drangperiode gehabt haben – und so ist dies auch in der That bei Paul Heyse nicht der Fall. Seine Dichtung erschien von Anfang an als ein sich friedlich durch anmuthige Wiesen windender Bach, ohne die schäumenden Katarakte eines genialen Sturmes und Dranges. Fein und sauber geglättet trat seine Muse auf; kein Fältchen, nichts Aufgebauschtes; ihr ganzes Costüm machte dem Plätteisen Ehre. Wer einen berühmten Grammatiker zum Vater hat, steht natürlich mit der deutschen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 487. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_487.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)