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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

eiserne Geißel über Aller Haupt. Alles erwartete, wenn auch mit bangen Herzen, aber doch ohne Murren, lautlos und gefaßt, den, wie Alle glaubten, aber Keiner zu sagen wagte, unvermeidlichen Tod durch die Explosion der Pulverkammer. Ein Ruf brachte den Oberfeuerwerker, einen alten erfahrenen Artilleristen, vor den Commandanten. Dieser gab ihm mit ruhiger heller Stimme den Befehl, mit möglichster Vorsicht in die Pulverkammer hinabzusteigen, um die Ursache des Pulverdampfes zu ergründen.

Bei der auf Deck herrschenden Stille hörte Jedermann diesen kurzen Befehl, aber nicht allein der alte Feuerwerker wurde todtenblaß, als ging’s den letzten Weg zur Raanocke (wo die Hinrichtungen durch den Strang stattfinden), gar manches stille heiße Gebet mag in jenem schrecklichen Augenblicke aus der Brust von den am Deck versammelten zweihundertfünfundzwanzig Menschen zum Allmächtigen emporgestiegen sein, manch’ verzweiflungsvoller Gedanke mag den fernen Lieben, der teuren Heimath, dem jungen Leben gegolten haben, vielen mag in wenigen Augenblicken wie ein Traumgebilde das vergangene Leben vorübergeschwebt sein; denn da an Bord der Kriegsschiffe nicht nur sämmtliche gefüllte Bomben, Granaten und Raketen; sondern auch sämmtliches Schießpulver und alle Patronen einzig in der tief unter’m Wasserspiegel gelegenen Santa Barbara in eisernen Kisten aufbewahrt werden, und da die nun auf dem Deck lagernde schwere Wolke von Pulverdampf vermuthen ließ, es habe bisher nur eine teilweise Entzündung einiger Patronenkisten stattgefunden, so glaubten Alle, daß, sobald der hinabbeorderte Feuerwerker die Thür, welche in die Pulverkammer führt, öffne, jedenfalls durch das Hinzutreten frischer Luft und den entstehenden Zug die ganze Masse explodiren und Schiff und Bemannung in die Luft sprengen werde.

Der Feuerwerker legte vorschriftsmäßig die Hand an die Mütze, ein heiseres „zu Befehl, Herr Commandant“ preßte sich zwischen seinen Lippen durch, ein rasches „Kehrt“, wenige Schritte und – er verschwand die Treppe zur Pulverkammer hinab.

Bis zu seinem Wiedererscheinen auf Deck vergingen ungefähr fünfzehn Minuten, aber was für eine Viertelstunde war das! Sie schien ohne Ende – und doch so kurz. Jeder las in des Andern Auge die Todesfurcht, und doch wagte Keiner einen Laut, als fürchte er die Explosion dadurch zu beschleunigen; man hörte das Klopfen der Pulse, der kalte Schweiß rieselte von den Stirnen, und doch wie wundervoll, wie erhebend war es zu sehen, was eine kräftige Disciplin, was die Achtung vor dem Gesetze, was das Beispiel der Vorgesetzten vermag; – denn wir Alle hatten den sicheren Tod vor Augen, und dennoch stand Jedermann unbeweglich auf seinem Posten, die Blicke unverwandt auf jenen Mann gerichtet, welcher, das Sprachrohr in der Rechten und von seinen erprobten Officieren umgeben, durch seinen Blick Alle beherrschte.

Während noch Allesammt auf Deck von Augenblick zu Augenblick den Tod erwarteten, erhob sich über die Luke wieder das jetzt ganz freudig leuchtende Antlitz des alten Feuerwerkers. Ein Blick aus Aller Augen auf seine lächelnden, ja selbst schalkhaften Züge, und Aller Mienen verloren den starren Ausdruck, freier hob sich die Brust, die Herzschläge beruhigten sich und der Alp war geschwunden.

Mit raschen Schritten ging der Feuerwerker zum Befehlshaber und meldete, daß er nicht nur die Pulverkammer nach genauer Untersuchung in vollster Ordnung befunden – mit Ausnahme einer offenen Schießpatronenkiste – sondern daß auch weder im Mittel- noch Unterdeck eine Spur von Brand oder Pulvergeruch zu spüren sei. Er war, um jeden Luftzug zu vermeiden, nicht durch die gewöhnliche eiserne Thür in die Pulverkammer gedrungen, sondern hatte die große runde, Tag und Nacht brennende Lampe sammt Refractor, welche die Kammer beleuchtet, von außen aus der Wand geschraubt und war durch das dadurch entstandene Loch hineingeschlüpft. Dieser Meldung zufolge beschränkte sich also die Pulverdampfwelle einzig auf das Oberdeck.

Jetzt, wo die Gemüther beruhigt waren, bemerkte der Befehlshaber, daß Schiffslieutenant von R. nicht auf Deck war. Eine Frage nach demselben wurde von den Officieren mit Stillschweigen, seitens der umstehenden Mannschaft aber mit leisem Lächeln beantwortet. Der Cajütendiener meldete, daß die Thür, welche aus dem Mittelsaal in des Schiffslieutenants Cabine führe, fest verschlossen sei. Daraufhin gingen mehrere Officiere hinab, klopften und riefen an seiner Thür, aber keine Antwort erfolgte. Rasch entschlossen stemmten sie die Schneide eines Enterbeils zwischen die Fugen und sprengten die Thür auf. Doch welch ein schrecklicher und zugleich trauriger Anblick bot sich ihnen durch eine dichte Pulverdampfwolke dar! Vor dem kleinen Ausklapptische saß auf einem Feldstuhle Schiffslieutenant von R., ohne Rock und Weste, mit offener Hemdbrust, aufgeschlagenen Aermeln, bleich und geschwärzt mit halbverbrannten Händen. Zu seinen Füßen lag die in die Pulverkammer führende geheime Fallthür offen, auf dem Aufklapptische neben einem brennenden Wachslichte und auf dem Bette lagen mehrere aufgerissene Päcke Spitzkugelpatronen.

Jetzt erklärte sich der Vorfall.

Der Unglückliche hatte in Folge des genossenen Alkohols die Sinne verloren, hatte sich aus der Pulverkammer einige Päcke scharfe Patronen geholt und – unterhielt sich damit, eine Patrone nach der andern mit bloßer Hand bei der Kugel zu ergreifen und das Pulver an der Flamme des Lichts explodiren zu lassen. Der Rauch davon zog sich natürlich nach und nach durch die durchbrochene Metallrosette im Plafond auf Deck, verbreitete sich dort längs der Dielen und brachte so unangenehme Wirkungen und Schrecken hervor. – Beim Anblick der sprachlos vor Erstaunen unter der eingebrochenen Thür stehenden Cameraden schien von R. theilweise zum Bewußtsein zu kommen, denn – er suchte mit zitternden Händen aus seinem Toilettenecessaire ein Rasirmesser loszubekommen. Fregattenfähnrich Graf v. D., die traurige Absicht errathend, warf sich schnell auf ihn und entriß ihm das Messer.


Wenige Monate darauf zählte die berühmte Irrenanstalt in B. einen Cur- und Mitleidbedürftigen mehr.




Die letzten Tage eines Verurtheilten.
Von Wolfgang Müller von Königswinter.

Wie am Himmel zuweilen unerwartet ein glänzendes Meteor auftaucht und die ganze Welt in Erstaunen setzt, so geschieht es auch dann und wann, daß auf dem Gebiete der Kunst und Wissenschaft Persönlichkeiten auftreten, die durch eine hervorragende Leistung die allgemeine Aufmerksamkeit erregen. So war es vor ein paar Wochen in Düsseldorf der Fall, daß ein Bild „Die letzten Tage eines Verurtheilten“ ausgestellt wurde, welches das höchste Staunen hervorrief. Der Name des Künstlers, eines jungen Ungarn Michael Munkacsy, den man bis dahin kaum gekannt hatte, war nun in Aller Munde. Sowohl bei der Künstlerschaft wie im großen Publicum herrschte nur eine Stimme über das unbestrittene Talent, das hier gleichsam mit seinem ersten Bilde hervortrat.

Kein Wunder! Gegenstand wie Ausführung erschienen auf diesem Gemälde von gleicher Bedeutung. Was den erstern angeht, so beruht er auf einer alten ungarischen Sitte. Wird ein Verbrecher zum Tode verurtheilt, so ist es den Verwandten, Freunden und Nachbarn gestattet, dem Delinquenten in den letzten Stunden einen Besuch zu machen. Die Einen kommen aus Theilnahme, die Anderen aus Neugierde. Väter und Mütter erscheinen mit ihren Kindern, um ihnen ein abschreckendes Beispiel vor Augen zu stellen. Der Künstler hat sich diesen tragischen Stoff zur Darstellung gewählt und damit gewiß einen trefflichen Wurf gethan.

Es ist ihm aber auch gelungen, sein Bild in so klarer und bedeutsamer Weise zur äußeren Erscheinung zu bringen, daß man es nicht ohne ein Gefühl der tiefsten Erschütterung ansehen kann. Wir erleben hier den letzten Act eines Trauerspiels, der in einem unterirdischen gewölbten Kerker vor sich geht, in welchen durch eine Oeffnung im mittleren Hintergrunde ein trübes und graues Licht dringt, gerade hinreichend, um die verschiedenen Gruppen zu beleuchten, die der Maler zur Verkörperung seines Gedankens verwendet hat. Etwas nach rechts steht ein Tisch mit brennenden Kerzen und einem Crucifix. Seitwärts sitzt der Verbrecher, an den Füßen gekettet, schwarzhaarig, dunkeläugig, mit dem Ausdruck der tiefsten Gewissensbisse, des peinigenden Gefühls vor dem letzten Augenblicke, denn er war ursprüglich keine verlorene Seele, wilde ungezähmte Leidenschaften haben ihn an den Abgrund gebracht. Neben ihm

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 475. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_475.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)