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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Opern vom Stapel laufen lassen. Er hat fast für sämmtliche Pariser Theater gearbeitet, so daß nicht selten in der Hauptstadt Frankreichs an einem und demselben Abend vier Bühnen zugleich Stücke von ihm brachten. Freilich hat er nicht immer Siege errungen; er hat sich indessen durch die Niederlagen keineswegs abschrecken lassen. Offenbach wird durchaus nicht entmuthigt, wenn ihm der Unwille der Kritik am Kranze zerrt; er läßt seine Muse nicht zu Athem kommen, und kaum hat er eine Schlappe erlitten, so tritt er schon wieder mit einem neuen Erzeugniß auf. Er schreibt seine Partituren, wie der erste beste Journalist einen Zeitungsartikel schreibt, und es versteht sich von selbst, daß er sich oft wiederholt. Es ist auch wahr, daß er viel weniger durch Kunst, als durch außerordentliche Geschwindigkeit überrascht. Allein in einer Zeit, wo man schon verdrüßlich wird, wenn ein Telegramm von Amerika eine Stunde später als gewöhnlich in Europa eintrifft, wo ein Ereigniß, das uns am Morgen in Erstaunen setzt, am Abend schon veraltet ist, in einer solchen Zeit ist die Geschwindigkeit ein nothwendiges Mittel zum Erfolg.

Die große Popularität Offenbach’s ist mehreren Umständen zuzuschreiben. Vor Allem seiner wirklichen Begabung. Mögen die orthodoxen Musiker Ach und Zeter schreien, sie können ihm doch das Talent nicht absprechen, das er besonders in den einactigen Operetten an den Tag gelegt. Die kleinen Productionen sind höchst gefällig und reich an singbaren Weisen, die sich dem Gedächtniß leicht einprägen. Was die umfangreicheren Hervorbringungen betrifft, so hat er den Succeß derselben nicht seinem Talent allein, sondern zum großen, vielleicht zum größten Theil den Verfassern der Textbücher, Ludovic Halévy und Meilhac, und der vortrefflichen Aufführung zu verdanken. Die beiden genannten Schriftsteller, von denen der erstere ein Neffe des Compositeurs Halévy ist, – der beiläufig gesagt, ebenfalls der Sohn eines jüdischen Vorsängers war – haben mit der Parodie des Orpheus einen glücklichen Wurf gethan. Die tolle Wirthschaft am Hofe des Jupiter erinnerte lebhaft an gar manchen europäischen Hof, an gar manchen europäischen Despoten und man brauchte sich just nicht anzustrengen, um in der Willkür des Olympiers eine Anspielung auf die Willkur vieler Herrscher zu finden, die zum Glück der Völker nur ein Scepter, aber keinen Donnerkeil besitzen. Der Witz im Orpheus sowohl, als auch in der „Schönen Helena“ und in den anderen Parodieen ist selten feinkörnig. Die Herren Halévy und Meilhac beziehen ihr Salz nicht direct aus Attika; allein sie kennen ihr Publicum und verlassen sich auch auf die Darsteller, die freilich ihre Aufgabe mit großer Virtuosität erfüllen.

Wie dem aber sei, diese Stücke werden schwerlich das zweite Empire überleben, durch welches sie in’s Dasein gerufen wurden. Offenbach ist natürlich nicht dieser Ansicht. Er glaubt fest und unerschütterlich an die Unvergänglichkeit seiner Werke, ebenso fest und unerschütterlich, als Richard Wagner an die Unvergänglichkeit der seinigen glaubt. Unmäßige Bescheidenheit ist eben nicht die Krankheit unserer Zeit; und wenn Offenbach an keiner anderen Krankheit stirbt, als an dieser, wird er gewiß ewig leben. Offenbach wäre mindestens so bedeutend wie Mozart, wenn er das wäre, was er zu sein glaubt. Die große Popularität, die er seit einer Reihe von Jahren genießt, ist ihm zu Kopf gestiegen. er ist berauscht von seinem Ruhm. Das ist nun freilich nicht der Ruhm eines Meisters, der mit der Zeit wächst und Jahrhunderte überlebt; allein man wird von gebranntem Wasser ebenso, ja noch viel stärker berauscht, als von dem edelsten Wein. Man muß übrigens an Offenbach anerkennen. daß er sich’s recht sauer werden läßt. Es giebt keinen arbeitsameren Menschen, als er ist. Seine Thätigkeit ist beispiellos, und diese beschränkt sich nicht auf die Composition seiner Stücke, auf den musikalischen Theil derselben, sondern sie erstreckt sich auf Alles, was deren Gelingen zu sichern dient. Er arbeitet mit den Verfassern der Textbücher; er leitet die Proben bis spät in die Nacht und befeuert die Darsteller durch seinen unausgesetzten Eifer. Nichts entgeht seiner Aufmerksamkeit. Er denkt selbst an die kleinste Kleinigkeit; er vervielfältigt sich; er ist überall. Da nun seine Muse jedes Jahr wenigstens drei bis vier Mal in die Wochen kommt, so kann man sich leicht denken, daß ihn die Sorge, seine Werke so vortheilhaft wie möglich bei dem Publicum einzuführen, unausgesetzt beschäftigt. Er ruht auch eigentlich nur, wenn er zur Ruhe gezwungen ist, wenn ihn nämlich die Gicht an’s Lager fesselt. An seiner äußern Ankündigung ist nichts auffallend, als seine sprüchwörtlich gewordene Magerkeit. Man kann kaum dünner sein, ohne völlig zu verschwinden. Seine Physiognomie ist sehr beweglich und geistvoll. Er ist auch in der That ein geistvoller Mann, und nicht blos in seinen Compositionen, sondern auch in der Unterhaltung witzig. Schon in frühester Jugend vom Schicksal unsanft geschüttelt und gerüttelt, hat er Gelegenheit genug gehabt, die Menschen zu beobachten und ihre Schwächen und Gebrechen kennen zu lernen.

Offenbach hat seinen Weg gemacht. Daß man auf diesem Wege nicht zum Tempel des Nachruhms gelangt, ist keine Frage. Wer indessen, wie er, als armer hülfloser Judenknabe nach Paris gekommen und in Noth und Trübsal, in Hunger und Kummer muthig gekämpft, und am Ende, trotz unzulänglicher, zerrissener Studien, seinen Namen in allen Ländern zur Geltung gebracht, ist doch gewiß kein Mann von gewöhnlicher Begabung. Auf keinen Fall haben diejenigen Componisten, die stets die Namen der großen Tonmeister im Munde führen, selbst aber nichts Erkleckliches schaffen, das Recht, so geringschätzig auf Offenbach herabzusehen und ihm vorzuwerfen, daß er das Publicum blos oberflächlich amüsirt; denn es ist doch immerhin löblicher, das Publicum oberflächlich zu amüsiren, als dasselbe gründlich zu langweilen.




Die Diätetik der Vegetarianer.
Oeffentlicher Vortrag, gehalten in der Universitäts-Aula zu Freiburg von Professor O. Funke.
(Schluß.)

Alle die vorangegangenen Erörterungen wären aber fruchtlos, wenn es wirklich wahr wäre, daß unsere Organisation lediglich für Pflanzennahrung eingerichtet, nur diese gesund, die animalische Kost dagegen, in erster Linie das Fleisch, ungesund sei, direct oder indirect jene zahllosen Schäden, deren Keime die Vegetarianerbrille darin erblickt, unserem Leibe inoculire. Ich will Ihnen beweisen, daß dem nicht so ist, daß die gegentheilige Behauptung auf Unkenntniß, Mißverständnissen und den ärgsten Uebertreibungen beruht.

Betrachten wir zunächst unsere Organisation. Hier weisen uns die Vegetarianer im wahren Sinne des Wortes die Zähne. Es ist staunenswerth, mit welchem Fleiß sie in einem Punkte, in welchem sie sich für hieb- und schußfest halten, die Wissenschaft auszubeuten verstehen. Massenhaft kramen sie die Citate von Aussprüchen berühmter Anatomen aus, welche darin übereinstimmen, daß das Gebiß des Menschen gleich dem seines nächsten Verwandten, des Affen, das eines Fruchtessers sei. Armer Schiller! Das todte Gefäß deines hohen Genius, dein Schädel, wird in effigie neben dem des Pavians und Orang-Utangs zur Schau gestellt, um an deinen Kauwerkzeugen zu demonstriren, daß du mit Jenen Nachbarn in dieselbe diätetische Rangordnung gehörst. Ja, meine Damen und Herren, es ist wahr, wir haben nicht die gewaltigen Eckzähne des Tigers, um sie in lebende, thierische Beute einzuhauen und Stücke herunterzureißen, nicht die zusammengedrückten mehrspitzigen Backzähne desselben, um die groben rohen Fleischmassen zu zerfetzen und Knochen zu zermalmen, ebensowenig als wir die plumpen Mühlsteinzähne des Elephanten zum Mahlen von Maiskörnern, die scharfen Doppelmeißel des Bibers zum Abschaben von Baumrinde etc. besitzen. Wir haben mäßig scharfe Schneidezähne, wenig vorragende und mäßig spitze Eckzähne und stumpfhöckerige Backzähne, wirklich alle von ähnlicher Beschaffenheit wie die des Orang, der sie eben gerade zum Fruchtessen benutzt, ein Gebiß, welches auch mit dem der Schweine, factischer Omnivoren, nicht ganz übereinstimmt. Es ist wahr, wir haben ein Gebiß, welches sich ganz vortrefflich zum Zerbeißen und Zerdrücken von Früchten eignet. Aber wer kann behaupten, daß dasselbe Gebiß untauglich sei zur mechanischen Verarbeitung animalischer Kost und vor Allem, da selbstverständlich Milch, Butter, Käse und Eier hier nicht in Betracht kommen, auch des Fleisches unter den bestimmten, natürlichen Verhältnissen, unter welchen wir es unseren Zähnen darbieten? Wo ist die logische Berechtigung des Schlusses, daß, weil die Affen ein ähnliches

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