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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


Die jüdische Gemeinde in Köln nannte ihn nicht bei seinem Namen, sondern nach seiner früheren Heimath schlechtweg Offenbacher, so daß er sich bald Eberst-Offenbacher nannte; und als man trotz alledem ihn doch nicht Eberst nennen wollte, hieß er sich endlich Offenbach.

Sonderbar! Dieser Mann, der nach Köln gekommen war, um seinem Namen in weiteren Kreisen Geltung zu verschaffen, sah sich dort genöthigt, ihn abzulegen, und zwar ohne irgend einen Ersatz für diesen Verlust zu finden. Es war ihm nämlich nicht möglich, in Köln seine Familie zu ernähren. Er reiste daher 1835 mit seinen zwei Söhnen, dem fünfzehnjährigen Jakob und dessen jüngern Bruder, nach Paris, wo er als Vorsänger einige Gastrollen in der Synagoge gab. Die beiden Knaben assistirten ihrem Vater und wurden, als dieser den kleinen Jakob im Conservatorium untergebracht, in der Synagoge angestellt. Für ihre Mühewaltung erhielten sie einen monatlichen Gehalt von achtzig Franken! Jakob sang nun an der Seite seines Bruders das Lob Jehova’s, der Erzengel, der Erzväter, der großen und kleinen Propheten, und er dachte damals gewiß nicht daran, daß er einst, statt die heiligen Schauer des Sinai zu recitiren, die lüderliche Wirthschaft des Olymp in Musik setzen würde. Indessen ward er der schlechtbezahlten Sängerei bald überdrüssig. Er wollte sich nicht die Kehle trocken singen, ohne irgend eine Aussicht auf ein heiteres Lebensloos. Als Schüler des Conservatoriums, wo er sich auf seinem Instrumente, dem Violoncell, vervollkommnete und sich auch der besondern Gunst Cherubini’s erfreute, war es ihm nicht schwer, im Orchester eines kleinen Theaters, „Ambigu comique“, angestellt zu werden. Außerdem ertheilte er auch Unterricht und gab dann und wann ein Concert. Offenbach war damals ein jäh aufgeschossener Jüngling mit langen blonden Haaren und mager bis zur Durchsichtigkeit. Von quecksilberner Beweglichkeit und alle Enden und Ecken der Riesenstadt durchrennend, um seine Schüler aufzusuchen und sich das tägliche Brod zu erwerben, war es ihm nicht möglich, Fett anzusetzen. Er ist indessen auch später kein Dickwanst geworden. Eine zähe energische Natur, verzweifelte er trotz aller Miseren durchaus nicht, und wenn der Magen, dieser gewaltige Beherrscher der armen Menschheit, nicht allzu ungestüm mahnte, lag er den Musen ob und schuf gar manche heitere Melodie. Er suchte nebenbei auch Synagogengesänge, die er auswendig wußte, zu verwerthen, indem er dieselben für öffentliche Bälle in Musik setzte, so daß vielleicht manche Pariser Grisette nach der Melodie tanzte, in welcher der Herr der Heerschaaren gepriesen wurde.

Jakob Offenbach.

In den vierziger Jahren erhielt er eine Anstellung im Orchester der komischen Oper, wo ihm zwar auch nicht die gebratenen Tauben in den Mund flogen, wo er jedoch Gelegenheit genug hatte, die Meisterwerke der heitern Muse kennen zu lernen und im Geiste zu verarbeiten. Beim Beginne des Kaiserreichs ward er zum Capellmeister des Théâtre Français ernannt. Diese Stellung nahm seine Zeit nicht sehr in Anspruch, und er konnte seinem Schöpfungsdrange schon mehr genügen; er fühlte sich indessen doch immer noch zu sehr gebunden. Er legte also nach einigen Jahren den Tactstock für immer nieder, einzig und allein von dem Gedanken beseelt, ein Theater zu gründen und in demselben die Kinder seiner musikalischen Laune dem Publicum vorzuführen. In Ermangelung einer Bühne und eines größern Publicums componirte er vorläufig kleine Stücke, in denen blos zwei Personen auftraten und brachte sie in seiner Wohnung vor einigen Freunden zur Aufführung. Der Compositeur war Capellmeister und Orchester zugleich, das außer dem Violoncell Offenbach’s kein anderes Instrument aufzuweisen hatte. Die Verwandlungen wurden wie zur Zeit der Anfänge der dramatischen Kunst durch Aufschriften bezeichnet; einige spanische Wände dienten zu den Ein- und Ausgängen. Man lachte, man scherzte und man geizte durchaus nicht mit dem Applaus. Allein der Beifall von einem Dutzend befreundeter Hände, der Ruhm zwischen vier Wänden, die Unsterblichkeit im Familienkreise konnten dem jungen Offenbach nicht genügen. Nach vielen Mühen und Nöthen gelang es ihm endlich, die Direction des kleinen Theaters Folies Marigny zu erlangen. Dieses niedliche Theater befindet sich in den Elyséischen Feldern von Blumenbeeten umduftet, von hohen Ulmen beschattet. Es war im Sommer 1855, zur Zeit der ersten Pariser allgemeinen Ausstellung, als hier Offenbach mit seinen „Deux Aveugles“ auftrat. Zwei vortreffliche komische Sänger bildeten das ganze Personal dieser Bluette, die sich eines solch außerordentlichen Erfolges erfreute, daß die frischen Melodien derselben bald in allen Straßen von den Pariser Gamins gepfiffen und von sämmtlichen Drehorgeln abgeleiert wurden. Ich war Zeuge dieses Erfolges im Theater selbst und zwar durch einen bloßen Zufall. Saphir nämlich, der zum Besuche der Ausstellung nach Paris gekommen war, lud mich eines Abends zu einem Spaziergange durch die Elyséischen Felder ein. Wir befanden uns bald vor dem genannten koketten Theater, das freundlich aus dem blühenden Gebüsche hervorguckte und uns zum Besuch einlud. Saphir war von den „Deux Aveugles“ so entzückt, daß er sich gleich den Text verschaffte mit dem festen Entschlusse, die Humoreske in Wien zur Aufführung bringen zu lassen. Wenn ich nicht irre, ist dieselbe auch in Deutschland schnell beliebt geworden.

Wie einst William Shakespeare leitete auch Jakob Offenbach zwei Theater und zwar das eben erwähnte während der Sommersaison und das andere, von ihm Bouffes Parisiens getaufte, in der Passage Choiseul während der rauhen Jahreszeit. Damals bestand die Theaterfreiheit noch nicht, und Offenbach hatte blos das Recht, einactige Stücke aufzuführen. Er ließ nun eine Reihe kleiner Opern rasch aufeinander folgen und erwarb sich mit denselben allgemeinen und wohlverdienten Beifall. Diese Productionen zeichneten sich durch Frische der Melodien, durch kecken Humor, durch natürliche Heiterkeit und seltene Anmuth aus; sie haben deshalb auch auf allen ausländischen Bühnen sehr angesprochen. Ich erinnere mich noch eines dieser dramatischen Erstlinge, „le Savetier et le Financier“. Ich wohnte der ersten Vorstellung bei. Nach Beendigung derselben klopfte mir Jemand auf die Schulter. Es war der leider so früh verstorbene englische Romanschriftsteller Thackeray. Er war soeben von einer Reise nach den Vereinigten Staaten zurückgekehrt und nach Paris gekommen, um hier seine Mutter zu besuchen. Thackeray fand die Offenbach’sche Operette höchst ergötzlich und wollte von mir etwas Näheres über den Compositeur erfahren. „Dieser junge Tonkünstler,“ sagte er zu wiederholten Malen, „hat ein entschieden humoristisches Talent und besitzt viel Eigenthümliches. Wenn er fleißig schafft, wird sein Name bald in den weitesten Kreisen genannt werden.“

Man sieht, Thackeray hatte sich nicht getäuscht.

Inzwischen ward es Offenbach durch die eingetretene Theaterfreiheit gestattet, mehractige Stücke mit unbeschränkter Personenzahl zu componiren. Er machte von dieser Freiheit den vollsten Gebrauch und brachte den „Orpheus in der Unterwelt“. Diese Opera buffa hatte einen beispiellosen Erfolg. Sie erlebte in Paris an achthundert Vorstellungen. In den Provinzen war der Erfolg ebenso groß, und das Ausland zeigte sich nicht minder warm. Das Vaterland Mozart’s, Beethoven’s und Weber’s beeilte sich, den parodirten „Orpheus“ darzustellen, der in der Geburtsstadt Meyerbeer’s und Mendelssohn’s dreihundertmal aufgeführt wurde.

Seit der ersten Aufführung des „Orpheus“ hat Offenbach unzählige

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 469. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_469.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)