Seite:Die Gartenlaube (1870) 463.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

um, mit einer leichten Arbeit beschäftigt, sich des sie umgebenden Friedens und der schönen Aussicht zu freuen, die sich von dort in die lieben Berge aufthat.

Aber – so ganz genau mußte es der neue Einsiedel mit dem Versprechen doch nicht genommen haben, denn als sie eines Abends wieder unter dem Apfelbaume saß, rauschte es im Walde von eiligen Schritten und mit einem Ausruf freudigen Schreckens sprang sie empor, als sie den Kommenden gewahrte. Es war Falkner. Ihr erster Gedanke war zu entfliehen, aber sie vermochte es nicht, denn die Ueberraschung hatte ihr alle Kraft benommen und im nächsten Augenblick stand Franz schon neben ihr, hatte ihre Hand ergriffen und sah ihr mit den ernsten männlichen Augen so recht innig bittend in’s Gesicht.

„Sie sind’s, Herr Falkner,“ flüsterte sie, „das ist nicht recht von Ihnen – Sie hätten nicht zu mir kommen sollen …“

„Nicht so, Juli,“ entgegnete Franz herzlich, „Du fühlst gewiß mit mir, daß es zwischen uns nicht so bleiben kann – daß ich kommen mußte. Ich wäre schon lange gekommen, wenn ich Deinen Aufenthalt gekannt hätte …“

„Was wollen Sie noch bei mir?“ fragte sie und ihre Augen füllten sich mit Thränen. „Sie wissen ja doch, daß es aus ist mit uns – daß es aus sein muß …“

„Ich weiß das nicht, Juli, und vermag auch nicht es einzusehen,“ entgegnete er sanft. „Du wirst von dem Widerwillen, dem Verbote Deines Vaters sprechen; das ist es eben, was mich zu Dir führt. Juli – dieser Widerwille ist grundlos, Du weißt es; das Verbot ist kraftlos – Du stehst allein in der Welt und bist Herr über Dich selbst … ich wiederhole meine Werbung: folge mir, Juli – werde mein Weib …“

„Ich kann nicht,“ sagte sie dumpf.

„Du kannst, wenn Du willst. … Sieh, es steht bei mir, das Bergwirthshaus zu erwerben – ich will es, wenn Du Ja sagst … ich führe Dich in Dein väterliches Haus zurück, in Deine Heimath – theures, innig geliebtes Mädchen, sage Ja!“

Sie weinte stärker und schüttelte heftig den Kopf.

„Ich werde den Widerwillen Deines Vaters besiegen, ich bin davon überzeugt,“ fuhr er dringender fort. „Auch er wird anders denken, wenn er wieder kommt …“

Juli blickte auf und hob das thränenüberströmte Gesicht zu ihm empor. „Du bist ein braver Mann,“ sagte sie, mit dem eigenen Herzen kämpfend, „Dein Herz ist wie lauteres Gold – aber ich kann nicht! Du sollst glücklich sein Franz – ein Mann wie Du darf zur Frau nicht die Tochter eines Zuchthäuslers haben …“

„Juli,“ rief er außer sich, „welch ein Wort …“ aber sie hörte ihn nicht; mit einem herzhaften Ruck hatte sie ihm die Hand entwunden und floh die Halde hinab.

Eine herbe Thräne im Auge zerdrückend sah er ihr nach und kehrte, als sie verschwunden war, in den Wald zurück.

Drunten im dichtesten Gebüsch warf sich Juli auf den Boden hin und barg, ihres Schmerzes nicht mehr Herr, das glühende Angesicht im kühlen Moos – drunten sauste wieder ein Bahnzug vorüber und in ihr Schluchzen klang das sehnsüchtige Posthorn herauf und blies die alte Weise:

„… Die Bäume thun ausschlagen –
Mein Schatz, ich will dich fragen:
Wann soll die Hochzeit sein?“




4. Der Beißwurm.

Schwer und brütend lag die Mittagsschwüle über dem Garten; auf dem breiten Rasenstück, das nach französischem Muster in der Mitte angebracht war, umdrängte reiches schwellendes Grün die graue Steineinfassung des Springbrunnens, als ob es Kühle und Anfeuchtung von der steigenden Wassersäule suche, die auf dem Gipfel sich überbeugend einen Regenschauer blitzender Tropfen und feuchter Funken von sich sprühte. Rings am Wege standen Obstbäume, die anfänglich niedrig gehalten, seit geraumer Zeit aber der Scheere entwachsen die natürliche Form ihrer Wipfel wiedergefunden hatten und, wie darob erfreut, sich über und über mit Blüthen bedeckten. An den Ecken des Rasens waren Beete mit jenen Frühlingsblumen angebracht, deren Entfaltung meist mit der Obstblüthe zusammentrifft; Hyacinthen streckten die duftigen Dolden empor, Narcisse und Schwertel wiegten sich auf den hohen schlanken Stengeln, während Kränze von Immergrün sich zur Einfassung herumschlangen, oder der Crocus seine goldgelben Kelche in einen Rahmen zusammendrängte. Auf einem der Beete waren verschiedene Arten der Fuchsie zu reichem Farbenspiel zusammengestellt und begannen eben die bunten Glockenhütchen zu entfalten, während ein anderes mit schönen Blattpflanzen zwischen künstlich übereinandergelegten Steinen prangte, aus denen sich das Piedestal einer Urne erhob, von welcher die zartbeblätterten Ranken des Frauenhaars schleierartig niederhingen. Der Geschmack der Anlage trat um so schöner hervor, als über dem ganzen Garten unverkennbar ein sorgfältig wachendes Auge und eine rastlos säubernde Hand waltete und ebensowenig in den Beeten einen wilden Halm aufkommen ließ, als sie auf den blanken feinbekiesten Wegen ein Zweiglein oder abgefallenes Blatt duldete.

Trotz aller Schönheit aber war etwas, was mit der Schwüle drückend auf dem Garten lastete und ihm ein schwermüthiges Ansehen gab; das unter den Bäumen über die Beete oder durch die Wipfel streifende Auge vermochte nirgends weiter zu dringen; keine anstoßende Wiese lockte in’s Freie, keine Zaunspalte ließ die Straße erblicken und verrieth die Nähe von Menschen und ihren Wohnungen; eine hohe Mauer schloß den Raum nackt und kahl an allen vier Seiten ein, denn die an deren Fuß gepflanzten Reben und Spalierbäume stiegen nicht bis zum Rande hinauf, den nur ein hoher dachloser Giebelbau mit stark vergitterten Fenstern übersah, wie ein finsterer, auf einem hohen Posten aufgestellter Wächter.

Es war der Garten des Zuchthauses.

Jetzt kam ein Mann unter den Bäumen hervor, einen Rechen über der Schulter, der den Gärtner kennzeichnen mußte, denn der Anzug that es nicht; sogar die freundliche grüne Schürze fehlte, der Mann war ganz in grobes grauschwarzes Tuch gekleidet, eine gleiche Mütze ohne Schirm saß auf dem kurzgeschorenen silberweißen Haar; selbst ein bekanntes wohlwollendes Auge hätte Mühe gehabt, in der hagern Gestalt, deren Nacken sich unter einer unsichtbaren Last zu beugen begann, den Bergwirth zu erkennen, der vor nicht sehr langer Zeit so aufrecht einhergeschritten war, als wisse er gar nicht, was es heiße, sich zu bücken. Auch die frühere rasche Hastigkeit seiner Bewegung war verschwunden, dagegen hatte die Schärfe der Züge sich noch mehr ausgebildet, und nur in dem Auge, das spähend umherflog, als suche es einen Anlaß, irgend etwas rügen zu können, war ein Funke des Feuers übrig geblieben, das in diesem trotzigen Gemüthe so wild gelodert hatte.

Unbekümmert um die Schwüle nahm er den Rechen herab und zog ihn leicht durch den Rasen; er wollte die Blüthenblätter davon entfernen, die von den Bäumen immer neu herniedergaukelten; dann musterte er die Blumenbeete und kniete an den Felsstücken unter der Urne hin. Kopfschüttelnd betrachtete er die breiten braun überhauchten Blätter des Schönlaubs, an welchem weiße klebrige Schaumtropfen hingen, die er abstreifte und dann eine Gerte zurechtbog, die wie eine Schlinge in den Steinen befestigt war. „Schau’ einmal an,“ rief er mit halblautem höhnischen Lachen vor sich hin, „der Beißwurm ist glücklich durchgerutscht, mit sammt der Wespe, die ich ihm als Köder aufgestellt hatte … daß er dagewesen ist, erkenn’ ich an dem Schleim auf den Blättern, aber er hat sich die Speis’ geholt und die Schlinge hat ihn doch nicht erwischt … es ist halt ein kluges Vieh, thut mir fast leid, daß ich ihm an’s Leben soll … aber der Herr Inspector hat es befohlen, und was der befiehlt, muß ich thun; ich bin ja kein Mensch mehr, der seinen eigenen Willen hat; ich bin ein Auswürfling und auch nicht viel besser, als so ein Vieh …“

Er war so sehr mit seiner Arbeit beschäftigt, daß er darüber den Genannten nicht bemerkte, der, seine Frau am Arme, in den Garten getreten war und an der Mauer lustwandelte, wo dieselbe eben ihren Schatten auf den Weg breitete. „Da ist er schon wieder,“ sagte innehaltend die Frau, „der Mann ist wirklich unermüdet, sogar jetzt, zur Essenszeit, in der allgemeinen Feierstunde, läßt ihn sein Arbeitsgeist nicht ruhen; mit solcher Sorgfalt und Sauberkeit hat noch Keiner den Garten besorgt … ich muß wirklich darauf denken, ihm ein Zeichen der Zufriedenheit, eine kleine Belohnung zu geben.“

„Ich bitte Dich, das zur Zeit noch zu unterlassen,“ entgegnete der Inspector. „Es ist nun mehr als ein Jahr, daß der Mann sich hier befindet; die Eigenthümlichkeit des Vorfalls, der ihn hierher gebracht, veranlaßte mich, ihn besonders im Auge zu halten; ich bin auch kein Neuling in solchen Beobachtungen, aber ich muß gestehn, daß es bis zur Stunde mir nicht gelang, den eigentlichen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 463. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_463.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2020)