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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

lebendigen Ausdruck. Von besonderer Schönheit war ihr üppiges blondes Haar und der kleine, feingeschnittene Fuß, welcher als sie verkleidet umherirrte, öfter zu ihrem Verräther geworden sein soll.

Dem größten Theile der Dienerschaft ist bereits der Dienst gekündigt, auch der junge Herzog wurde verständigt, daß er innerhalb eines Jahres Brunnsee räumen müsse. Der treffliche junge Mann besitzt die wärmste Sympathie Aller, die ihn kennen; noch von dem Tode seiner Mutter erschüttert, muß er nun bald auch den Ort verlassen, wo er mit ihr fast sein ganzes Leben durch geweilt. Das ist ein gar jäher schmerzlicher Uebergang, und der Abschied von Brunnsee wird für ihn gewiß ein sehr schwerer sein.

Es ist wohl nur ein leeres, müßiges Gerücht, welches sagt, daß Brunnsee dem Jesuitenorden zum Geschenke gemacht werden soll.

S. M. 




Ein Blick hinter die Coulissen.
Von Herbert König.
I.

Noch vor wenig Jahrzehnten gehörte es zum guten Ton, mitleidig oder sogar geringschätzend auf den Schauspielerstand herabzusehen. Jetzt thut dies wohl nur noch der Ungebildete. Das Theater greift mehr und mehr in unser sociales, zum Theil auch in unser politisches Leben so wirkungsvoll ein, daß wir es nicht mehr wie ein Aschenbrödel im staatlichen Haushalt betrachten dürfen; ja es bildet einen Staat im Staate, denn es hat seinen Regenten, seine Minister, seine Ober- und Unterbeamten, seine Bürger wie seine Schutzverwandten. Natürlich leben die Menschen hier gedrängter an-, beständiger miteinander, und so treten durch diese Reibungen, die demnach auch stätiger und entzündlicher sein müssen, die Leidenschaften schärfer hervor.

Die Schauspieler sind exaltirter als wir, aber nicht schlimmer und wer heute einen Tyrannen spielt und morgen einen Millionär und beides in Wirklichkeit niemals ist, muß nothwendig darüber ein Bischen verrückt werden. Künstler haben alle ihren Sparren, zumal die dramatischen, und wehe, wenn sie ihn nicht haben. Nicht allein beim Schauspieler, in allen Ständen ist genau derselbe collegialische Neid zu Hause, genau dieselbe Eitelkeit, Selbstüberhebung und Gereiztheit beim geringsten Tadel, genau dieselbe Sucht, sich um jeden Preis bemerkbar zu machen. Hierher gehört jene schändliche Aeußerung: lieber als Dieb in der Zeitung stehen, als gar nicht. Hingegen treffen wir beim Schauspieler auf eine Gutherzigkeit, wie sie schwer in den Häusern unserer Geldbarone und Parvenus zu finden sein dürfte. Niemand unterstützt den armen heruntergekommenen Collegen bereitwilliger und großmüthiger als er, wenige sorgen aufopfernder für eine oft überzählige Verwandtschaft, und ich erinnere mich hierbei jenes Schauspielers, der auf seinen vielen Reisen, bei oft kargen Mitteln, sein altes gebrechliches Elternpaar mit sich führte, weil es sich zu Hause zu vereinsamt fühlte; trotz aller Pietät, hier und da doch eine recht unbequeme Reisebegleitung.

Der Schauspieler von heute unterscheidet sich wesentlich von dem der sogenannten „guten alten Schule“, eine Kaste, die so ziemlich ausgestorben ist, da sie sich an die Periode eines Schröder und Iffland lehnt. Was die Brüdergemeinde dieser guten alten Schule vielleicht zu weit trieb in orientalischen Künsteleien, Kunstpausen, Mienen-, Geberden- und Dosenspiel etc., das treiben unsere heutigen Mimen zu wenig und verfallen in eine Nonchalance, daß wir es nächstens erleben können: der Marquis Posa steht vor König Philipp mit den Händen in den Taschen. Man pflegt dies die realistische Richtung zu nennen, und sie erinnert in der That stark an Wirthshausmanieren, die ganz geeignet sind, das letzte Restchen einer stylvollen Spielweise von der Bühne auszuschließen. Den in jener Zeit nicht wegzuleugnenden hohen Ernst für seine Kunst, der den Novizen wie den fertigen Schauspieler beseelte, suchen wir bei unserem modernen Kunstjünger vergebens. Es wird ihm schon von Haus aus zu leicht, zu bequem gemacht, als daß er für seinen Beruf den nöthigen Feuereifer, die nöthige Begeisterung mit sich bringen könnte. Er besucht in der Regel ein, zwei Jahre eine Theaterschule oder läßt sich von einem renommirten Schauspieler sechs Paraderollen einstudiren, richtiger einpauken, geht dann zum Theater-Agenten, dem er sich auf zehn Jahre verkauft, wofür ihm dieser für’s Erste ein Engagement von sechshundert bis tausend Thaler verschafft, und der Künstler ist fertig.

Vordem war es anders. Man kannte keine derartigen Eselsbrücken, man studirte langsam und mühselig, oft unter den bittersten Sorgen, den herbsten Schicksalsschlägen, reiste meilenweit, um diesen oder jenen großen Schauspieler zu sehen und zum Vorbild zu nehmen, und so bildete sich durch dieses anhaltende Ringen und Kämpfen neben dem Kunstmenschen auch der Charaktermensch vortheilhaft heraus, wovon schon die Portraits jener alten Schauspieler ein untrügliches Zeugniß geben. Die jetzige Generation erzeugt Dutzendmenschen mit Dutzendgesichtern, die, um auf der Bühne nur zu einiger Bedeutung zu gelangen, ihre Zuflucht zur Fettschminke nehmen müssen, die ja jede Schwäche deckt und selbst der nichtssagendsten Physiognomie ein genialisches Ansehen verleihen soll. Nach diesen allgemeinen Bemerkungen sei es uns gestattet, zu den Detailstudien überzugehen; wobei die nebenstehenden Skizzen als Folie dienen mögen.

Nothwendig beginnen wir mit dem Chef der Anstalt, den wir im Bilde absichtlich übergangen haben, um nicht persönlich zu werden, was ja hätte so leicht kommen können. Der Leiter eines Stadttheaters wird schlechthin Director genannt, der einer Hofbühne Intendant oder General-Director. Dieser ist gewöhnlich ein Hofcavalier und seine Ernennung bestimmt allein der regierende Fürst, jener ein Bürgerlicher, und ihn ernennt der Stadtrath. Man ist in letzter Zeit den Hoftheater-Intendanten gegenüber den Privatunternehmern besonders scharf zu Leibe gegangen, und oft mit einer Animosität, die der Parteilose durchaus nicht billigen konnte. Die Wahrheit liegt auch hier in der Mitte: nicht jeder Hoftheater-Director gleicht dem Hofmarschall in „Cabale und Liebe“, eben so wenig wie jeder Stadttheater-Director ein Ausbund von Fähigkeit, ein Muster von Noblesse der Gesinnung ist. Die angeborenen feinen Umgangsformen des wahren Cavaliers regieren, man mag sagen was man will, das Völkchen der Schauspieler leichter und besser, als die Brutalität, die auf den Geldsack schlägt; und ist dazu noch der Cavalier ein wahrhaft gebildeter Mann, der über dem „Blenden der Erscheinung“ steht, so läßt sich kein wünschenswertherer Chef für ein derartiges Kunstinstitut denken. Wir kennen einen, vielleicht der Einzige, der diese schönen Eigenschaften glänzend in sich vereinigt, obschon er nicht ein Edelmann von Geburt ist – Eduard Devrient.

Dem Director zunächst spielt der Regisseur die erste Violine, denn er ist sowohl vortragender Rath beim Chef, als auch artistischer Leiter der Bühne. Er liest alle eingesandten Novitäten (eine wahre Herculesarbeit), schlägt die besten zur Aufführung vor, setzt alle Stücke in Scene und corrigirt und rectificirt die Schauspieler bei Auffassung ihrer Rollen, genug, er ist das Perpetuum mobile, ohne dessen Triebkraft die Maschine bald still stehen würde. Wie überall, so giebt es auch hier Ausnahmen, und wir haben allerdings auch Regisseure zu verzeichnen, die schon genug gethan zu haben glauben, wenn sie die aufgezogene Uhr auf den Tisch legen und hinter den Coulissen Witze reißen, während es auf der Bühne drüber und drunter geht, was sie dann „eine Probe abhalten“ nennen. Unser Regisseur mit Dose, Stock und stets bereitem Taschentuch gehört jener guten, pflichtgetreuen Classe an, die ihrem Berufe lebt und stirbt, sechs Stunden auf einem Flecke sitzen und ein und dasselbe Stück mit gleicher Andacht zum zwanzigsten Male insceniren kann, und über die Schauspieler wacht, wie ein Vater über seine Kinder. Er ist Wittwer, und eine betagte Haushälterin führt das Regiment und zwar, wie man wissen will, mit einem Holzpantoffel.

Der alte Herr trinkt täglich sein sehr gutes Glas Wein in der gesuchtesten Weinstube, wo er am Stammtisch präsidirt. Jener alten Schule angehörend, spricht er gern von Beck, Beil und Iffland, und hört es nicht ungern, so bescheiden er es auch ablehnt, wenn dabei seiner gedacht und an die Zeit erinnert wird, da er noch den Ferdinand in „Cabale und Liebe“ spielte und Alles entzückte. Den alten dicken Regisseur mit den verschwommenen Zügen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_443.jpg&oldid=- (Version vom 9.7.2019)