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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Aus dem Asyl einer Königsmutter.

Im südlichen Theile der Steiermark, ungefähr eine Meile nordöstlich von der Eisenbahnstation Spielfeld, liegt das Schloß Brunnsee, wo Karoline Ferdinande Louise, Herzogin von Berry, geborene Prinzessin von Neapel, nach einer vielbewegten Jugend fast die Hälfte ihres Lebens in ländlicher Zurückgezogenheit verbrachte und vor Kurzem ihr Auge für immer schloß. Die Schicksale der Herzogin, so lange sie eine politische Persönlichkeit war und die Tagespresse beschäftigte, sind um so bekannter, als sie viel des Romantischen und Abenteuerlichen bieten. Man weiß, daß die nur wenige Jahre vermählte junge Frau durch die Ermordung ihres Gatten zur Wittwe wurde und die folgenden Jahre mit dem hinterlassenen Sohne, dem Herzog Heinrich von Bordeaux, Grafen von Chambord, an den Erlebnissen ihres Schwiegervaters, Karl des Zehnten, Theil nahm.

Als sich später in Frankreich eine ziemlich zahlreiche Partei für ihren Sohn, Heinrich den Fünften, regte, erschien sie auf dem politischen Kampfplatze, ging zuerst nach Italien und von dort mit den versammelten Anhängern ihres Hauses nach Marseille, wo jedoch der ausgebrochene Aufstand rasch unterdrückt und die Herzogin zur Flucht gezwungen wurde. Sie erregte hierauf in der Vendée eine vergebliche Empörung und irrte unter großen Gefahren in mannigfacher Verkleidung umher, bis sie durch ihr Abenteuer zu Nantes, wo sie hinter einem Kamin im Hause der Schwestern du Guigné verborgen war, in die Hände der Polizei fiel. Ihr Geständniß, daß sie mit dem neapolitanischen Marchese Lucchesi-Palli in zweiter Ehe vermählt und guter Hoffnung sei, machte damals der großen Verlegenheit der Regierung ein Ende, indem dadurch die Verfolgte ihre politische Bedeutung einbüßte und einfach freigelassen werden konnte.

Ueber das Leben, das die Herzogin seither führte, ist wenig Ausführlicheres in die Oeffentlichkeit gedrungen, und es ist der Zweck der nachfolgenden Aufzeichnungen, die vielen Leser der „Gartenlaube“ mit der zweiten stilleren Lebenshälfte der Herzogin, sowie mit ihrem schönen Landsitze näher bekannt zu machen.

Bald nach ihren mißglückten Anstrengungen und ihrer Freilassung kam die Herzogin nach Oesterreich. Zuerst nahm sie ihren Aufenthalt in Graz und hielt hier förmlich Hof; die üblichen Hofchargen durften in ihrem Dienste nicht fehlen, und um ihr vorgestellt zu werden, mußte man seine Ahnen nachweisen. Später erwarb sie mit ihrem Gemahl, der zum Herzog della Grazia erhoben wurde, vom Grafen Eduard Wimpffen Brunnsee, um nun hier ihren gewöhnlichen Wohnsitz aufzuschlagen. Die nächste Umgebung des ansehnlich großen, im Viereck erbauten, zwei Stock hohen Schlosses, das sich übrigens im Aeußeren nicht gerade durch architektonische Schönheit auszeichnet, ist ganz eben, und nur der ziemlich hohe Thurm, welcher sich über der nach Süden gelegenen Hauptfront des Schlosses erhebt, bleibt dem nahenden Besucher durch lange Zeit das einzige Wahrzeichen für das Ziel seiner Wanderung. Gleichwohl ist Brunnsee durch die von mannigfacher Cultur bedeckten, fruchtbaren Gelände und den zwanzig Joch großen, an herrlichen Baumgruppen reichen englischen Park auch nicht ohne landschaftlichen Reiz; zudem wird der Horizont nach allen Seiten von den anmuthigsten Gebirgspartien abgeschlossen.

Herzogin von Berry.

Die Herzogin mochte auch an ihrem neuen Besitzthume viel Freude haben. Hatte der frühere Besitzer namentlich auf die Verbesserung der Grundstücke hingearbeitet und ihren Ertrag gehoben, so war es ihre Hauptsorge, das Schloß selbst nach außen, wie nach innen zu verschönern. An die Stelle der Einfahrt trat ein sehr schönes, mit Marmor ausgelegtes und mit werthvollen Gemälden geschmücktes Stiegenhaus, und über dem Hauptthore wurde eine ziemlich große Terrasse erbaut. Ihre Appartements hatte die Herzogin im zweiten Stockwerke der Hauptfront, und es ist hier gegenwärtig noch Alles unberührt. Die Wände des Corridors sind auf dieser Stelle durchaus getäfelt und von Kasten eingefaßt, in welchen sich eine große Menge von Werken der italienischen und französischen Literatur befindet.

Die Entrée, der großen Treppe gegenüber, enthält bedeutsame Erinnerungen aus dem Leben der Herzogin, worunter namentlich ein ziemlich großes metallenes Schiff unter einem Glassturze auffällt; es ist aus Silber, reich vergoldet, soll achtzigtausend Franken werth sein und wurde von der Stadt Paris der Herzogin bei der Geburt des Grafen von Chambord als Geschenk verehrt. Die Pracht und der Reichthum, welche in den an das Eintrittscabinet stoßenden Salons und Cabineten, im Billardzimmer und Speisesaal herrschen, sind wahrhaft fürstlich und befriedigen nicht etwa blos die gemeine Schaulust, sondern bieten namentlich auch dem Kunstfreunde und Archäologen eine reiche Ausbeute.

Die Stoffe des kleinen Familiensalons sind von der Herzogin selbst gestickt; auch einige Landschaften mit vorherrschender Architektur sind von ihrer Hand, jedoch unter Anleitung und Mithülfe eines Malers gemalt. Die ganz schwarzen Möbel und dunkeln Stoffe des Schlafgemaches verleihen ihm etwas düster Ernstes und die vielen Reliquien, welche in Rahmen und Kästchen das Bett umgeben, sowie der Betschemel mit dem Crucifix verstärken noch diesen Eindruck; in der Mitte der Wand hängt über dem Bette eine Copie der Madonna della sedia. – Ueberhaupt weht durch alle Räume etwas Ernstes und Feierliches, und man fühlt sich eigen berührt, wenn man aus den lachenden, sonnenbeschienenen Fluren, wo sich emsige Menschen regen, hereintritt unter all’ diese Erinnerungen verklungener Zeiten. Es ist ringsum zu viel Vergangenheit und die Stimmung, in welche man hier versetzt wird, verträgt sich, so rein und gehoben sie ist, doch nicht mit der rechten Freude an der Gegenwart. Aber freilich mag sich, wer hier dauernd wohnt, gegen einen solchen Eindruck abstumpfen. Der große Ahnherr der Familie, Heinrich der Vierte, wird hoch in Ehren gehalten; man findet mehrere Bilder von ihm und in der Bibliothek prangt in Goldrahmen ein Autograph von seiner Hand.

Die Herzogin enthielt sich seit ihrer Ansiedelung in Oesterreich wohl jeder ernsteren politischen Thätigkeit; zu ihren selbsterlebten Mißerfolgen und Enttäuschungen kamen ja jetzt noch die Zerwürfnisse mit ihren Anverwandten in Folge ihrer zweiten Heirath.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 441. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_441.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)