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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

würde zu weit führen, diese Umwandlung im Einzelnen zu schildern, sie endete damit, daß Langrand und seine Spießgesellen die noch vorhandenen Activen einfach unter sich vertheilten; Alphonse Nothomb bekam 500,000 Francs; dem Herrn de Dekker, dessen Gerechtigkeitsgefühl sich denn doch etwas zu regen begann, wurde mit 460,000 Francs der Mund gestopft; Langrand selbst steckte eine ganze Million in seine Tasche, und Mercier, sein langjähriger Pylades, gab sich mit 960,000 Francs zufrieden, während der fromme Deschamps 630,000 und Duval de Beaulieu 960,000 Francs erhielt! Um aber diese eigenthümliche Fingerfertigkeit zu verheimlichen, hatte Langrand in dem Contract, durch welchen der „International“ die „Hypothekenbank“ in sich aufnahm, die pfiffige Bestimmung getroffen, daß der „International“ alle Pfandbriefe der „Hypothekenbank“ einziehen und seine eigenen dafür ausgeben solle, wodurch dem Princip der „Solidarität“ gemäß eine Vereinigung der beiden Gesellschaften bewerkstelligt wurde, die jede Untersuchung nach den früheren Activ- und Passivverhältnissen der „Hypothekenbank“ unmöglich machte.

Um sich nun der noch nicht abgesetzten Actien des „International“ zu entledigen und um zugleich den Cours derselben in die Höhe zu treiben, wurde in den Zeitungen bekannt gemacht, daß das ganze Capital des „International“ voll gezeichnet und auch voll einbezahlt sei. Das Mittel wirkte ausgezeichnet und jede Actie genoß auf diese Weise eine Prämie von fünfzig Francs, und mit einer Frechheit sonder Gleichen enthielten die Actien die ausdrückliche, von Langrand, Mercier und Nothomb unterzeichnete Bemerkung, daß das ganze Capital vollständig einbezahlt sei. Drei Jahre zuvor wurde in Brüssel ein Banquier Demoors, der das Publicum mit derselben Lüge getäuscht hatte, zu Zwangsarbeit verurtheilt! Ohne den Beistand der klerikalen Presse, deren Spalten in allen möglichen Variationen das Lob des „braven, katholischen Bürgers“ Langrand sangen, wären diese Betrügereien und ihre jahrelange Fortsetzung nicht möglich gewesen. Einzelne klerikale Journale erhielten in jener Zeit 80,000 Francs jährliche Subvention aus der Börse Langrand’s.

Allmählich jedoch begann die öffentliche Meinung zu erwachen.

In dem Journal „Echo du Parlament“ erschien aus der Feder eines gewissen Sir John Patrick O’Neil – die öffentliche Stimme bezeichnete Niemand anders als Frère-Orban selbst als den Verfasser – eine Reihe Briefe, in denen der ganze Betrug Langrand’s und der klerikalen Partei mit unerbittlicher Logik an’s Licht gezogen wurde. Damit war die Brandfackel geworfen, die nunmehr den Streit zwischen der liberalen und klerikalen Partei zu einem geradezu unversöhnlichen machte. Das klerikale Lager lag noch anbetend vor Langrand im Stande, und mit wahrer Berserkerwuth wies sie die ruhigen Angriffe auf die Unternehmungen Langrand’s zurück, alles dem Parteihaß, dem Neid und der Agiotage in die Schuhe schiebend. Es half aber nichts – die Augen des Publicums waren aufgegangen und von diesem Augenblick an verlor Langrand geradezu die Besinnung. Er entwickelte von jetzt an eine geradezu fieberhafte Thätigkeit in der Gründung neuer Unternehmungen, er kauft in Paris die Magasins réunis, in Toulouse erwirbt er, vom „Haußmannsfieber“ angesteckt, einen ganzen Theil der Stadt, tritt mit der italienischen Regierung wegen des Ankaufs der geistlichen Güter in Unterhandlung, kauft in Spanien ungeheure Ländereien, bewirbt sich bei der türkischen Regierung um die Erlaubniß, die rumänischen Eisenbahnen bauen zu dürfen, für die er ein Capital von 800,000,000 Francs nöthig hat, und deren in Aussicht stehende Gewinnste er sofort discontirt, bis die türkische Regierung den betrogenen Actionären einfach erklärt, daß sie eine Concession weder gegeben habe, noch auch jemals geben werde! Das einzige gute Geschäft, das ihm in jener Zeit gelang, war der Erwerb der Concession zum Bau der Linie Kaschau-Oderberg; aber in steter Geldverlegenheit muß er sie zu niedrigem Preis der „Englisch-österreichischen Bank“ überlassen, die im Handumdrehen dreizehn Millionen damit gewinnt, während Langrand von seinen Actionären Geld über Geld fordert, nachdem er sich doch mit seinem Ehrenwort verpflichtet hatte, keine weiteren Einzahlungen zu verlangen. Plötzlich liest man in den Journalen, daß Langrand mit Hülfe deutscher Prinzen und gekrönter Häupter eine neue Bank errichten wird, und in London sieht am 24. Juni 1865 die „Société générale pour favoriser le crédit foncier“ das Tageslicht. Das Actien-Capital beträgt hundertfünfundzwanzig Millionen; fünfundsiebenzig Millionen werden in der That gezeichnet, aber nur die Hälfte davon einbezahlt; die bedeutendsten Theilhaber dieser neuen Bank waren der „Industriel“, der „International“ und der Fürst von Thurn und Taxis; die beiden ersteren bezahlten die Actien der neuen Unternehmung mit ihren eigenen Actien, die sie natürlich ungeheuer hoch anrechneten und in Folge dessen sie einen fictiven Gewinn von vierzehn Millionen buchen konnten. Als diese neue Betrügerei an’s Tageslicht gezogen wurde, hielt es der Kaiser von Oesterreich, als der Vormund des Fürsten von Thurn und Taxis, für seine Pflicht, von Langrand die zwölf und eine halbe Millionen, die der Fürst einbezahlt hatte, zurückzuverlangen; Langrand weigerte sich im Anfange, unterzeichnete aber schließlich eine Urkunde, nach welcher die neue Gesellschaft sich verpflichtete, den vom Fürsten gezeichneten Betrag al pari zurückzunehmen. Die Geldsumme wurde durch Wechsel bezahlt, die durch das Haus Erlanger in Paris indossirt waren; Langrand war schließlich nicht im Stande, die Wechsel zu bezahlen, und der Proceß darüber schwebt noch heute.

Bald darauf trat ein anderes phantastisches Project, eine „banque internationale de crédit agricole“, zu Tage; das Actiencapital war auf hundert Millionen bestimmt; nur zwei wurden aber einbezahlt; diese sind jedoch geradezu spurlos verschwunden, wie man sagt, fanden sie ihren Weg in die Palais verschiedener Bischöfe und anderer hochgestellten Personen!

Im November 1865 wurde in Amsterdam die „Société neerlandaise de crédit foncier“ mit einem Capital von zehn Millionen gegründet; das Geld gab die „Gesellschaft deutscher Prinzen und gekrönter Häupter“ dazu her.

Das Ende dieser Schwindeleien ließ sich voraussehen. Als man schließlich nicht mehr bezahlen konnte, als man Langrand’sche Actien an der Börse für eine Cigarre kaufen konnte und man schließlich selbst für die Uebernahme der noch nicht voll einbezahlten Actien Geld bot, um sich los zu machen, als die Verwaltungsräthe einander in den General-Versammlungen Diebe und Betrüger nannten, als die liberale Presse beinahe jeden Tag neue Betrügereien an’s Licht zog, und als endlich sogar die klerikale Presse ihren Schützling fallen ließ, weil die Subventionen aufhörten und Langrand die unverzeihliche Unvorsichtigkeit begangen hatte, sogar mit dem „Banditen-König“ Victor Emanuel Geschäfte machen zu wollen: da hielt der „Napoleon der Finanzen“, wie er sich selbst mit Vorliebe nannte, die Zeit für gekommen, das Schlachtfeld zu räumen und – nach Amerika zu gehen. Würde er aber heute wieder den Fuß auf belgischen Boden setzen, das erbitterte Volk würde der Justiz alle weitere Mühe sparen und den Betrüger steinigen! –

Man wird versucht sein, zu fragen, wie es nur menschenmöglich war, daß solche notorische Betrügereien so lange fortgesetzt werden konnten, ohne die Dazwischenkunft der Gerichte hervorzurufen. Die einfache Antwort ist die, daß der Schutz der gesammten klerikalen Partei, der Eigennutz und die Geldgier ihrer Führer, die Langrand trefflich auszubeuten wußte, und endlich – oder vielmehr vor Allem – die Verderbtheit der belgischen Gerichte, in denen das klerikale Element noch lange die Oberhand behalten wird, wenn der Justizminister jetzt nicht die günstige Gelegenheit ergreift, um einen großartigen Säuberungsproceß vorzunehmen, diese in der That einzig dastehenden Ungeheuerlichkeiten möglich machte. Merkwürdigerweise ist erst jetzt, also nach Jahren, die ganze Verwerflichkeit an den Tag gekommen, und die schmutzige Wäsche der Klerikalen, die gerade jetzt vor den Augen des ernüchterten Publicums zur Schau gestellt wird, dient sicher nur dazu, um den Mißcredit, in den sich jene Partei gebracht hat, zu einem vollständigen zu machen.

Wie wir oben sahen, wurde der Angriff gegen die Schwindelgeschäfte Langrand’s durch das „Echo du Parlament“ eröffnet; und kaum war der Anfang gemacht, so wurde das Werk von Anderen mit Eifer fortgesetzt; so brachte auch der damalige Secretär der Handelskammer in Brüssel, Eugen de Molinari, der Bruder des Redacteurs des „Journal des Debats“, die Langrand’schen Finanzoperationen unter das zergliedernde Messer seiner Kritik. Alles dies hätte Langrand aber wenig geschadet, wenn er nicht, wie schon erwähnt, durch seine Unterhandlungen mit der italienischen Regierung wegen des Kirchengütergeschäftes die Gunst eines Theils der klerikalen Presse verscherzt hätte, die von diesem Augenblicke an seine erklärte Feindin wurde; freilich mußte er gerade in dieser Zeit die Bezahlung der enormen Summen, die bis jetzt diesen Journalen zugeflossen waren, des immer fühlbarer werdenden Geldmangels wegen einstellen. Die Opposition gegen ihn nahm allmählich Plan und Methode an,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 439. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_439.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)