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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

No. 28. 1870.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.


Die Thurmschwalbe.
Von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)
3.

Nach der Vorderseite nach Süden hin blickte das Schloß in eine hügelige Landschaft voll abwechselnder Kornfluren und Wiesen, dazwischen zerstreut Gehölze von geringer Ausdehnung; nahe liegende Dörfer, aus denen spitze Thürme und Kirchendächer aufragten, bewiesen, daß das Land sehr bevölkert sei. Weiter im Süden dehnten sich blaue Berghöhen; sie lagen jenseits eines bedeutenden Flusses, der zwar nicht schiffbar war, doch reiches Leben an seinen Ufern förderte; er trug Kohlennachen und bewegte Mühlen, Drahtziehereien, Eisenhämmer. –

Von den Fenstern des ersten Stockwerks des Schlosses aus konnte man die Spitzen der Masten der Kohlennachen sehen, wenn sie den Fluß hinunterglitten; es war ein eigenthümlicher, überraschender Anblick, die Masten mit ihren flatternden Wimpeln leise durch Kornfelder und Obstbaumwipfel ziehen zu sehen – den Fluß gewahrte man ja nicht – es hatte etwas von Traum, von Zauberei!

Hinter diesen Fenstern, in einem Saale, der mit einer großen Landschaftstapete bekleidet und oben an der Decke mit reichen Stuckarabesken verziert war, ging ein hoch und schlank gebauter Mann auf und ab. Er mochte fünfunddreißig Jahre oder weniger haben – vielleicht sah er älter aus, als er war; er hatte eine tiefe Furche zwischen den dunklen starken Brauen; das lange schwarze, ganz schlichte Haar, das dicht an seinen Schläfen niederhing, gab dem blassen Gesichte mit den markirten Zügen fast etwas Leidendes, Abgespanntes, wenn die tiefliegenden Augen Ruhe ausdrückten. Wenn er wie stolz oder ungeduldig den Kopf aufwarf und das Auge sich belebte, verschwand dieser Ausdruck ganz. Die Nase war lang und scharf gezeichnet, mit weiten Oeffnungen, der Mund viel voller und weicher als es zu dem männlichen Schnitte des Gesichtes in Harmonie stand.

Der Mann trug einen grünen Jagdrock und über engen gelben Beinkleidern Stiefel mit grauen Klappen und klirrenden Sporen.

Er trat jetzt an das mittlere Fenster und schien die Abendröthe zu betrachten, die über die fernen Höhen hinzog. Ein rosiger Schein fiel von daher in den Saal, und sich wendend, ließ der Schloßherr jetzt sein Auge über die Landschaftstapete ringsumher gleiten, die unter diesem Widerschein ein eigenthümliches Leben bekam.

Es waren Scenerien aus China, die diese Bilder darstellten. Der junge Mann starrte eine Weile auf eine Gruppe gelber Mandarinen, die auf rothen Stühlchen saßen und hohe grüne Pfauenfedern in ihre Zöpflein gesteckt hatten. Dann schlug er plötzlich ein starkes Gelächter auf, das fast unheimlich durch den großen öden Saal widerklang und dessen Echo er selbst mit einem Gesichte belauschte, das ebenso rasch wieder den vollsten Ernst ausdrückte.

„Zwischen diesen Chinesen in diesem leeren alten Hause könnte man verrückt werden,“ sagte er, indem er begann, in rascher Bewegung wieder durch den Raum zu schreiten. „Ich werde mir meine Pferde in diesen Saal stellen lassen, um eine Gesellschaft zu haben, oder ein paar alter Saufbrüder aus unserm Regiment kommen lassen – etwa Staupitz oder Horwath. Sie haben ja jetzt Zeit, seitdem wir Friede haben. Dann hätte ich freilich nur ein Paar andere Thiere da. Ich ziehe die Pferde vor. Wenn nur der Krieg wieder begönne. Doch – sie haben mich ja vom Regimente fortgejagt. Wenn ich wieder Soldat sein will, muß ich schon in die Reihen der Franzosen treten – sie sind ja ohnehin meine Landsleute und Landesherren jetzt – und eher ließe ich mich in Stücke hauen! So müßte ich denn schon auf eigene Faust ein Freicorps stiften wie weiland der Menzel und der Trenck! – Diese tödtliche Einsamkeit! – Daß man auch nichts gelernt hat, als wodurch man von Anderen abhängig wird! Tanzen, Französischreden, Schach spielen, Weiber verführen, immer braucht man ein anderes Menschenkind dazu! Es soll ein lüderlicher, aber kluger und witziger Pfaffe, dem man wegen seines schlechten Lebenswandels von seiner Stelle fortgejagt hat, im Dorfe wohnen, unter der Aufsicht des Pfarrers … Das wäre am Ende mein Mann … ich könnte ihn als Hofnarren brauchen – ohnehin paßten wir zusammen, der weggejagte Pfaffe als Gesellschafter des weggejagten Rittmeisters! Heda, Joseph!“

Auf diesen Ruf, den der „weggejagte Rittmeister“ laut ausstieß, indem er sich einer den Fenstern gegenüberliegenden Flügelthür näherte, öffnete sich diese und ein Jäger trat ein.

„Bringe mir Licht dort in das Cabinet, der Tag ist nun lang genug gewesen; schließ die Blendläden, und sieh, ob Wein da ist!“ rief er diesem entgegen; „dann nimm den Armvoll Bücher vom Tische, bringe sie in die Bibliothek zurück, und bringe einen andern Armvoll daraus her!“

„Zu Befehl, Herr Graf!“ versetzte der Jäger und ging durch die offenstehende Seitenthür in das Cabinet, auf welches sein Herr gedeutet hatte.

Dieser folgte ihm, sah still zu, wie der Diener seine Befehle

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 433. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_433.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)