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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

der ihm so herzlich angebotenen Gastfreundschaft des Präsidenten Juarez von Mexico Gebrauch machen zu müssen. Der schlaue und energische Brigham sucht das ihm drohende Geschick mit aller Macht abzuwenden und bedient sich dazu der verschiedenartigsten Mittel, unter denen die Ertheilung des Stimmrechts an die Frauen und seine Herausforderung des bekannten Geistlichen, des Reverend Dr. Newman, zu einer öffentlichen, im Tabernakel der Salzseestadt abzuhaltenden Disputation über die Berechtigung der Vielweiberei wohl die eigenthümlichsten und zugleich die wirkungslosesten sein dürften.

Dr. Newman hat den ihm hingeworfenen Fehdehandschuh sofort aufgenommen, und das Turnier, in welchem diese im Allgemeinen etwas aus der Mode gekommene Institution

„Durch die Macht der Argumente,
Durch der Logik Kettenschlüsse
Und Citate von Autoren,
Die man anerkennen müsse,“

bekämpft und vertheidigt werden soll, wird demnächst stattfinden. Wer immer aber auch in diesem seltsamen „geistlichen Turnei“ der Sieger bleiben mag, soviel ist gewiß, daß selbst ein unzweifelhafter Sieg Brigham’s nicht sein Schicksal abzuwenden im Stande sein wird. Dem mächtigen Andrange der „christlichen“ Civilisation, welche die unsern Welttheil überspannende Pacific-Eisenbahn plötzlich mit dem Herzen des Mormonismus in so nahe Berührung gebracht hat, wird derselbe nicht zu widerstehen vermögen, und Diejenigen, welche eine öde Sandwüste in ein Paradies verwandelt haben, werden bald der fanatischen Intoleranz des Puritanismus und der Gier nach ihren nunmehr hochcultivirten und werthvollen Ländereien weichen müssen, wie sie diesen selben Verfolgern bereits zweimal das Feld zu räumen gezwungen waren.

Einstweilen erfreut sich der Prophet des „neuen Jerusalem“ seines Lebens im Kreise seiner zahlreichen „schöneren Hälften“, und den vielen Lesern der „Gartenlaube“ dürfte eine Schilderung des Haushaltes dieses merkwürdigen Mannes um so eher willkommen sein, als bis jetzt, soviel ich weiß, außerhalb des „neuen Jerusalem“ noch nichts Verläßliches darüber bekannt geworden ist. Es ist auch in der That nicht so leicht, über diesen Haushalt sichere Daten zu erhalten, denn ein Versuch, in das Innere des „Löwenhauses“, wie der Harem Brigham’s genannt wird, einzudringen, ist mit nicht geringen Schwierigkeiten verbunden. Zwar ist über das „Löwenhaus“ bereits fast ebensoviel geschrieben worden wie über den Harem des Sultans von Constantinopel; indessen zeichnen sich die Schilderungen beider mit dem Schleier des Geheimnisses umgebenen Paläste mehr durch die Phantasie ihrer Verfasser als durch deren Wahrheitsliebe aus. Die Daten dieser Skizze verdanke ich Herrn O. Ditson, einem Gentleman, dessen Zuverlässigkeit über allen Zweifel erhaben ist und dessen Stellung in der Salzseestadt ihm die erwünschteste Gelegenheit zum Sammelm seiner Notizen gegeben hat. Mr. Ditson theilt über die neunundzwanzig Frauen Brigham’s Folgendes mit:

Die einzige Dame, welche jemals zu dem Glauben berechtigt war, die ausschließliche Besitzerin des großen Herzens und der Hand des Propheten zu sein, ist:

Mrs. Young Nr. 1, deren Mädchenname Ann Angell war. Ann Angell ist eine geborene New-Yorkerin, hat nunmehr bereits das fünfzigste Jahr überschritten und während ihrer langjährigen Ehe dem vielverheiratheten Propheten fünf Kinder: Joseph, Brigham, John, Alice und Luna geschenkt. Mrs. Young Nr. 1 ist eine große, würdig aussehende Dame mit eisgrauem Haar, nußbraunen Augen und einem milden und wohlwollenden Antlitz, in welchem sich ein tiefer Kummer, eine trübe Melancholie abspiegeln. Und das ist nur natürlich: ein Herz und eine Hand, auf welche man sich ein ausschließliches Eigenthumsrecht erworben zu haben glaubt, mit achtundzwanzig Colleginnen theilen zu müssen, ist mehr, als ein Weib zu ertragen im Stande ist. Mrs. Young Nr. 1 liebt ihre Kinder auf’s Zärtlichste und bewohnt mit ihnen ein eigenes Haus. Sie war so lange die einzige Gattin Brigham’s, bis

Nr. 2, Lucy Decker Seely, sein für sanftere Gefühle so empfängliches Herz eroberte und er ihr zu Liebe die Polygamie thatsächlich einführte. Lucy zog nämlich mit ihrem Gatten Isaac Seely und ihren beiden Kindern nach Nauvoo, um sich den Mormonen anzuschließen. Mr. Seely fand dies zwar nicht ganz nach seinem Geschmacke, indessen erfüllte er auch diesen Wunsch seiner Frau, wie er ihr Alles zu Liebe that. Lucy sah Brigham, und der erste Augenblick entschied über die Zukunft Beider: sie verliebten sich in einander, Brigham bewies ihr klar und deutlich, daß er ihr eine Rangerhöhung in dieser Welt und die Würde einer Königin in der nächsten verleihen könnte, und Lucy, die so glänzenden Anerbietungen nicht zu widerstehen vermochte, gab dem guten Seely den Laufpaß, ließ sich Brigham „versiegeln“, wie die Trauungs-Ceremonie der Mormonen genannt wird, und lebte fortan mit ihm. Mit Lucy führte Brigham die Polygamie praktisch ein. Mrs. Young Nr. 2 schenkte ihrem Gatten acht Kinder und ist noch immer eine seiner Lieblingsfrauen. Durch besondere Schönheit zeichnet sich diese Dame nicht aus; sie ist klein und corpulent, hat braunes Haar, dunkle Augen, recht freundliche Züge, zarten Teint und kleine Hände und Füße. Lucy ist außer Ann Angell die einzige von Brigham’s Frauen, welche nicht im Löwenhause wohnt. Die Königin der Zukunft unterzieht sich auf dieser Welt einstweilen der Beschäftigung, welche in Anbetracht ihrer einstigen Würde nicht ganz passend erscheint: sie hält nämlich in dem sogenannten „Bienenstock“, von welchem ich noch später sprechen werde, eine Art Kosthaus für die Arbeiter, welche Brigham in seinen Gebäuden und Gärten beschäftigt.

Da Brigham nun einmal glücklich das Eis gebrochen hatte, so setzte er das so erfolgreich begonnene Geschäft mit erneuerter Energie fort und heirathete bald darauf

Nr. 3, Clara Decker. Diese Dame ist Lucy’s Schwester und ebenfalls eine Favoritin des Propheten. Clara ist recht angenehm, intelligent und hübsch, aber von einem etwas beängstigenden Embonpoint. Ihrer Schwester Lucy ist sie in jeder Beziehung überlegen und hat ihren Gatten, dem sie außerordentlich zugethan ist; mit drei Kindern beschenkt. – Mit dem Essen kommt bekanntlich der Appetit, und so heirathete der Prophet auch bald

Nr. 4, Harriet Cook. Harriet ist eine große und schlanke Dame mit hellem Haar, blauen Augen und zartem Teint, aber einer sehr scharfen und spitzen Nase. Wenn ihr gerade nichts in den Weg kommt, ist sie recht angenehm und umgänglich; zu Zeiten aber geht diese zarte und schlanke Dame in einer Art und Weise auf den Propheten los, daß dem armen Manne die Haare zu Berge stehen. Geräth sie einmal in Wuth, so verflucht sie den Propheten mit seiner ganzen Mormonen-Sippschaft und nennt ihn geradezu einen Humbug. Sie hat den Propheten mit einem Sohne beglückt, welcher den beneidenswerthen Ruf hat, der größte Taugenichts in Utah zu sein. So glücklich Harriet den Propheten auch machte, so fühlte er doch bald wieder eine Leere in seinem Herzen und heirathete deshalb

Nr. 5, Lucy Bigelow. Mrs. Young Nr. 5 ist von mittlerer Statur, hat blaue Augen, braunes Haar, eine schön geformte Adlernase und einen hübschen Mund. Sie ist encore jeune, wie die Franzosen sagen, und sehr schön, namentlich im Ballsaale überstrahlt sie ihre sämmtlichen Colleginnen. Dennoch hat sie auf den Propheten sehr wenig oder gar keinen Einfluß und empfängt nur selten seine Besuche. – Um das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden, heirathete Brigham nach kurzer Zeit

Nr. 6, Iwish. Dieses Weib ist klein und dick, hat sandgelbes Haar, blaue Augen, eine niedrige Stirn und ein blühendes, aber stark mit Sommersprossen bedecktes Gesicht. Brigham heirathete sie eigentlich nur, um ihr die Aufsicht über seine Wäsche zu übergeben, und diesen Posten füllt sie jetzt zur allgemeinen Zufriedenheit aus. – Kommt

Nr. 7 und 8, Martha Bowker: kleine Figur, schwarzes Haar und dito Augen. Da ihre Eigenschaften den Propheten nicht zu fesseln vermochten, so folgte ihr bald Harriet Barney, eine schlanke Dame mit nußbraunen Augen, hellbraunem Haar, einem bildschönen Gesicht und einer seltenen Grazie. Sie ist mild und sanft, blieb aber kinderlos.

Nr. 9, Eliza Burgeß, ist in England geboren, und da ihre Eltern in Nauvoo, wohin sie gezogen waren, starben, so nahm sich Brigham der Waise an, adoptirte, erzog und heirathete sie später, um durch sie wiederholt glücklicher Vater zu werden. Sie hat das Aussehen eines englischen Dienstmädchens: kleine und üppige Figur, große und schwarze Augen, schwarzes Haar und ein zartes rundes Gesichtchen.

Nr. 10 und 11. Elle Rockwood ist ein kränklich aussehendes kleines und hageres Frauenzimmerchen mit hellbraunen Augen und zarter Gesichtsfarbe, und beim Propheten so wenig mehr

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 423. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_423.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)