Seite:Die Gartenlaube (1870) 398.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

obgleich gerade die Aussicht vom linken Stromufer auf das gegenüberliegende Rheingau und namentlich an dem durch Napoleon den Ersten errichteten Obelisk, auf der Straße von Ingelheim nach Mainz, eine außergewöhnlich prachtvolle ist. Der Obelisk trägt die Inschrift: „Straße Karl’s des Großen, vollendet im ersten Jahre der Regierung Napoleon’s, Kaisers der Franzosen.“ Aber Land und Weg dieser Gegend sind bei dem Rheinländer anrüchig; sie führen, am Rhein eine Seltenheit,

„Nur Staub und Sand,
und Sand und Staub, als wär’ es im Aegypterland.“

Die Reste des Palastes Karl’s des Großen in Ingelheim sind kaum mehr nennenswerth. Als Goethe Ingelheim besuchte, stellte sich eben nicht mehr von jenem Prachtbau dar als heute. Den[WS 1] Bezirk des ehemaligen Palastes kennt man noch, wenn auch undeutlich, an hohen mittelalterlichen Mauern, die zwar ehedem wohl nicht dem Palaste selbst angehörten, doch in späterer Zeit auf den ursprünglichen Umfassungsmauern errichtet sein dürften.

Von den prächtigen Marmorsäulen dieses hohen Herrschersitzes sind einzelne nach Paris gebracht, auf dem Schillerplatze zu Mainz dient eine solche als Brunnensäule, eine andere befindet sich im Museum zu Wiesbaden und die Säulen am Ziehbrunnen im Hofe des Heidelberger Schlosses stammen ebenfalls vom Ingelheimer Palaste. Die letzte und einzige in Ingelheim selbst ist an dem Eingangsthor des Baron von Harder’schen Besitzthums eingemauert und trägt eine Inschrift aus dem dreißigjährigen Kriege, die wir wörtlich wiedergeben:

„Vor 800 Jahren ist dieser Saal des großen Keysers Carlen, nach ihm Ludtwig des milden Keysers Carlen Sohn, im Jahr 1044 aber Keyser Heinrichs, im Jahre 1360 Kaiser Carlen Königs in Böhmen Pallast gewesen und hat Keyser Carlen der Große, neben anderen gegossenen Seulen, diese Seule aus Italia von Ravenna anhero in diesen Pallast fahren lassen, welche man bei Regierung Keysers Ferdinandi des II. und Königs in Hispanien Philippi des IV., auch derer verordtneter hochlöblicher Regierung in der unteren Pfalz, den 6. Aprilis Anno 1628, als der katholische Glauben wiederumb eingeführt worden ist, aufgerichtet. Münsterius in Historia von Ingelheim, des heil. römisch. Reiches Thal, Fol. DCLXXIX..“

Ingelheim gegenüber, am rechten Stromufer, grüßt das alte Geisenheim mit seinen weitleuchtenden rothen Sandsteinthürmen, gleichfalls eine Stelle geschichtlicher Bedeutung; denn noch steht dort das alte Schönborn’sche Haus, in welchem Kurfürst Johann Philipp von Schönborn das Instrumentum pacis des westphälischen Friedens entwarf. Hier arbeitete der gelehrte Kirchenfürst mit seinem Freunde Leibnitz und auf Anrathen dieses bedeutenden Philosophen an dem leider vergeblichen Versuche einer Vereinigung der katholischen und der evangelischen Kirche. Leider mußte der Kurfürst zu bald einsehen, daß er – nach seinen eigenen Worten – versucht habe, „einen Mohren weiß zu waschen.“

Ueber Winkel und Geisenheim thront der Johannisberg, das „königliche“ Besitzthum des österreichischen Gesandten am französischen Hofe, des Fürsten Richard Metternich. Nur selten wohnt die fürstliche Familie – das glänzende Pariser Hofleben vorziehend – auf diesem „weintriefenden Hügel“. Weilt aber die Familie Metternich in diesen Räumen, dann weht die – österreichische Flagge von den Zinnen des Schlosses. Schwarz-gelb – am Rhein! Das Schloß Johannisberg hat eine eigenthümliche Geschichte. Im Jahre 1805 schenkte Napoleon der Erste den Johannisberg dem Marschall Kellermann. Vor dem Marschall Kellermann, Duc de Valmy, war der Johannisberg 1803 an Wilhelm von Oranien gekommen und 1814 sollte ihn der alte Vater Blücher als Geschenk von Friedrich Wilhelm dem Dritten von Preußen erhalten. Die Schenkung unterblieb und Oesterreich gab zwei Jahre später den Berg der Metternich’schen Familie, nach eingeholter Zustimmung der Verbündeten, zu Lehen, als eine Belohnung für treue Dienste zur Erhaltung dynastischer Interessen.

Vordem aber besaßen den Berg des Täufers unter dem Namen Bischofsberg die frommen Mönche des Klosters St. Johannis, welches Bischof Ruthard von Mainz um 1106 gründete.

Dem Rheingauer ist die Mähr von den weinseligen Johannisberger Mönchen eine anheimelnde Erinnerung:

Die Mönche von Johannisberg,
Die lebten schön unsäglich –
Sie sah’n tagtäglich weit in’s Land,
Und weit in’s Land tagtäglich.
Und wenn sie starben, klagten sie,
Daß diese Welt so toll war
Und daß sie scheiden mußten, ach!
Vom Keller – der noch voll war.

An der Capelle des Schlosses ruhen die sterblichen Reste eines deutschen Geschichtsforschers und Poeten ohne – Herz. Niclas Vogt, Professor der Geschichte an der Universität Mainz, der Lehrer des Fürsten Metternich, der „eifrige Förderer heimathlicher Geschichte, der begeisterte Freund des rheinischen Volkes“, ward an der Außenseite der Capelle, das Haupt seiner Vaterstadt Mainz zugewendet, bestattet, während sein Grabdenkmal, „errichtet von C. W. L. Fürst von Metternich“, im Innern der Capelle selbst angebracht ist. Das Herz Vogt’s aber wurde auf seinen besondern Wunsch, von einer silbernen Kapsel umschlossen, mitten im Rhein, im sogenannten Mühlstein gegenüber Bingen, eingemauert. Ein schwarzes Eisenkreuzlein bezeichnet die Stelle, die freilich nur selten dem Rheinreisenden auffällt. Geschäftig aber rauschen an dem weit in’s Strombett vorgeschobenen Mühlstein vorüber die Wellen des Stromes dahin und erzählen nächtlich von den Sagen und zauberischen Märchen des Rheines.

Nur wenige Schritte rheinab führen den Wanderer von Rüdesheim zum Mühlstein. Wir aber haben gleichzeitig Rüdesheim, das weingepriesene erreicht, dessen Kirchthurm eine unerklärte Knaufzierde, den türkischen Halbmond, zeigt, während vom jenseitigen Ufer die St. Rochuscapelle herüberleuchtet.

Rheinab zeigt sich, am Durchbruch des rheinischen Schiefergebirges, umspült von den Wellen des Binger Lochs, der sagenreiche Mäusethurm, der erste Markstein rheinischer Burgen-Romantik. Das Lob von Bingen preise, bis uns die Gartenlaube gestattet, den freundlichen Leser weiter zu führen auf den Wellen des romantischen Stromes, Kobell, ein Poet, der seiner Vaterstadt ein dichterisches Denkmal geweiht:

Die herrlichscht’ Gegend am ganze Rhei’
Des is die Gegend vun Binge,
Es wachst der allerbeschte Wei’
Der Scharlach wachst bei Binge! – –
Ke’ Loch is uf der ganze Welt
So berühmt wie deß vun Binge,
Ke’ Thorn so keck in’s Wasser g’stellt
Wie der im Rhei’ bei Binge.
Die Mäus’ vom Bischof Hatto, sich’ (sieh’),
Sie schwumme bis nach Binge.
Ke’ G’schicht’ war je so ferchterlich,
Wie selli dort bei Binge! –

Ferd. Hey’l.


Schulkindkrankheiten oder Schulkrankheiten?
Ohne phosphorhaltiges Gehirn kein Verstand, kein Gemüth, kein Wille, also keine geistige Thätigkeit.
Strafpredigt für Eltern, Lehrer und Schulvorsteher.
IV.

Das Sinneswerkzeug, welches in den Schuljahren, aber ebenso im elterlichen Hause wie in der Schule, am meisten mißhandelt wird, ist das Auge, und diese Mißhandlung zieht sehr häufig derartige bleibende Nachtheile beim Schulkinde nach sich, daß dadurch hindernd in das spätere Fortkommen desselben eingegriffen wird. Es ist eine traurige Thatsache, daß eine große Menge von Menschen schon in ihren Schuljahren durch eine falsche Behandlung ihres Sehorgans für eine nicht geringe Zahl von Berufsarten, bei denen ein gutes dauerhaftes Auge erforderlich ist, geradezu untauglich gemacht werden, und daß sie, wenn sie trotz ihres geschwächten Auges doch einen solchen Beruf ergreifen und denselben dann später, wegen eingetretener Arbeitsunfähigkeit des Auges,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Denn
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 398. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_398.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)