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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Berg, dem der Quell entspringt, heißt Strahlenberg. Nachdem nun die Erbacher ihre Inschrift angefertigt, und dieselbe vor Aller Augen enthüllt hatten, erbosten sich darob die angrenzenden Hattenheimer, in deren Gemarkung der größte Theil des genannten renommirten Weinbezirks liegt; sie verfaßten daher folgende Gegeninschrift:

„So ist es recht und so soll es sein,
Für Erbach das Wasser, für Hattenheim den Wein!“

Seit Kurzem ist nun auch ein Stück amerikanischen Verkehrs und Treibens auf den Rhein verpflanzt. Die Directionen der vereinigten Kölner und Düsseldorfer Dampfschifffahrts-Gesellschaften haben Dampfboote bauen lassen, die, getreu nach amerikanischem Muster ausgeführt, allen Raum auf Deck haben und dem Reisenden eine unbeschränkte Rundschau auf die malerischen Stromufer gestatten. Der Zudrang zu diesen Booten war in den letzten Sommern massenhaft; die Zahl der von der Gesellschaft ausgegebenen Fahrkarten stellt sich auf ungefähr ein und eine halbe Million im Laufe eines Jahres.

Wie die Perle in verschlossener Schale ihren Glanz verbirgt, so versteckt der Rhein seine strahlendsten Edelsteine in bescheidenem Dunkel, in stillen Seitenthälern. Unweit Eltville, in dem als Wallfahrtsort viel besuchten Dorfe Kidrich erheben sich zwei Kirchen gothischen Styles, wie sie selten schöner und reiner in Anlage und Ausführung vorhanden sind. „Wie das Kind bei der Mutter“ steht die St. Michaelscapelle mit dem gothisch durchbrochenen Thurmhelm neben der größeren St. Valentinskirche, deren treffliches Portal, Façade und kunstvolles Chorgewölbe Simrock hauptsächlich hervorhebt.

An einem heißen Sommerabende wanderte ein Engländer, als bescheidener Fußgänger, dem Dörfchen Kidrich zu. Nachdem er erstaunt die beiden Kirchen betrachtet und unter Leitung des Ortslehrers die Orgel der Valentinskirche selbst probirt und gespielt, bittet er den Pfarrverwalter des Ortes um ein Nachtquartier. Entzückt von den beiden Kirchen schwärmt unser Englishman, nicht ohne Kunstverständniß, wenn auch in sehr mangelhaftem Deutsch, von dem stylgerechten Bau der beiden Gotteshäuser, dem kunstvollen Schnitzwerk der Chorstühle, dem reichen Blätterwerk am Thurm, den trefflichen Spitzbogen der Fenster und dem vollendet schönen Ton der Orgel in St. Valentin. Er verweilt mehrere Tage in Kidrich, beschwört den Pfarrverwalter, alles unnöthige Beiwerk an Bretterverschalung und sinnloser Zierrath, die sogar den prächtigen Lettner verunstaltete, in den Kirchen zu beseitigen, und erbietet sich, die Orgel von St. Valentin auf eigene Kosten herstellen zu lassen. Mit diesem Versprechen scheidet er und läßt bis zum nächsten Lenze den geistlichen Freund in Kidrich ohne Nachricht. Dann aber erscheint er wieder und zwar begleitet von einem Orgelbauer aus Brüssel, der indeß bald erklärt, die Orgel nur in seiner Werkstatt in Belgien repariren zu können. Der Pfarrverwalter, in gutem Glauben an des Engländers Rechtlichkeit, gestattet, daß das Orgelwerk aller unnöthigen Verschalungen entkleidet wird, und es entpuppt sich in der That ein Instrument, daß der belgische Künstler des Entzückens und Lobes kein Ende findet. Engländer und Orgelbauer entfernen sich mit der Orgel, und – man male sich den Schrecken und die Angst des Pfarrverwalters – alle Nachrichten bleiben von da ab aus, die Orgel kam vorläufig nicht wieder. Da, eines Tages hält das Werk neu und stattlich, mit ihm der Engländer, seinen Einzug in Kidrich. Mister Sutton, so heißt der originelle Renovator, erklärt seinen Entschluß, die Kirche vollständig herstellen zu lassen und wer heute, nach kurzer Frist, nach Kidrich kommt, mag ob der Munificenz staunen, die ein Fremdling unseren heimischen Baudenkmalen angedeihen läßt. Vollendet ist St. Michael, fast vollendet die Restauration der St. Valentinskirche, und Hunderttausende hat Mister Sutton zur Herstellung dieser Prachtbauten verwendet. Das Schnitzwerk der Stühle, eine Arbeit des Meisters Erhard Salnecker von Abensberg (1510), die Malerei der Deckengewölbe, sämmtliche Bildhauerarbeit ist so stylgerecht restaurirt und hergestellt, daß nunmehr beide Kirchen als Muster für jeden Bautechniker gelten können. In Kidrich selbst aber erheben sich zwei neue Gebäude, ein Maler- und ein Bildhauer-Atelier, welche treffliche Künstler beschäftigen und den Beginn einer Kunstschule für das Rheingau bilden. Denn so bald die Herstellung der Kidricher Bauwerke ganz beendet, will Mister Sutton seine segensreiche Thätigkeit auch auf die vielen anderen Baudenkmale des Rheingaus erstrecken. Ehre dem bescheidenen Kunstfreunde, der bei den mäßigsten persönlichen Ansprüchen an das Leben so reiche und allgemeine Opfer bringt!

Aber siehe da! Schon haben wir Eltville, den Hauptort des Rheingaus, erreicht. Vielthürmig schaut das malerische Städtchen in die grünen Wellen des vorüberrauschenden Stromes. Wohl hat es der historischen Erinnerungen gar manche in seinen Chroniken verzeichnet, wenn auch seine Abstammung aus der Römer Zeiten (alta villa) sehr fraglich erscheint. Aus der carolingischen Zeit schreibt sich nach Simrock seine Gründung; um das Jahr 959 erscheint Eltville zuerst unter seinem lateinischen Namen. Was uns bei Eltville beachtenswerth dünkt, ist eine Erinnerung an Gutenberg, deren an anderen Orten noch wenig Erwähnung geschehen.

Als eben Gutenberg die Welt mit jener Kunst beschenkt hatte, die größere Revolutionen auf geistigem Gebiete zu Wege gebracht, als jahrelange Kriege auf politischem, bemächtigte Fust, sein Theilhaber und Genosse, sich der Werkzeuge des eigentlichen Erfinders auf eine eben nicht edle Art. Fust und Peter Schöffer, die Mitwisser der Erfindung und vielleicht auch die weiteren Ausbilder des Gußverfahrens der Gutenberg’schen Schriftgießerei, hatten Gutenberg zum Weiterführen seiner Erfindung Darlehen geleistet, für welche letzterer seine Werkzeuge zum Pfande schrieb. Um den Vortheil der Erfindung allein auszunutzen, verlangte Fust sein Darlehen just in dem Augenblicke zurück, als die gemeinschaftliche Druckerei gerade auf dem Punkte stand – einträglich zu werden. Gutenberg wurde beseitigt und Fust und Schöffer führten das Geschäft mit des Meisters Werkzeugen selbstständig fort, während Gutenberg durch Unterstützung des Mainzer Rathsherrn Conrad Hummer sein eigenes Druckhaus zu Mainz gründete. Da tauchten plötzlich in Eltville im Jahre 1462 drei Schüler Gutenberg’s, der Patricier Heinrich Bechtelmünze, dessen Bruder Nicolaus und Wiegand Spieß von Ortenberg, auf und gründeten in Eltville die zweite deutsche Buchdruckerei, indeß Gutenberg’s Druckerei bis 1465 in Mainz fortbestand.

An der Kirchhofmauer des Städtchens aber zeugt heute noch ein großer, glatt polirter Grabstein von Schiefer (Lei, nach rheinischem Ausdruck) für diese historisch interessante Thatsache. Er gilt einem Jakob von Sorgenloch, genannt Genßfleisch, einem Verwandten Gutenberg’s. Nach Simrock’s Forschungen ward dieses „Vetters Vermählung mit einer Tochter Heinrich’s Bechtelmünze für Gutenberg Veranlassung, sich am Abend seines Lebens dort niederzulassen“.

Aus der Druckerei dieses Bechtelmünze zu Eltville gingen, zum Theil mit Werkzeugen Gutenberg’s, mehrere höchst seltene Druckwerke hervor, so das Vocabulum latino-teutonicum. Das Druckhaus selbst war muthmaßlich die jetzige Frühmesserei. Wenige Jahre später gründeten die Kogelherren des nahe Klosters Marienthal mit den Eltviller Druckwerkzeugen eine Druckerei und cultivirten mit Erfolg diese „Teufelskunst“.

Dem Rhein ferner, in ein idyllisches Thälchen gebettet, liegt Kloster Eberbach, dessen fromme Insassen einst treffliche Seelsorger, aber offenbar noch bessere Winzer waren. Dicht dabei erheben sich die langgestreckten Gebäude der Irrenanstalt Eichberg, gegenüber ragt die Einfassungsmauer des Steinberg auf und aus der Ferne grüßt freundlich das Weindorf Hallgarten, wo von Itzstein, der badische Volksmann, seine letzten Jahre verlebte und starb. Die Gartenlaube hat kürzlich (Jahrgang 1868, Nr. 8) dieser interessanten Oertlichkeit ausführlicher gedacht.

Winkel, das langgestreckte, „durchaus nicht winkelhafte“, das – nach Goethe – „bis zur Ungeduld des Reisenden in die Länge gezogene“ Winkel, gewährt ein stattliches Bild vom Rheine aus. Es sind drei Ortschaften, die hier aneinander gereiht ihre Frontseiten dem Flusse zuwenden, malerisch gekrönt von der St. Aegidienkirche des mittelsten Ortes Mittelheim.

Für uns hat Winkel eine größere Bedeutung. Goethe weilte hier im Jahre 1814 und schrieb seine Notizen zur „Rheinreise“ und den Anfang der trefflichen Schilderung: „Das Rochusfest bei Bingen“, welche letztere er in Tannstädt vollendete. Er wohnte in dem Hause der „geliebten wie verehrten“ Patricier-Familie Brentano-Birckenstock (jetzt Brentano-Pfeiffer), und im selben Hause schrieb Bettina von Arnim, Clemens Brentano’s Schwester, ihre Briefe an Goethe nach Weimar. Die Briefe entstanden hier

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 395. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_395.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)