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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Mann feindlichen, das heißt preußischen Militärs: Cura confoederationis conditum – durch die Sorgfalt des Bundes!

Zur Zeit, als Nicolaus Becker sein Rheinlied: „Sie sollen ihn nicht haben“ sang und die ganze deutsche Nation die im Grunde doch wenig poetischen Verse von den „gier’gen Raben“ singend weiter und weiter trug, ereignete sich zwischen Mainz und Biebrich, dem nächsten Orte auf dem rechten Rheinufer ein kleinstaatlicher Scherz drolligster Art. Das linke Rheinufer – hessendarmstädtisch – und das rechte – nassauisch – stritten sich um das Fahrwasser des Rheines und versuchten durch Uferbauten und Abdämmungen den Strom in veränderten Lauf zu drängen. Die abenteuerlichsten Versuche wurden in’s Werk gerichtet, und eines Abends (am 1. März 1841) lichtete bei Mainz eine „nächtliche Flotte“ von ungefähr sechszig Rheinschiffen die Anker und schwamm stromab. Die Schiffe waren mit Steinen jeden, auch größten Calibers befrachtet, und als sie Biebrich gegenüber das festgesetzte Ziel erreichten, spieen die steinbeladenen Ungeheuer ihren Inhalt aus und pflasterten mit diesen Steinmassen das keusche Bett des deutschesten Stromes, nur – um eine harmlose Fluß-Correction zu Wege zu bringen.

Darauf beziehen sich die oft mißverstandenen Verse Heinrich Heine’s:

„Zu Biebrich hab’ ich Steine verschluckt,
Wahrhaftig, die schmeckten nicht lecker!
Doch schwerer liegen im Magen mir
Die Verse von – Nicolaus Becker!“

Die Sache konnte nicht verschwiegen bleiben, führte zu Proceß und Streitigkeiten zwischen den betreffenden Regierungen, und obwohl der Rhein sich von seinem selbstgewählten Pfade nur unbedeutend abbringen ließ, mußte die hessendarmstädtische Regierung die Steine wieder – herausholen lassen. Der Nibelungenschatz liegt im Rhein – und harrt seines Finders – jener nebelnächtlich versenkte Steinschatz ward am Rhein der „Nebeljungenschatz“ genannt.

Imponirend und malerisch streckt sich das Biebricher Schloß am Ufer des Rheins hin, eine frischgrüne Allee überragend. Auf dem Dachrande des Schlosses zeugen noch heute zerschmetterte Steinfiguren mit fehlenden Armen und Köpfen von der Beschießung des Schlosses durch die Franzosen im Jahre 1793, deren Geschütze auf der gegenüberliegenden Petersau – Auen werden die Inseln des Rheines sämmtlich genannt – ihre mörderischen Mündungen gen Mainz und die Umgegend richteten. Die stattliche Caserne dicht am Ufer des Rheines hat die preußische Regierung zu einer Unterofficiersschule eingerichtet, welche über fünfhundert Zöglinge zählt.

Jetzt ist das Biebricher Schloß Privatbesitz eines depossedirten Regenten, der sich einst den reichsten Fürsten nennen konnte, wenn er seines kleinen blühenden Ländchens gedachte. Und doch war kein Friede in diesen Räumen. Der Streit mit seinem Volke, genährt durch verblendete Rathgeber, ließ den Fürsten nicht zur Ruhe im eigenen Lande kommen. Auch die Gartenlaube hat des Herzogs von Nassau erwähnt und seine politischen Fehler offen und scharf beleuchtet. Seiner Wohlthaten ist wenig Erwähnung gethan, seiner Liebe zu den Seinigen hat selten Jemand gedacht, und mancher Verleumdung, hervorgerufen durch politische Erregung, ist der Mensch über dem Regenten zum Opfer gefallen. Nie hat sich der Herzog von Nassau, wie so oft behauptet wurde, an den Einnahmen des Spiels in Wiesbaden bereichert, nie auch nur den unbedeutendsten Vortheil für seine Person und seine Privatcasse aus diesen Einkünften gezogen, und als sein Geschick ihn aus dem Lande trieb, hat der Mensch im Regenten nach wie vor die unendlich zahlreichen Bittgesuche um Unterstützung auch in der Ferne fürstlich berücksichtigt, selbst in der Zeit vor dem Abschluß jenes Vertrages mit Preußen, in welchem er vielleicht selbst nichts sein Eigen nennen konnte. Deshalb erregte das günstige Abkommen, welches die Krone Preußen in edelster Weise dem entthronten Fürsten zugestand, keine Mißstimmung bei der Bevölkerung, und hat die lindernde Zeit einen Schleier über die Ereignisse jener Tage gebreitet, so wird auch Herzog Adolph, mit dem Geschicke versöhnt, einer heiteren Zukunft entgegenschauen können.

Nicht allzufern von Biebrich bildet – die Extreme berühren sich – die ehemalige Bismarcks-Au, nunmehr mit dem Lande verbunden, einen neuen Winterhafen des Dorfes Schierstein. Die Bezeichnung Bismarcks-Au, die halb schon der Vergessenheit anheimgefallen war, wird vielleicht jetzt wieder zu ihrem Rechte kommen, wenn auch der Name der Insel zu dem des bedeutendsten Staatsmannes unserer Zeit in keiner Beziehung steht – er stammt von einer rheinischen Familie Bismarck-Schierstein, den früheren Besitzern der Insel. Die Auen des Rheines führen zum großen Theil die Namen begüterter rheinischer Adelsgeschlechter; so heißt die Rettbergs-Au bei Biebrich nach der Familie von Rettberg, die Langwerther Au nach den Langwerth von Simmern, und fällt dem Rhein-Reisenden die Bezeichnung westphälische Au am Mittelrhein auf, so denke er beileibe nicht an die Provinz Westphalen, sondern an den Grafen von Westphalen, der diese Insel aus der Taufe hob.

Das eigentliche Rheingau beginnt, der wunderbare Weingarten Deutschlands. Saftige Waldgebirge in der Ferne, näher sanft anstrebende Rebenhalden rahmen den Fluß ein. Das linke Rheinufer schmückt das Bild durch dunkelgrüne Tannenwaldungen.

Hier war – bei dem allen Rheinreisenden bekannten Orte Nieder-Walluf – die mittelalterliche Grenze des Rheingaus, eingeschlossen durch die eigenthümlichste Befestigung, welche die Geschichte überhaupt kennt. Das Gebück, ein künstlicher Verhau durch Strauchwerk, einzelne Bäume und undurchdringliche Waldung gebildet, gedeckt durch eine Anzahl (sechszehn) Befestigungsthürme, wehrte Jedem den Eingang, und Beschädigung dieses natürlichen Grenzwerks, durch Beseitigung einzelner Sträucher und Zweige, strafte das mittelalterliche Gesetz – mit dem Tode. Bernhard von Weimar durchbrach 1631 zuerst diesen künstlichen Verhau. Reste der Bedeckungsthürme sind noch vorhanden. –

In der Ferne, hoch über den Rebhügeln des rechten Rheinufers, ragt der spitze Kirchthurm des Dorfes Rauenthal empor. Es muß den schlichten Bewohnern des idyllischen Dörfchens eine seltene Genugthuung gewähren, daß ihr Rebensaft den ritterlichen Kämpen von Steinberg und Johannisberg den Rang auf allen neueren Ausstellungen (1863 Wiesbaden und Hamburg, 1865 Köln, 1867 Paris) streitig machte.

Darum sei auch an dieser Stelle des rüstigen Strebens, des Fleißes dieses rührigen Winzerdörfleins anerkennend gedacht. Vergessen dürfen wir dabei des Mannes nicht, der als kühner Streiter mit Muth und Capital für die Güte des Rauenthalers aller Orten in die Schranken trat. Es ist dies der Procurator August Wilhelmj in Wiesbaden, der Vater des in Deutschland wohlbekannten, in Leipzig durch David gebildeten Violinvirtuosen A. Wilhelmj. Vater und Sohn erinnern an Giovanni Battista Viotti (1753–1824), den bekannten Geigenkönig in London, der seine wunderbaren Violincompositionen als passionirter Weinhändler – im Keller schrieb. Gott Bacchus hob Viotti’s Kinder aus der Taufe. Wilhelm’s unermüdlichem Streben verdanken die Rauenthaler Weine ihre jetzt unbestrittene Anerkennung – ihm gebührte ein Denkmal an den Ufern des Rheines.

Rheingau – Weingau! Wir sind jetzt mitten in dem gesegneten Landstrich, dem Deutschland den Ruf seiner Weine verdankt.

„Ein Eden, lebt das Rheingau in aller Dichter Mund,
Als deutschen Landes Weingau preis’t ihn das Erdenrund!“

Und dieses paradiesische Stückchen Erde bewohnt ein fleißiger, rühriger Menschenschlag, voll Humors und frischen Lebens, von dem Engelmann sagt: „Die Rheingauer gehören nicht zu den vielgewanderten deutschen Volksstämmen und behielten daher lange ihren Urcharakter. Redlichkeit, Treue, reines Naturgefühl und offene derbe Wahrheitsliebe sind ihnen angeboren.“ –

Es folgen jetzt die anheimelnden Namen der eigentlichen Weinorte schnell aufeinander. Hattenheim, Gräfenberg, Marcobrunn, Ingelheim, Geisenheim und Rüdesheim kennt Jeder, selbst wer den Rhein nie bereiste, und auch der Nichtdeutsche hat Achtung vor dem verbürgten Ruf dieser trefflichen Weingelände. Der gute Wein dieser bevorzugten Orte giebt wohl hier und da Veranlassung zu Neckereien und Disput unter den Ortsbewohnern. So ließen die Gemeindevorsteher des Oertchens Erbach unlängst den Markbrunnen (Marcobrunn) erneuern und mit einer Inschrift versehen: „Marcobrunn, Gemeinde Erbach“. – Die Gemarkung Marcobrunn führt nämlich ihren Namen von einem klaren Quell guten Bergwassers, der hier inmitten der Weinberge entsprudelt. Die Bezeichnung Marco-Brunnen rührt offenbar von „Mark“ (Grenze) her, während Andere dem St. Marcus eine Pathenstelle zuschieben, das Volk selbst aber nennt ihn einfach den Marktbrunnen; der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_394.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)