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verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

in Staub und flimmernde Splitterchen, zwischen denen wir bei näherer Betrachtung die haarfeinen Grätenreste erkennen. Diese geringe Haltbarkeit der „Gegräte“ mag Ursache sein, daß man dieselben so selten im Freien findet. Scheint dem Vogel der Platz unergiebig, so streicht er plötzlich – meistens einen schrillen Pfiff ausstoßend – davon und seinem nächsten Fischplatze zu, denn jeder Vogel hat in seinem Reviere, welches er hartnäckig gegen alle Concurrenz behauptet, eine ganze Anzahl bestimmter Fangorte, welche er regelmäßig besucht. Er fliegt meistens[WS 1] in einem kleinen aufwärts gehenden Bogen ab, streicht dann aber gerade aus, in geringer Höhe über dem Wasserspiegel und dem Ufer folgend. Starke Krümmungen des Wassers, sowie bewohnte Uferstrecken, sucht er abzuschneiden, indem er auf bestimmten Linien – oft zwischen Gehöften und Wirthschaftsgärten hindurch – quer über Land in reißender Schnelle hinstreicht.

Der weithin hörbare schrillende Laut des Eisvogels klingt etwa „Tsiet!“ und wird meistens zwei, selten drei Mal hintereinander wiederholt. Er ist in geringer Aenderung zugleich Lock- und Angstruf und erinnert an den metallischen Laut der Spechte. Es ist eine jener eigenthümlichen Vogelstimmen, welche, einmal gehört, nie wieder mit anderen, wenn auch nahe verwandten Tönen verwechselt werden, vorausgesetzt, daß der Hörer überhaupt ein Gedächtniß für Vogelstimmen hat, was bekanntlich mit dem „musikalischen Gehör“ gar nichts zu thun hat.

Früh im Jahre beginnt die Paarungszeit des Eisvogels, und wir sehen unseren Einsiedler nun in Begleitung seines Weibchens am Ufer auf und ab streichen, um einen geeigneten Nistplatz ausfindig zu machen. Für letztern Zweck dient eine enge, anderthalb bis drei Fuß lange einfache Erdröhre, an deren etwas erweitertem Ende im Mai oder Juni sechs bis zehn weiße Eier gefunden werden. Meistens ist die Röhre an abschüssigen, glatten Ufern einige Fuß über dem Wasserspiegel gelegen, so daß sie weder durch Hochwasser, noch durch Raubzeug erreicht werden kann.

In Betreff des eigentlichen „Nestes“ herrschen verschiedene Ansichten, was bei der ziemlichen Seltenheit des Gegenstandes und in Betracht der örtlichen Schwierigkeiten, welche sich dem Ausgraben meist entgegenstellen, eben nicht zu verwundern ist. – Meistens verhindert der Oberwuchs (Weidengebüsch) das Durchgraben von der Landseite, während die Röhre zu hoch über dem Wasser belegen ist, um vom Kahn aus bequem erreicht zu werden. Wo aber keine derartigen Hindernisse vorliegen, wird die enge Röhre zu Zeiten leicht beim Ausgraben verschüttet und derartig verunstaltet, daß es schwer hält, ihre frühere Beschaffenheit zu erkennen. Um Letzteres zu vermeiden, ließ der berühmte Ornithologe Gould zuvor einen Haufen Baumwolle von der Eingangsröhre aus auf und über das Nest stopfen und dann vorsichtig von oben bis zur Baumwolle durchgraben. In dieser Weise ward ein vollkommenes Nest mit acht Eiern unbeschädigt an’s Tageslicht befördert, welches dem Britischen Museum überliefert wurde. Die Wände (walls) dieses Restes sollen aus Fischgräten bestehen und einen halben Zoll englisch im Durchmesser halten. – Fischer von Profession behaupten in der Regel, der Eisvogel baue ein förmliches Nest aus Fischgräten. Dagegen haben unsere tüchtigsten deutschen Vogelkenner, Naumann und der alte Brehm, nur eine Unterlage von Gräten gefunden, und wir können uns vorläufig dabei beruhigen. Wahrscheinlich werden die Eier zuerst auf den bloßen Sand gelegt; da ein solcher Nistplatz aber oft viele Jahre hintereinander benutzt wird, so werden die Reste der eingeschleppten und vertrockneten Fische, sowie die ausgeworfenen Grätenballen und sonstiger Unrath im Laufe der Zeit eine krustenförmige Unterlage bilden, welche, den Wänden der Höhlung entsprechend, zuletzt eine Nestform annehmen muß.

Mit Eintritt der kalten Jahreszeit, namentlich bei anhaltendem Regen, mag es unserm Eisvogel bereits sauer genug werden, seinen Appetit in gewohnter Weise zu stillen, da der Fisch jetzt schon, um der Kälte zu entgehen, tiefer am Grunde des Wassers geht. Wir sehen unsern Vogel deshalb um diese Zeit schon häufiger an den Fischweihern und Setzteichen erscheinen; sobald aber diese gefrieren, kehrt er wieder zum fließenden Wasser zurück. – Anhaltender Frost, welcher einen Eisrand am ganzen Flußufer entlang erzeugt, bringt unserm Eisvogel bittre Noth, denn sein eigentliches Fischterrain ist nun völlig geschlossen. Was nützt dem armen Schelm das breite offene Fahrwasser des Stromes? Um hier zu fischen, reicht weder seine Flugkraft, noch sein geringes Tauchertalent und Schwimmvermögen aus. Die kleinen Fischchen, welche er überhaupt bewältigen kann, meiden die Strömung und das tiefere Wasser, und halten sich schon aus Furcht vor den größeren Raubfischen in der Nähe des Ufers. Die Noth steigt mit jedem Tage, und bald sehen wir den sonst so menschenscheuen Vogel, von Hunger und Kälte getrieben, mitten in bewohnten Orten unter dem Gewühl der Brücken und am Ausfluß der Canäle erscheinen, und in den Sicherheitshäfen zwischen eingefrorenen Dampfern und Schleppkähnen jede freie Wasserstelle aufsuchen, wo nur Menschenthätigkeit das Eis durchbrochen. Man kann mit Sicherheit annehmen, daß in strengen, anhaltenden Wintern mindestens zwei Drittel der schönen Vögel elend zu Grunde gehen. Andererseits müßte ihre Anzahl Legion sein, denn der Eisvogel vermehrt sich sehr stark und hat in Folge seiner Lebensweise keinen einzigen Feind, der ihm sonderlich schaden könnte.

Wir kommen nun zu dem Benehmen unseres Vogels in der Gefangenschaft. Einsender hat schon früher, namentlich aber im letztverflossenen Winter, wiederholt Versuche gemacht, lebend eingefangene Eisvögel an die Gefangenschaft zu gewöhnen, um sie näher beobachten und später einem zoologischen Garten übergeben zu können, denn als Zimmergäste sind sie für die Dauer durchaus nicht zu empfehlen. – Durch frühere Erfahrung belehrt, hatte ich dieses Mal bei Zeiten ein geräumiges Gebauer mit Netzwänden, Wasserbassin und einem Hintergrunde von Schilf und Gezweige herrichten lassen, auch für eine ausreichende Quantität lebender Fischchen schon im Herbste gesorgt. Es hing also nur von den Eisvögeln ab, sich in einem kleinen Fischerparadiese zu denken. – Anfänglich glaubte ich, den wild eingefangenen Vogel wenigstens am ersten Tage „stopfen“ (d. h. Fische mit der Hand in den Schlund des Vogels bringen) zu müssen, indeß ist dies ganz überflüssig, besonders, wenn bereits ein eingewöhnter Vogel im Käfig befindlich.

Der neue Ankömmling stürmt zunächst pfeifend gegen die Netzwand, flattert einen Augenblick hin und her, ohne einen Anhaltepunkt zu finden, und läßt sich dann irgendwo im Gezweige nieder. Er sitzt nun hoch aufgerichtet, mit Hals und Kopf in eigenthümlicher Weise fortwährend auf und nieder ruckend, während das kurze Schwänzchen in entsprechendem Tempo aufwärts wippt. Nach einer Weile scheint er sich etwas zu beruhigen und eine seitliche Richtung des langen Schnabels läßt schließen, daß er die Fischchen im Bassin beobachtet. Er scheint nur der Umgebung nicht zu trauen und wir ziehen uns vorsichtig zurück. Nach längerer oder kürzerer Pause erschallt plötzlich ein lauter Platsch! – Der Vogel hat sich in’s Bassin gestürzt, und wie wir den Kopf wenden, sitzt er bereits wieder auf dem Rande des Bassins, stolz aufgerichtet, den gefangenen, silberglänzenden, zappelnden Fisch quer im Schnabel haltend – ein reizender Anblick! – Der Vogel verharrt unbeweglich, wie ausgestopft, in seiner Stellung, und wir glauben schon, daß er sich fürchtet, in unserer Gegenwart den Fisch zu verzehren. Allein diese Pause wiederholt sich, namentlich bei größeren Fischen, nach jedem Fange und hat augenscheinlich nur den Zweck, das Mattwerden und Absterben des Fischchens an der Luft abzuwarten. Bei dem weichen Leben dieser kleinen Geschöpfe ist dies schon nach einigen Augenblicken der Fall, und der Vogel läßt nun, ohne sich irgendwie zu rühren, den glatten Fisch langsam seitwärts durch den Schnabel gleiten. Wir fürchten, sein Raub müsse ihm im nächsten Augenblicke entfallen, da wirft er den Fisch plötzlich durch eine geschickte Bewegung herum, so daß er nicht mehr quer, sondern der Länge nach im Schnabel ruht, und schluckt ihn dann, den Kopf voran, eiligst hinunter. Macht der Fisch während des Herumschwenkens noch eine Bewegung, so geräth unser Vogel plötzlich in heftige Aufregung und schleudert den unglücklichen Fisch so heftig links und rechts an die Sitzstange oder den Rand des Bassins, daß es laut klatscht.

Hat der Eisvogel endlich den Fisch hinuntergewürgt und nach kurzer Zeit der Ruhe den Ballen, von dem wir oben sprachen, wieder von sich gegeben, so schüttelt er wiederholt und rasch Kopf und Schnabel, unter eigenthümlich schnabberndem Geräusch der zusammentreffenden Schnabelhälften, wahrscheinlich um diese von anhängenden Schuppen und Fischschleim zu reinigen. Dann zeigt der lange Schnabel wieder langsam seitwärts oder abwärts und im nächsten Moment plumpt er bereits wieder hinunter auf einen andern Fisch. Dies Abwärtssteigen geschieht so rasch, daß schwer

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verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1870, Seite 390. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_390.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)