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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Und plötzlich kam mein Kind gegangen
Und leise sprach es drauf zu mir.
„Die Sonntagspupp’ mit rothen Wangen,
Papa, ich leih’ die Puppe Dir!
Mit ihren allerschönsten Sachen
Hab’ ich für Dich sie angethan.
Papa, nun mußt Du wieder lachen!
Nun sieh’ auch Anna freundlich an!“

Und als mir in das Auge schaute
Mein Kind wie sonn’ger Maientag,
Da fühlt’ ich, wie im Herzen thaute
Das Eis, das auf der Seele lag,
Da ward mir wieder froh zu Sinne,
Da wurde meine Stimme klar,
Und tief beschämet ward ich inne,
Wie unaussprechlich reich ich war!




Die verlassene Frau eines Bonaparte.

An schönen sonnigen Tagen um die Mittagszeit sieht man häufig eine alte rüstige Dame in der Charles-Street und in den übrigen dem Washington-Monumente nahe gelegenen elegantesten Staßen Baltimores spazieren gehen. Ihre ganze Erscheinung ist eine eigenthümliche, auffallende. Die nicht große Gestalt ist gewöhnlich in einen kostbaren Sammetmantel gehüllt, dessen altmodische Façon ganz im Einklange steht mit einem Hute, den unsere Generation nur noch aus alten Bildern kennt. Das mit tiefen Furchen durchzogene, gelblich blasse Antlitz, welches wir unter dem Schatten jener Kopfbedeckung kaum entdecken können, bildet einen ganz frappanten Contrast zu den glänzenden klaren, mit jugendlicher Schärfe blickenden Augen, die es umrahmt.

Diese dunklen, wunderstrahlenden Augen allein sprechen noch von der Vergangenheit – jener fernen, fernen Vergangenheit, wo ihre Besitzerin den Ruf erwarb, von allen den Schönheiten, die Baltimore als jene Stadt Amerikas berühmt gemacht hat, wo man nie ein häßliches Frauengesicht erspähen könne, – die Schönste, Anmuthigste und Gefeiertste zu sein.

Das ist freilich schon lange, lange her. Seit Elisabeth Patterson die glänzendste Zierde der Gesellschaft Baltimores war, ist ein Menschenalter vergangen. Jene, die sie bewundert, geliebt und beneidet haben, sind längst begraben, – begraben auch Diejenigen, welche sie kränkten, verstießen und ihr Glück elendem, politischem Ehrgeize opferten.

Es war im Jahre 1803, als der damals erst achtzehnjährige jüngste Bruder Napoleon’s, Jerome, als Commandeur einer französischen Fregatte in dem Hafen von Baltimore landete. Den Bruder des ersten Consuls empfing man überall mit der größten Auszeichnung, und die angesehensten Familien Baltimores machten es in jenen Tagen ebenso wie in jüngster Zeit mit den englischen Prinzen, – sie kämpften förmlich um die Gegenwart Jerome’s in ihren Salons. Man überbot einander in Aufmerksamkeiten für ihn, und dem lebenslustigen, leichtsinnigen, übermüthigen Jerome behagte das ganz außerordentlich, und ohne Rückhalt und ohne Bedenken ergab er sich in toller Ausgelassenheit allen ihm gebotenen Lebensgenüssen.

Eines Abend traf er auf einem ihm zu Ehren gegebenen Balle im Hause eines der reichsten Geldfürsten zum ersten Male die Dame, der unbedingt die Krone der Schönheit und der Grazie zuertheilt wurde. Er hatte in der kurzen Zeit seines Aufenthaltes in Baltimore so unendlich viel von dieser „Perle Marylands“ reden hören, daß er sehr gespannt auf ihre Bekanntschaft war. Er ließ sich ihr vorstellen, und als Elisabeth mit dem den Amerikanerinnen eigenen königlichen Anstande seine tiefe Verbeugung nur mit einem leichten Neigen des stolzen Hauptes erwiderte und das wundervolle Auge ihn kalt und halb spöttisch musterte – hatte sie sich doch den Helden des Tages in ihrer Mädchenphantasie wie einen Halbgott vorgestellt und fand nun statt dessen einen Jüngling, den die blendende Uniform allerdings recht hübsch kleidete, der aber mit dem kaum entknospenden Bärtchen mehr noch wie ein Knabe aussah –: da war’s um Jerome’s Herz geschehen!

Er begriff ihren Blick vollkommen, und die Eitelkeit stachelte ihn an, jener stolzen spöttischen Schönheit durch den ganzen Aufwand der echt französischen Liebenswürdigkeit, durch welche Jerome berühmt wurde, zu beweisen, daß sie in ihm den gefährlichen Mann fürchten könne.

Und was so unbedacht als Spiel kindischer Einfalt begann, wurde rasch zum Ernst, für Jerome allerdings nur zum vorübergehenden, für Elisabeth aber zum lebenslangen, bitteren Ernst. Jerome mit der ganzen weltbekannten Leidenschaftlichkeit seiner Natur wurde bald von einer so wilden, ungestümen Liebe zu der reizenden Amerikanerin erfaßt, daß er nicht mehr leben zu können glaubte, ohne daß sie die Seine würde.

In South-Street, einem Theile der Stadt nahe am Strande, wo jetzt nur noch Geschäftshäuser und Waarenhäuser sind, der aber damals der aristokratische Theil der Stadt war, steht noch das Haus, welches Elisabeth’s Vater, der reiche Kaufmann Patterson, bewohnte. Zu ihm hin lenkte der unbedachte und vom Liebestaumel berauschte junge Franzose, ohne viel zu überlegen oder zu schwanken, nach wenigen Wochen eines Morgens im Jahre 1803 seine Schritte, um sich beim Vater um Elisabeth’s Hand zu bewerben.

Dieser, geschmeichelt und geblendet durch die dargebotene Verbindung mit der Familie des ersten Mannes seiner Zeit, gab ebenso rasch seine Einwilligung wie Elisabeth, die ganz und innig die schnell entflammte Neigung Jerome’s erwiderte.

Die ungestüme Heftigkeit der Bewerbung Jerome’s schlug alle Bedenken und alle Vorbereitung zur Hochzeit erfolgreich aus dem Felde, und schon am Abend vor Weihnachten wurde die Ehe zwischen Jerome und Elisabeth vom Bischof der Diöcese, Carroll, dem Bruder des berühmten Carroll von Carrollston – eingesegnet. Der Ehecontract war von Alexander Dallas, nachherigem Schatzminister der Vereinigten Staaten, entworfen und der Mayor von Baltimore und viele ausgezeichnete und bekannte Persönlichkeiten wohnten der Trauung bei.

Ein Jahr verging dem jungen liebenden Paare in ungetrübtem Glück. Da plötzlich, wie der Blitz oft aus heiterem Himmel niederzuckt, kam die gebieterische Aufforderung Napoleon’s an Jerome sofort zurückzukehren. Er war auf’s Höchste erbittert durch die Heirath Jerome’s, da sein ehrgeiziger Kopf längst Pläne geschmiedet hatte, durch eheliche Verbindungen seiner Brüder mit legitimen Fürstenhäusern die jüngst geschaffene Kaiserkrone fester auf das eigene ehrgeizige Haupt zu drücken.

Jerome, der wankelmüthige, leichtlebige Jerome, von der glänzenden Aussicht in die Zukunft geblendet – schwankte keinen Augenblick, das einst so heiß ersehnte Familienglück den politischen Interessen seines Bruders zu opfern. Denn Napoleon hatte verlangt, daß er allein zurückkehre; – und die böse Welt setzt dazu, daß Jerome gern den Befehl seines mächtigen Bruders vorschützte, um sich von der Gesellschaft seiner Gattin zu befreien. Hatte doch Elisabeth mit fester Hand den jungen, zu den größten jugendlichen Excessen und Ausschweifungen geneigten Ehemann in Schranken zu halten gewußt und alles Rütteln an der holden Fessel seinerseits war umsonst gewesen; Elisabeth besaß schon damals die sie auch jetzt noch auszeichnende Energie und die kalte, ruhige Ueberlegungskraft ihrer späteren Tage.

Sie sah deshalb voraus, daß Jerome, so lange sie ihn begleite, ihr treu und ergeben sein würde, daß er aber, einmal ihres persönlichen Einflusses beraubt, in Napoleon’s Händen wie weiches Wachs zu lenken sei. Sie hatte ihre Gründe, genau die Schritte ihres Gatten zu überwachen, und darum war es eben nicht zu verwundern, daß dieser, als er, angeblich um seiner geliebten Elisabeth den Schmerz der Trennung zu ersparen, einen Tag vor der bestimmten Abreise heimlich die ihm zu Gebote stehende Fregatte betrat und nach gegebenem Befehl zum Ankerlichten in die Kajüte hinabstieg, dort ganz unerwartet seine treue Gattin fand. Man sagt, die Vorwürfe seien von beiden Seiten mit größter Aufrichtigkeit ausgetauscht worden – doch war Jerome, sich im Unrecht fühlend, während der ganzen Seereise der liebenswürdigste und aufmerksamste Ehegatte und sein Schmerz, nachdem seiner Gemahlin in Lissabon nicht mit ihm zu landen gestattet wurde, war aufrichtig und wahr. Er trennte sich bald darauf von ihr, die ihre Niederkunft demnächst erwartete, unter Tränen und mit den heiligsten Schwüren, sich in Amsterdam wieder mit ihr zu vereinigen, nachdem er erst in Paris Alles versuchen werde, um Napoleon zu versöhnen. Die arme verlassene

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 376. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_376.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)