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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Der Strike der Schmiede.[1]
Von François Coppée, deutsch von Eduard Mautner.


Ihr Herren vom Gericht, erlaubt mir kurz zu sein;
So war’s: die Schmiede stellten ihre Arbeit ein.
Es war ihr Recht. ’s war kalt, ’s lag tiefer Schnee,
Und schon zu lang’ that uns der Hunger weh.
Am Samstag, als der Wochenlohn bezahlt,
Da führt man mich mit schmeichelnder Gewalt
In’s Wirthshaus, und Gesellen, grau von Haaren –
Von mir sollt ihr die Namen nicht erfahren –
Die sagen:
 „Die Geduld, Gevatter, ist zu Ende
Wir wollen höh’ren Lohn, sonst kreuzen wir die Hände;
Man schindet uns, ein and’res Mittel fehlt,
D’rum wurdet Ihr, als Aeltester, gewählt;
Geht zu dem Herrn, um ruhig ihm zu sagen,
So wie er uns’re Ford’rung abgeschlagen,
Ist blauer Montag fortan jeder Tag.
Gevatter, seid Ihr unser Mann?“
 Ich sag’:
„Ich thu’s, wenn es zu Nutz den Cameraden.“

Herr Präsident, ich baue keine Barricaden,
Bin alt und friedlich und mißtrau’ den Herr’n,
Die unsereins für sich in’s Feuer schicken gern.
Doch konnt’ ich diesem Auftrag mich entzieh’n?
So nehm’ ich’s denn auf mich und gehe hin.
Der Herr ist just bei Tisch, man führt mich bei ihm ein;
Das Elend zeig’ ich ihm und uns’re ganze Pein,
Die Wohnungsnoth, das theure Brod; ich sag’ ihm rund heraus:
So kann’s nicht weitergeh’n; genau dann rechn’ ich aus,
Was er verdient, was wir; das Ende ist davon:
Er könnt’ besteh’n auch bei erhöhtem Lohn.

Er knackt sich Nüsse auf und hört mich ruhig an,
Und sagt sodann zu mir:
 „Ihr seid ein braver Mann,
Gevatter Jean, und die Euch hergesandt,
Die wußten wohl, weshalb sie sich an Euch gewandt.
Für Euch ist stets in meiner Werkstatt Platz.
Doch wißt: zu Grunde richten müßt’ mich Euer Satz!
Ich sperre morgen zu, Gevatter! Meiner Treu’!
Wer Unruh’ stiftet, thut es nur aus Arbeitsscheu!
Sagt ihnen das, es ist mein letztes Wort.“
Ich sage: „Wohl, mein Herr!“
 und gehe ruhig fort;
Mit schwerem Herzen zwar, jedoch vor allen Dingen
Will ich, wie ich versprach, den Freunden Antwort bringen.

Nun bricht das Wetter los, es wird politisirt,
Man schwört, daß Keiner mehr die Arme rührt,
Dem Schwur der Andern sprech’ ich nach den meinen.

Nicht Jeder, wenn er Abends vor den Seinen
Hin auf den Tisch warf von dem Lohn den Rest,
Fühlt’ sich in seinem Innern froh und fest,
Ich steh’ dafür, nicht Jeder schlief die Nacht,
Wenn er an das, was kommen muß, gedacht;
Denn man gewöhnt den Hunger nicht so bald.
Mich traf die Sache hart: ich bin schon alt
Und nicht allein; als ich nach Hause kam
Und auf die Knie’ die beiden Enkel nahm,
Die Mutter – meine Tochter – starb in Wochen,
Der Vater taugt nicht viel – da sank, was ich versprochen,
Mir schwer auf’s Herz, als ich die fröhlichen Geberden
Der Kleinen sah, die bald den Hunger kennen werden.
Doch war mir mehr nicht als den Andern auferlegt,
Und, da man seinen Schwur bei uns zu halten pflegt,
Bestärkt’ ich mich darin, was meine Pflicht zu thun.

Mein altes Weib kam heim vom Waschplatz nun,
Gebeugt vom Bündel feuchter Wäsch’ den Rücken,
Ich sagte Alles ihr mit scheuen Blicken;
Die Alte sprach kein Wort des Vorwurfs, bleich und bebend
Blieb sie, den Blick vom Boden kaum erhebend,
Lang’ unbeweglich, bis sie so begann:

„Du weißt doch, daß ich sparsam bin, mein Mann;
Ich will das Meine thun, jedoch die Zeit ist schwer
Und kaum für vierzehn Tag’ ist Brod im Hause mehr.“

Ich sagte d’rauf zu ihr: „Kommt Zeit, kommt Rath,“
Doch wußt’ ich wohl, daß, wollt’ ich nicht Verrath
Begeh’n, ich machtlos war, daß heimliche Gewalten
Um aufrecht unsern Widerstand zu halten,
Streng überwachten Den, der sich verpflichtet.

Das Elend brach herein. O ihr, die ihr mich richtet,
Seid überzeugt, daß selbst die größte Noth
Zum Diebe mich zu machen nie gedroht:
Ich stürbe ja vor Scham bei dem Gedanken,
Und ich verlange nicht, man soll’s dem danken,
Der, selbst verzweifelnd, immer unverrückt
Nur der Verzweiflung in das Auge blickt
Und dennoch der Versuchung nicht erlag;
Ja, selbst an jenem eisig kalten Tag,
Als, meiner Ehrlichkeit zum Hohn, so Weib
Als Enkel zitterten am ganzen Leib
An uns’res Herdes feuerlosen Steinen,
Als dieser Kinder Schrei’n, als meines Weibes Weinen
Aus frosterstarrter Gruppe schrill und wild
Erklang – niemals – bei diesem Christusbild
Beschwör’ ich es, ist meinem Geist genaht
Der Straße heimliche und feige That,
Bei der das Herz erbebt, das Auge späht, die Hand zugreift;
O, wenn ich jetzt den Stolz von mir gestreift,
Wenn ich vor euch mich beugen muß und weinen,
Ist’s, weil ich wiederseh’ im Geist die Meinen,
Für die ich that; was mich hieher geführt.

Wir lebten denn zunächst, wie sich’s gebührt,
Wir aßen trock’nes Brod, und Alles ward versetzt;
Die Stube ward mir zum Gefängniß jetzt,
Denn unsereinen duldet’s nicht im Zimmer,
Ich litt darunter und fand’s nicht viel schlimmer,
Als später hinter mir des Kerkers Riegel klang.
Mein zweites Leiden war der Müßiggang:
Man glaubt es nicht, doch soll man’s nur probiren,
Gezwungen seine Arme nicht zu rühren,
Da merkt man’s erst, wie uns die Werkstatt theuer
Und diese Luft voll Eisenstaub und Feuer!

Bald war kein Sou in unsrer Wirthschaft mehr.
Ich ging inzwischen ruhelos umher
G’rad vor mich hin, ziellos und wie berauscht
Hab’ ich dem dumpfen Lärm der Stadt gelauscht,
Der besser noch als Schnaps den Hunger bringt zum Schweigen.
Einst, als ich heimgekehrt, der Tag war schon im Neigen,
Ein Tag war’s von Decemberfrost durchschauert,
Fand ich mein Weib, in eine Eck’ gekauert,
Die Enkel an die Brust gedrückt – im Nu
Durchzuckt es mich:
 ihr Mörder, der bist du!

Mein Weib sprach sanft zu mir, mit zagem Blick:
„Das Leihhaus wies das letzte Bett zurück –
Es ist zu schlecht. Was willst du jetzt beginnen,
Um Brod für diese Kinder zu gewinnen?“

  1. Wir entnehmen mit Erlaubniß des Uebersetzers und der Redaction obiges Gedicht der „Neuen Freien Presse“, die jeden Nachdruck auf das Strengste verfolgen wird.
    Die Redaction.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 361. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_361.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)