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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


bestätigen – allerdings war ich damals in Gesellschaft einiger Freunde, die sich eine so schöne Lebensaufgabe gewählt haben, aber mein Beruf ist ... ich weiß nicht, soll ich Ihnen gegenüber leider oder Gottlob sagen – ein viel gewöhnlicherer und alltäglicherer ... ich bin ein Bauer oder ein studirter Landwirth, wenn Ihnen das besser klingt, und habe mich jetzt zu meiner Uebung der Feldmesserei gewidmet. ... Aber das ändert wohl nichts, Sie würden sich gewiß nach mir erkundigt haben, wenn Sie auch gewußt hätten, daß ich kein Maler bin?“

„Gewiß, gewiß ... Ich wollte Ihnen ja danken! So ist mir nichts Anderes übrig geblieben, als für Sie zu beten – aber ...“

„Nun - Sie stocken? Was für ein Aber konnte Sie in diesem frommen Vorhaben stören?“

„Die hochwürdige Frau Gisela ... meine Lehrerin,“ erwiderte Juli etwas zögernd, „die hat es mir verboten ... sie meinte, es schicke sich nicht für ein Mädchen, so viel an einen jungen Mann zu denken, wenn er ihr auch das Leben gerettet habe – ich solle das nur dem lieben Gott überlassen, der würde es schon recht machen ... Sie war eine liebe seelgute Frau, die Mutter Gisela, ich versprach auch, ihr zu folgen – aber ...“

„Wie – noch ein Aber?“

„Aber,“ fuhr das Mädchen in lieblicher Unbefangenheit und mit einem schalkhaften Lächeln fort, „ich habe es doch nicht lassen können und habe doch für Sie gebetet, und jetzt kann ich Ihnen gar nicht sagen, wie es mich freut, daß Sie gesund geblieben sind und daß ich Sie nun doch einmal wiedergesehen habe – und daß Sie ...“

„Daß ich –? Nun?“

Neue Verlegenheit goß ihren Purpur über das Antlitz des Mädchens. „Daß Sie ein – daß Sie kein Maler sind ...“

„Na, was giebt’s denn da? Wie lang’ soll denn der Herr noch warten, bis er sein Bier bekommt?“ rief jetzt die derbe Stimme des Bergwirths dazwischen, der indessen sein Gespräch mit dem Geistlichen beendet hatte, weil der Stellwagen seine Weiterfahrt antrat und die Passagiere sich ebenfalls auf die Beine machten, um den Bergweg in der Abendkühle zu Fuß hinab zu gehen, anstatt sich in dem engen stoßenden Räderkasten durchrütteln zu lassen.

„Ach du lieber Gott,“ rief das Mädchen in reizender Verwirrung, „darauf habe ich ganz und gar vergessen ...“

„Meiner Treu’ – ich nicht minder!“ rief lachend der junge Mann. „Ich dachte nicht mehr daran, daß ich von der Wanderung ziemlich durstig geworden war – so sehr hat es mich erfreut und erfrischt, eine so liebe alte Bekanntschaft zu erneuern!“

„Was? Liebe alte Bekanntschaft?“ rief der Wirth und trat ganz nahe hinzu. „Wie wär’ mir denn das?“

„Ja, Vater,“ sagte Juli fröhlich, „denkt Euch nur die unverhoffte Freud’. Ich hab’ Euch ja erzählt, wie mich auf der Fraueninsel ein wilder Hund angefallen hat ... denkt Euch nur, das ist der Herr, der mir geholfen hat!“

„So? – Ah, das ist ein andres Korn,“ sagte der Wirth plötzlich umgestimmt, indem er den Hut wirklich abnahm, das Mädchen aber enteilte, die verspätete Erfrischung herbei zu bringen. „Mit Verlaub,“ fuhr er dann so artig fort, als er zu sein vermochte, bot dem Gaste die Hand und setzte sich an seine Seite. „Das freut mich, daß der Herr zu uns kommt – mein Mädel hat sich’s schon lang’ gewünscht und die Juli – ich mach’ kein Geheimniß daraus, die ist mir an’s Herz gewachsen, und wer ihr was Lieb’s anthut, der hat mir’s auch gethan ... Also womit kann ich aufwarten? Was wär’s etwa, womit ich dem Herrn eine Freud’ machen könnt’? Woher kommt denn der Herr, wenn man fragen darf? Wo will er hin? Was ist der Herr denn eigentlich in seiner Profession?“

„Mein Name ist Franz Falkner,“ sagte der junge Mann, indem er lächend in die dargebotene Hand einschlug – „meines Zeichens bin ich ein Oekonom und habe die landwirthschaftliche Schule zu Weihenstephan durchgemacht ...“

„So, so!“ unterbrach ihn der Bergwirth. „Nehm’ mir’s der Herr nit übel, aber ich halt’ nit viel auf die studirten, lateinischen Bauern. Aber was wollen ’s dann hier? Der Herr sieht mir nicht darnach aus, als wenn er einen Dienst suchen und sich hier herum als Bauernknecht verdingen wollt’ ...“

„Das ist auch wirklich nicht meine Absicht ...“ erwiderte Falkner heiter, „ich denke einmal irgendwo ein Gut zu pachten oder eine Verwalterstelle zu suchen; jetzt aber bin ich für eine Weile der Landwirthschaft untreu geworden und unter die Feldmesser gegangen ...“

„Ich wüßte doch aber nit, was es bei uns zu vermessen geben sollt’?“ fragte der Wirth verwundert.

„Wie könnt Ihr so fragen, Bergwirth?“ rief Falkner, „Ihr wißt doch, daß es endlich Ernst werden soll mit dem Bau der Eisenbahn ...“

(Fortsetzung folgt.)




Leid und Freude in der Naturforschung.
Vortrag gehalten im Saale der Buchhändlerbörse zu Leipzig von Prof. C. Ludwig.
(Schluß.)

Die alte Anklage der Künstler, daß der Natur das Schöne nur zufällig gelinge, wiederholt die Wissenschaft, trotzdem daß sie die Erfindungsgabe und die Technik der Natur bewundern muß. Wie erhaben sie als Techniker über dem menschlichen Können steht, das leuchtet am besten dem Physiologen ein, wenn er die organischen Gebilde zergliedert.

Zunächst bei der Herstellung des Materials. – Um den Metallglanz der Feder, den Krystall des Auges, den Stahl des Knochens und die elastische Weichheit der Haut zu erzeugen, greift sie nicht wie der Künstler zu Glas und Metall, zu Holz und Kautschuk, kurz zu den verschiedenartigsten Stoffen, sondern sie baut dieses Alles aus ein und derselben Substanz auf, der sie durch geringe Beimischungen und kleine Aenderungen der Structur die Eigenschaften zu ertheilen weiß, durch welche jeder Theil seine Besonderheit empfängt; somit wird durch das locale Gepräge der gemeinsame Charakter nicht verwischt, und trotz aller Mannigfaltigkeit der Erscheinung bewahrt ein jedes Werk schon durch das gleichartige Material seine charakteristische Einheit.

Und nun kommt die Durchbildung des Details; wie sinnreich ist hier ihr Verfahren! Die barbarischen Methoden, mit welchen der Mensch formt und vervielfältigt, Drehbänke, Meißel, Pinsel, Schablone und Presse sind ihr fremd; sie preßt nicht das Einzelne zum Ganzen, sondern sie beginnt den Aufbau mit dem Kleinsten, mit den unsichtbaren Atomen, und läßt diese scheinbar durch eigene Wahl zum Ganzen werden. Dann stellt sie, nachdem aus der Zusammensetzung von Atomen ein mikroskopisch sichtbares Gebilde geworden, in der Zelle der weiteren gleichartigen Zusammenhäufung eine Grenze, die aber immer noch weit unter der Größe des feinsten Sandkorns zurückbleibt. Jede dieser Zellen wird als ein besonderer Mittelpunkt selbstständiger Formgebung behandelt, und zugleich empfängt sie je nach ihrem Standorte besondere Eindrücke von außen her. Indem sich nach einem bestimmten innern Gesetze Zelle an Zelle lagert, von der eine jede von innen herauswächst, entstehen die großen mit freiem Auge sichtbaren Gebilde als das Product vielfacher gleichzeitiger Arbeiten. So erklärt es sich, weil sie alle Zufälligkeiten der äußeren Einwirkung in das innere Gesetz einwebt, daß die Natur trotz ihrer maschinenmäßigen Arbeit doch kein Haar, kein Hautschüppchen, wieviel weniger ein Auge oder eine Hand der andern gleich macht. Wenn wir uns nicht angewöhnt hätten, aus einem Negativ viele photographische Abdrücke zu machen, sondern für jedes neue Bild eine neue Aufnahme ausführten, so würden wir in dieser Technik etwas entfernt Aehnliches erreicht haben, wie dieses der Natur in millionenfach verschiedener Weise gelingt. Wie oft muß der menschliche Künstler seine Methode der Darstellung principiell ändern, um auch nur ganz entfernt jener Mannigfaltigkeit in dem Gleichartigen nahe zu kommen!

Auch in der Proportion der Formen ist sie Meisterin, vielleicht

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 358. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_358.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)