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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

mit Wohlgefallen an der lieblichen Erscheinung – erging es ihm doch damit wie kurz vorher mit dem Liede des Postillons, als müsse er sich einfallen lassen, daß und wo er derselben schon einmal gegenüber gestanden.

Inzwischen trat auch der Wirth hinzu, ein hagerer Fünfziger, doch rüstig und von unverkennbarem Selbstgefühl getragen, das sich in der etwas steifen Haltung ausprägte, auf der breiten Stirn, den zusammengewachsenen Augenbrauen und dem aufgeworfenen Munde aber bis zum Trotze steigerte. Einen breitrandigen Strohhut auf dem Kopfe, in Hemdärmeln und weißer Brustschürze, in welcher er links und rechts an der Schulter die Daumen stecken hatte, trat er zu den Gästen, grüßte mit nachlässigem Kopfnicken und nahm es auch nicht an, als der Viehhändler ihm seinen Krug hinschob und ihn nach Landessitte aufforderte, ihm Bescheid zu thun.

„Dank’ schön, Natzi – es muß so auch schon gehn … ich hab’ keinen Durst,“ sagte er, während der Händler etwas verdutzt den Krug zurückzog und selbst einen tüchtigen Trunk that.

„Wie Du willst, Bergwirth,“ rief er dann, „ich zahl’ mein Bier und kann es wohl auch allein trinken. … Aber wie haben wir’s sonst mit einander, wir Zwei? Wie steht’s mit unserer Handelschaft? Wie ich letzthin den Weg gekommen bin, hab’ ich um die rothscheckige Kalbin gefeilt … wie ist’s, hast Dich noch nit anders besonnen?“

„Könnt’ mir nit einfallen!“ erwiderte der Wirth geringschätzig. „Ich hab’ Dir meinen Preis gesagt, und wenn ich einmal was sag’, dann ist es so gewiß, als wenn Dir ein Anderer Brief und Siegel dafür gegeben hätt’! Was ich verlangt hab’, weißt Du – da geht kein Pfenning ab!“

„Du bist gar zu genau, Bergwirth,“ rief der Metzger, „hundert Gulden für eine jährige Kalbin – dafür kriegt man ja schon bald ein Roß!“

„So kauf Dir eins und laß mir ein’ Ruh’!“

„Bist halt ein bockbeiniger Kumpel, Obernöder … wirst Dich vielleicht schon noch besinnen, die fünfundneunzig hab’ ich gesagt, und mehr kann ich nit geben; es wär’ mir nur drum zu thun gewesen, weil die Kalbin so gar schöne gewundene Horn’ hat. … Wie ist es aber nachher mit dem Säg’müller am Fall … kriegt der auch keinen bessern Bescheid? Ich hab’ Dir neulich seine Botschaft gebracht und muß ihm heut’ Antwort sagen … er hat eine große Lieferung übernommen von eichenen Läden und Stöcken; Du hast überflüssige Eichen gerad’ genug stehn, am Abhang, an der Niederpoint. … Schlag’ ein, Bergwirth; der Müller hat Dir kein schlechtes ’Bot gelegt, mein’ ich!“

„Laß mich aus,“ rief der Wirth unwillig, „ich will nichts hören vom Holzverkaufen – ich bin kein solcher Nothleider, daß ich mein Holz verwüsten müßt’ – ich brauch’ den Bettel nit! Mein Holz ist mein’ Freud’ und vor Allen die Eichen drunten am Niederpoint! Reis’ zu, Natzi, mit denen lumpigen paar Gulden – von denen Bäumen wird keiner geschlagen so lang’ der Bergwirth ein offnes Aug’ hat!“

Der Händler wollte sein Spiel noch nicht verloren geben. „Sei nur nit gar so eigen,“ begann er wieder, die Eichen stehn ja da zu dicht, das kann Dir Jeder sagen, der was davon versteht … es sind Viele drunter, die fangen schon an überständig zu werden und gipfeldürr …“

Der Wirth ließ ihn nicht ausreden. „Laß gut sein, Du Siebengescheider,“ rief er und wandte sich ab, „Du bist Einer von denen, die das Gras wachsen hören – aber mir wirst Du doch nit zu schlau! Die Eichbäum’ bleiben stehn und wenn sie gipfeldürr und überständig werden, so werden sie’s mir und kein Mensch braucht sich drum zu kümmern – Verstanden, Natzi? Also strapazir’ Dich nit weiter, damit Dir der Athem nicht kalt wird!“

Er ging, ohne das Achselzucken des Händlers zu beachten, und setzte sich rücklings auf die Bank neben dem Pfarrer nieder; dabei machte er eine Bewegung, als ob er den Hut abnehmen wollte, that es aber nicht, er wollte wohl dem Geistlichen eine Art Respect bezeigen, zugleich aber ihn erkennen lassen, daß er den Abstand zwischen ihm und dem reichen Bergwirth durchaus nicht für einen sehr absonderlichen halte. In dem Gespräch, das er begann, überhörte er die unmuthigen Worte, mit denen der Händler den ihm zunächst Sitzenden unzweideutig zu erkennen gab, daß auch seine im Viehhandel erprobte Geduld zu reißen im Stande war. „Ich seh’ schon, ich muß eine andere Zeit abwarten! Ist halt übermüthig der Obernöder mit seinem Muß-Wirthshaus! Wenn einmal, wie’s überall heißt, die Eisenbahn gebaut wird, dann wird er wohl auch ein bissel kleiner beigeben!“

Unbeachtet von Allen war Juli während dessen zu dem Fußwanderer getreten, der sich den Blumenflor über die Straße besah und ihr daher den Rücken zuwandte. „Was schaffen Sie, Herr?“ wollte sie sagen, aber sie brachte es nicht heraus, als er sich umkehrend ihr den vollen Anblick seines Gesichtes bot; sie verstummte und stand einen Augenblick regungslos vor Verlegenheit, die sich halb wie Freude, halb wie Bestürzung ansah und sie mit glühender Röthe übergoß, bis tief in den Nacken und unter das Busentuch hinein, das über dem Mieder zusammen gefaltet war.

Ihre Bewegung war so sichtbar, daß sie dem Fremden nicht entgehen konnte und ihn zum Theile mit ergriff; kehrte ihm doch die schon beim ersten Anblick aufgetauchte Erinnerung an ein früheres Begegnen zurück, zwar immer noch unklar und zweifelhaft, doch in dämmernden Umrissen, die sich immer mehr zu formen begannen.

„Nun, mein Kind,“ sagte er, sich zuerst sammelnd, „Sie erschrecken ja ordentlich vor mir wie vor einem Ungeheuer? Wie soll ich mir das erklären? Hab’ ich doch bis zur Stunde nicht gewußt, daß ich so sehr häßlich und abschreckeud aussehe!“

„Sind Sie’s denn – oder sind Sie’s nicht?“ fragte Juli mit gepreßtem Athem.

„Wie kann ich das sagen,“ fragte er lächelnd hinwider, „so lang’ ich keine Ahnung davon habe, wer ich denn sein soll? Zwar – je mehr ich Sie betrachte, je gewisser wird es mir, wenn ich mich auch an den Ort nicht erinnere, daß ich Sie schon gesehen habe.“ …

„Ist das wahr? Erinnern Sie sich wirklich noch ein bischen an mich?“ rief das Mädchen mit einem offenen Lächeln des Glücks und der Freude. „Und wegen des Orts – da muß ich Ihnen halt ein bischen drauf helfen. … Sind Sie nicht vor drei Jahren auf der Fraueninsel gewesen, im Chiemsee …“

„Allerdings,“ rief der junge Mann, ebenfalls mit einem Ausdruck in Ton und Blick, der dem ihrigen an Freude nichts nachgab. „Sind Sie etwa …“

„Ja,“ erwiderte sie mit fröhlichem Nicken schlug aber verschämt die Augen nieder, als sie dem Aufleuchten in den seinigen begegnete. „Ich war damals im Kloster, im Institut … ich bin das Mädchen, das Sie, wie wir Schülerinnen spazieren gingen, von dem Hunde retteten, der sich am Fischerhaus von der Kette gerissen hatte und auf uns losstürzte, und der mich, weil ich im Entlaufen gestolpert und gefallen war, schon an den Kleidern gepackt hatte.“ …

„Und Sie haben mich gleich wieder erkannt?“ fragte der Wanderer.

„Wie sollt’ ich nicht?“ erwiderte Juli unbefangen. „Es wär’ ja schlecht von mir, wenn ich Sie vergessen hätte … der böse Hund hätte mich gewiß zu Schanden gerissen, wenn Sie nicht gewesen wären. … Es ist mich hart genug angekommen, daß ich Ihnen nicht einmal habe danken können, denn die Klosterschwester, die uns spazieren führte, ist gleich mit uns dem Kloster zugelaufen, und ich habe mich auch nicht darauf besonnen in meinem Todesschrecken. … Ich habe Angst genug wegen Ihnen ausgestanden, denn es hat geheißen, der Hund sei wüthend gewesen und habe Sie in den Arm gebissen.“ …

„Das Letztere war auch der Fall!“ sagte lachend der junge Mann. „Ich glaube wohl, dem Köter die wilde Lust vertrieben zu haben, aber bis ich ihn so weit gefaßt hatte, war ihm Zeit genug geblieben, mir in meinem Arm zum bleibenden Andenken einen Abdruck seines Gebisses zurückzulassen. … Daß er aber nicht wüthend war, mögen Sie daraus ersehen, daß ich das Glück habe, ganz und heil vor Ihnen zu stehen!“

„Gott sei Dank, tausend und tausendmal!“ rief das Mädchen, dem unwillkürlich ein Seufzer entschlüpfte. „Wie ich wieder einmal heraus durfte, war es mein Erstes, mich nach Ihnen zu erkundigen – aber Sie waren schon fort und Niemand konnte mir Ihren Namen nennen – sie sagten, es kämen der Maler gar zu viele auf die Insel.“ …

„So halten Sie mich wohl auch für einen Maler?“ sagte der Jüngling, indem er sie fragend ansah. „Ich kann das nicht

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