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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


auf welchem nur manchmal als Verzierung sich die weißen Stämme und das helle Laub eines Birkenbüschels abhoben, oder lichtgrüne Gruppen von Ahorn- oder Buchen-Wipfeln, oder auch ein Stück Felsgestein, bald in breiten massenhaften Platten abstürzend, bald in wunderlich geformten Zackenkamm verlaufend. Unten lagen zwar nur zwei schmale Waldthäler, in deren jedem ein Bach dahin strömte, aber die schmalen Gründe prangten mit dem frischesten Wiesengrün und am Wasser blitzte auf der einen Seite ein Mühlschuß und sein im Abendlicht sprühendes Rad, auf der andern, wohin die Sonne nicht mehr reichte, lagen ein paar freundliche Bauernhäuser unter Baumwipfeln beinahe vergraben, und das einzige Zeichen menschlichen Lebens um sie her waren die leichten Rauchwölkchen, die kerzengerade und feierlich darüber emporstiegen.

Je friedlicher der Anblick der beiden Bergthäler war, desto anziehender war der Gegensatz des lebensvollen, rasch bewegten Treibens, das sich auf der Höhe selbst und vor dem Bergwirthshause entwickelte. Dieses, sich nach der ganzen Länge des Platzes hinziehend, war ein ansehnliches Gebäude von jener gemischten Bauart, welche bei Landwirthshäusern sich häufig findet und gar Manches von städtischen Formen entlehnt hat, ohne im Grunde dem Wesen des Bauernhauses völlig untreu geworden zu sein. Im Erdgeschosse führten einige Stufen breit und bequem zu der weit offenen Thür, durch welche man in die helle luftige Hausflur sah, zu deren beiden Seiten breite Fenster mit grau angestrichenem Holzwerk und grünen Läden errathen ließen, wie traulich und einladend die beiden großen Gaststuben hinter ihnen sein mochten; im obern Stock zog sich eine Reihe Fenster ganz wie an einem Stadthause hin und die dahinter stattlich herabfallenden Vorhänge zeigten, daß man wohl darauf bereitet war, eine beträchtliche Anzahl einkehrender Gäste auch über Nacht zu beherbergen. Gegen die Morgenseite hin aber war der alte breit vorspringende Holzgiebel des Bauernhauses erhalten und unter ihm zogen sich die hölzernen Laubengänge dahin, mit dem Kübel für die Hauswurz geschmückt und mit den Nelkenstöcken, an deren überhangenden Stielen die rothen Blumen sich schaukelten, wie an dem gewöhnlichsten Bauernhause. Gegenüber, in gleicher Ausdehnung und nicht minder stattlich dehnten sich die Wirthschaftsgebäude aus, die Scheune mit der Tenne, Ställe und Heuboden, und die rege Thätigkeit, welche überall herrschte, ließ erkennen, daß das Anwesen nicht nur ein viel besuchtes Gasthaus, sondern auch ein bäuerliches Gut von nicht geringer Bedeutung war.

Vor dem Thore der mächtigen Scheune stand ein hochaufgeladener Getreidewagen, und ein halbes Dutzend von Knechten und Mägden war eifrig beschäftigt, die vollen langen Garben mit den goldreifen schweren Aehrenbündeln abzuladen und in den Gevierten des Stadels übereinander zu schichten. Das emsige Schaffen bildete einen lebhaften Gegensatz zu der übrigen auf dem Platze sich entwickelnden Bewegung, denn während von links der Frachtwagen mit seinem Biergespann schwerfällig angerollt kam, und der Post-Bartel blasend auf seinen Gäulen näher trabte, war von rechts ein anderes Fuhrwerk sichtbar geworden, ein sogenannter Stellwagen, durch welchen nicht nur der kleine Verkehr zwischen näherliegenden Orten, sondern selbst mit größeren Städten für Alle vermittelt wurde, denen es unmöglich war, sich der Post zu bedienen. Der Wagen fing eben an, sich seiner ziemlich zahlreichen Bewohner zu entladen, denn bis die Pferde sich von der Anstrengung des Bergweges erholt und eine kleine „Unterleg’“ gemacht hatten, mußten auch die Reisenden sich zu einem Aufenthalt bequemen, ein Entschluß, der nicht eben schwer zu fassen war, wenn zu dieser Säumniß ein so gastlich anmuthendes Plätzchen einlud, als es unter den dichtschattigen Laubkronen der Linden- und Kastanienbäume des Bergwirthshauses zu finden war.

Die Gesellschaft, die unter den Bäumen Platz nahm, war ziemlich bunt; da war ein wohlbeleibter Pfarrer mit greisem Haar und gutmüthig freundlichem Gesicht, der mit einem nicht minder wohlgenährten Viehhändler, dessen Leib der geldstrotzende Ledergurt kaum zu umspannen vermochte, von dem Ergebniß der eben begonnenen Ernte und von den zu hoffenden Fruchtpreisen plauderte; ein Handwerksbursche in grauer Blouse und den Wachstuchhut auf dem krausen Kopf, und ein beurlaubter Soldat, der in die Heimath ging, weil es zur Feldarbeit an Arbeitern gebrach, und der in rasch geschlossener Bekanntschaft und Vertraulichkeit den Wunderdingen zuhörte, die der Geselle von fremden Städten und Ländern zu erzählen wußte; eine alte Bürgersfrau aus einem benachbarten Flecken, die sich gedrungen fühlte, vor dem Ende noch eine Wallfahrt zu machen zur schwarzen Muttergottes von Altötting, und eine junge Bäuerin, mit ihrem Erstgeborenen im Arm, einem dicken vollbackigen Buben, von dem sie Auge und Hand ebenso wenig abwandte, als die alte von Rosenkranz und Gebetbüchlein.

„Das muß man sagen,“ rief der Händler, sich behaglich niederlassend, „schön ist es beim Bergwirth, und das Trumm mit den Reisenden und mit dem Fuhrwerk reißt gar nicht ab – da rührt sich’s vom frühen Morgen bis in die sinkende Nacht! Das Wirthshaus ist eine wahre Goldgrube, und wenn der Wirth einmal seine Tochter ausheirathet, kann sich der gratuliren, der sie kriegt – die wird einen schönen Rogner mitbekommen …“

„Ist das Mädel sauber?“ fragte der reisende Geselle neugierig.

„Na, ob die sauber ist!“ erwiderte der Metzger. „Es sind ihrer nicht viel, die ihr das Wasser reichen können, und in der ganzen Gegend, auf viele Stunden weit, heißt sie nicht anders, als die schöne Bergwirths-Juli … aber da könnt Ihr selber sehn, da kommt sie just über die Staffeln herunter und setzt die Füß’ wie ein Bachstelzel, das durch Wasser geht …“

„Mortbleu,“ rief der Bursch, der auch in Frankreich gewandert war, „das ist straf’ mich Gott wirklich ein bildhübsches Mädel!“

Die Männer hatten nicht Unrecht; wie das Mädchen über den Platz herankam, war es kaum möglich, sich eine anmuthigere Erscheinung zu denken. Sie trug die ländliche Tracht der Umgegend, aber das Mieder saß ihr so knapp und schön, als wäre es eigens für sie ersonnen worden; das reiche braue Haar war in Zöpfen geflochten und um den Kopf gesteckt, die Aermel waren aufgestülpt, um beim Tragen der vielen Biergläser nicht hinderlich zu sein, die sie gleich der geübtesten Kellnerin handhabte, zugleich hatte sie am Arme einen offenen Henkelkorb hängen. Mit leichten Schritten von ungesuchter Zierlichkeit kam sie über den Platz, eine nicht übergroße, aber doch kräftige Gestalt, ein gesundes Roth auf Wangen und Lippen, den Glanz reiner Jugend in den Augen, tiefbraun gleich einer reifenden Haselnuß.

„Möcht’ wissen, was das Dirnl’ treibt,“ sagte der Viehhändler, „aber sie wird mein’ Eid jeden Tag sauberer … und was mir noch an ihr gefallt, ist, daß sie gar keinen Stolz, keinen Hochmuth hat – der Bergwirth hat ein schönes Geld an sie gewendet, und hat sie aufziehen lassen wie eine Herrische oder eine Stadtfräul’n, seit sie aber wieder daheim ist, tragt sie sich auch wieder bäurisch, und weil die Kellnerin just da drüben mithelfen muß beim Getreideabladen, steht ihr die Nasen nicht zu hoch, und sie schenkt gleich selber ein und bedient die Gäste …“

„Und das ist es, was ich bei dem Mädchen besonders hoch anschlage,“ fiel der Pfarrer ein. „Es ist mir von Anfang nicht recht gewesen, daß sie in’s Kloster zur Erziehung gegeben wurde, denn wohin soll es kommen, wenn Jedes höher hinaus will, über seinen Stand, und wenn die Bauerntöchter erzogen werden wie die von Beamten und Edelleuten! Ich habe auch dem Bergwirth mehrmals abgeredet, aber er geht immer nach seinem eigenen Kopf – zum Glück aber ist das Ding gut ausgegangen, die Bergwirths-Juli ist keine solche halbe Docken geworden, die nirgends mehr ganz hintaugt ... sie ist brav und einfach geblieben, wie sie es immer gewesen ist!“

„Sie können schon Recht haben, Hochwürden,“ sagte der Händler, „aber der Bergwirth, der Obernöder würd’ keine große Freud’ haben, wenn er hören thät’, daß Sie seine Juli eine Bauerntochter nennen! Er hat zwar ein Bauerngut, das sich wohl sehen lassen kann, aber die Hauptsach’ ist ihm doch die Wirthschaft, und da kann ich ihm auch nit so viel Unrecht geben, denn da geht’s herein, schier wie zu Regensburg im Stift von Sanct Emmeran, alle Viertelstund’ einen Ducaten … aber da kommt er selber aus dem Haus …“

Das Gespräch brach ab, denn die Wirthstochter war ganz nahe gekommen und fing an, mit freundlichem Grüßen und Nicken die vollen schäumenden Halbkrüglein zu vertheilen und zugleich dem Verlangen nach Brod oder geräucherter Wurst aus dem zur Vorsicht im Korbe mitgebrachten Vorrathe zu entsprechen.

Auch der junge Fußwanderer hatte unter den Bäumen Platz genommen, aber etwas abseits, hart an der Straßenböschung; das Gespräch der Uebrigen entging ihm nicht, und auch sein Blick hing

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