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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Heil der Kranken“ darüber Rechenschaft ablegt. Ein frommer Künstler in Wien hat außerdem sämmtliche Zeichnungen zu dem beabsichtigten Kirchenbaue unentgeltlich geliefert und will den Bau des neuen Loretto, eines Gotteshauses und der eigentlichen Bet- und Gnadencapelle, persönlich leiten, – ein Vorhaben, zu dessen glücklicher Vollbringung er „mehrmals an der Gnadenstätte knieend zur heiligen Jungfrau um Beistand gebetet hat.“ Noch im Laufe des heurigen Sommers soll das Werk beginnen, das unter solchen Auspicien sicherlich gelingen muß.

Ein Theil der Bruchsteine und Sandsteinquadern, von verschiedenen Einwohnern in Georgswalde ebenfalls als Scherflein zu dem rühmlichen Unternehmen gestiftet, liegt schon an Ort und Stelle bereit und harrt seiner Verwendung. Diese Steinhaufen, die sich wie ein Wall um das Grundstück ziehen, waren das Erste, was ich von der „Gnadenstätte“ zu Gesichte bekam.

„Schau’n ’s die Steine dort,“ sagte der aufgeweckte Rumburger Bursche, der meinen Führer abgegeben hatte, als wir beim österreichischen Mauthamte in Gersdorf auf den freundlichen Wanderort hinabblickten. „Da drinnen steht halt das Bethäusl.“

In wenigen Minuten war das Ziel erreicht. Mitten auf einer im ersten Grün des Frühlings prangenden Wiese stand der mehr als simple Bau aus Brettern mit einem Strohdach, nichts als ein Erdgeschoß und nach Landessitte einen engen Stall für eine etwaige Ziege nebst einer angebauten winzigen Scheuer umschließend. Vor dem Hause erhob sich ein gewaltiger, prachtvoller Birnbaum, der alle seine Brüder rundum überragte. Er hatte sich in seinen alten Tagen noch gefallen lassen müssen, zum Bilderstock zu werden; denn auch an seinem Stamme waren, ebenso wie an der äußeren Wand der Hütte, etliche grellfarbige Heiligenschildereien sammt verschiedenen Lampen angebracht. Weiter links hatte sich eine Art Markt angesiedelt, aus acht bis zehn Buden bestehend, die, in gemüthlicher Eintracht, Bäckerwaaren und allerhand geweihte Gegenstände, Crucifixe, Rosenkränze, Kerzen, Weihwasserbecken, Gebetbücher und dergleichen feilboten. Weiterhin gab es Bier- und Weinschenken, Branntwein- und Kaffeehäuser, und Gasthöfe zur Auswahl – Alles eine Frucht des Wunders, denn vor demselben hatte sich Philippsdorf solcher Segnungen der Civilisation nicht zu erfreuen gehabt.

Um erst ein wenig das Terrain zu sondiren, trat ich zunächst in das Dießner’sche Wein- und Bierhaus, das stattlichste der Umgebung, ein. Es war noch früh am Tage, allein wie überall in Böhmen fehlte es in der ungelüfteten schwülen Stube an Zechern nicht. Der Wirth schien mir ein Schlaukopf ersten Ranges zu sein, welcher die Frömmigkeit zweckmäßig mit dem Geschäft verband. Vorsichtigst suchte ich ihn denn auszuholen, was er selbst von dem wundersamen Begebniß meine. Geschickt wich er einer directen Antwort aus.

„Schaun’s,“ sagte er mit einem verschmitzten Lächeln, „ich hab’ halt die Wunden der Magdalen’ nit gesehn, aber jetzt weiß i, daß sie umherspringt gesund wie der Fisch im Wasser. Und wenn der Herr Caplan die Sach’ glaubt, der ein g’studirter Mann ist, und wenn alle Tage feine Herrschaften ankommen, die die G’schicht’ auch glaub’n, was kann mir’s schaden, wenn ich’s glaub’?“

Geschadet hat dem biedern Gastwirth sein Glaube freilich nicht. Aus Polen, aus Frankreich, ja sogar einmal ein katholischer Bischof aus dem äußersten Nordwesten von Amerika, von der Vancouverinsel, sind sie gekommen und haben bei Dießner gewohnt oder doch gegessen und getrunken, und seine Taschen sind nicht leerer geworden dadurch. Eben war eine „gebildete“ Familie aus Wien und eine andere aus der Gegend von Teplitz bei ihm, um an der heiligen „Gnadenstätte“ die Novene, d. h. die neuntägige Andacht, zu verrichten. Der Säckel des Herrn Caplan und der übrigen geistlichen Herren in Georgswalde hat durch das Wunder auch keine Einbuße erlitten, denn die meisten der frommen Waller sind erst vor seinem oder seiner Amtsbrüder Beichtstuhl erschienen, ehe sie im Bethäuschen von Philippsdorf die Gottesmutter verehrten. Da kann man schon im Jahre etwa fünfhundert Briefe beantworten, welche, wie Pater Storch berichtet, durchschnittlich in der Wunderangelegenheit bei ihm einlaufen, zumal, wenn sie mit baaren Spenden beschwert sind.

„Kann ich wohl die Jungfer Kade sprechen?“ frug ich weiter.

„G’wiß, wenn sie nit halt schon zur Kirch’ nach Georgswalde gegangen ist. Gehn ’s lieber gleich ’nüber und klappern Sie an der Thür,“ lautete die Antwort.

Ich begab mich, meinen „Stamper“ weißen Oesterreicher unberührt stehen lassend, zur Gnadenstätte und „klapperte“ an der Thür zur Linken des engen Hausflurs.

„Ist die Jungfrau Magdalena zu sprechen?“ rief ich höflich durch die Thür hinein.

„Net!“ ward mir der peremptorische Bescheid.

Vorläufig also abgewiesen, überschritt ich jetzt die Schwelle des eigentlichen Heiligthums, aus welchem mir, von zahlreichen Stimmen gebetet, der Rosenkranz entgegentönte. Es war zum Ersticken angefüllt von Andächtigen, Männern so gut wie Frauen. Theils saßen sie auf den rundum laufenden Holzbänken, theils knieten sie mitten im Zimmer oder auf der zu dem improvisirten Altar führenden Stufe. Die Mehrzahl waren Landleute aus der Gegend, aber auch städtische Elemente sah ich darunter, so die „gebildete“ Wiener Familie. Längs der Wände waren höchst primitive Bilder, Buntdruck, Oelpinseleien, ausgemalte Lithographien und Photographien, eines dicht an dem andern in doppelter Reihe angebracht, während sich die fünf Holzbalken, welche die Decke stützten; ebenfalls bis zum Uebermaße mit geschmacklosen Kränzen von bunten Papierblumen behangen zeigten, zwischen die man die kleinsten „Votivbildchen“ gruppirt hatte. Eine Farbenstellung, welche dem Auge förmlich wehe that!

Zur rechten Seite des Altars bemerkte ich einen eigenthümlichen viereckigen Kasten, der mir der Hauptmagnet des Ganzen zu sein schien, so sehr ward er von Betenden umkniet und geküßt. Nicht ohne Mühe schlug ich mich bis zu dem Platze durch die mich verblüfft anstarrende Menge. Ich sah einen in den Fußboden eingefügten Marmorstein, auf welchem eingegraben stand: „Mein Kind, von jetzt an heilt’s!“ jene Worte, welche, wie berichtet, die Jungfrau Maria an die kranke Magdalena richtete. Der Stein selbst war von einem sammetnen Kasten beschützt, auf dessen jetzt aufgeschlagenem Deckel in Goldschrift zu lesen war: „Maria, du Heil der Kranken“. Das Monument bezeichnete die Stelle, wo der Leidenden die Gestalt der Gottesmutter erschien; selbstverständlich ist dieser Platz das Allerheiligste im Heiligthume. An ihm zu beten, ihn mit seinen Lippen zu berühren, kranke Körpertheile mit ihm in Contact zu bringen oder auch nur Tücher, Kleidungsstücke, Wundenbandagen etc. abwesender Leidenden auf ihn zu legen, drängt sich Alles. Von hier gehen ja jene „wunderbaren Heilungen“ aus, von denen Pater Storch in seinen drei Heften so viel zu berichten weiß.

Nach dieser Atmosphäre erschien mir das dumpfe Gasthofszimmer, wohin ich mich bald zurückrettete, als ein leibhaftiger Luftcurort.

„Nun, haben ’s die Jungfer Magdalen’ gesehn?“ rief mir Biedermann Dießner gleich beim Eintreten entgegen.

Kopfschüttelnd erzählte ich von der mir zu Theil gewordenen Abfertigung.

„Ach, was,“ versetzte der Wirth, „so müss’n ’s halt nit sprechen. Gehen ’s glei noch eimal hinüber und sagen ’s, Sie wollten die Hefteln (die zum Besten des Kirchenbaues verkauften, oft citirten Schriften Pater Storch’s) hab’n; da wird sie Ihnen schon aufsperren.“

Ich verfügte mich wieder zur Gnadenstatt hinüber. Mein schlauer Dießner hatte Recht gehabt. Sein Sesam wirkte. Magdalena Kade that mir die Thür ihres jungfräulichen Gemaches auf, das ihr, nach dem Ankauf des brüderliche Hauses, als Leibgedinge überwiesen ist. Gott im Himmel, dachte ich, hätte man statt zum gräulichen Ausputz des Betzimmers ein paar Gulden daran gewandt, die Stube der „Gottbegnadeten“ weniger zu einer Einsiedlerzelle als zu einer menschenwürdigen Wohnung herzurichten! Es fehlte dem niedrigen kleinen Raum auch an jedem, selbst dem allernothdürftigsten Comfort; keine Diele, nur Ziegelfußboden, über den ein paar Lumpen als Decken lagen, kein ordentlicher Stuhl, kein Tisch, kein Schrank, nichts von alledem. Doch vielleicht sollte diese Aermlichkeit den Nimbus der „Gottbegnadeten“ erhöhen.

Jungfrau Kade hatte sich soeben zur Kirche angekleidet; recht schmuck und sauber in schwarze Gewandung. Sie ist eine magere Gestalt von mittlerer Größe, ihr Gesicht nichtssagend und stumpf, hager, aber von gesunder rother Farbe. Den Kopf bedeckte dünnes blondes Haar, nach hinten à l’enfant gekämmt. Den Eindruck einer Betrügerin oder einer exaltirten Schwärmerin machte sie nicht im Entferntesten, wohl aber schien sie mir ganz

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