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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

auf den Wiesen, überall wo eines der verstreuten Häuser und Häuschen stand, hatte man Lämpchen und Kerzen entzündet zur Feier des heiligen Begebnisses und damit in der That eine überraschende Wirkung erzielt. Die halbe Nacht dauerte das Gewehrfeuer fort, um am frühen Morgen von Neuem zu beginnen; dabei zogen „Ostersänger“, Männer und Weiber mit Geigen, Harfen und Guitarren, im Orte umher, verkündeten, oft recht musikalisch, die frohe Botschaft und sammelten fleißig österreichische Neukreuzer und Zehner ein.

Ich dünkte mich in eine fremde Welt versetzt, obschon nur wenige Meilen von meinem Wohnorte entfernt. Das Ganze war zugleich eine treffliche Vorbereitung auf den eigentlichen Zweck meiner Ostertour.

In der Frühe des zweiten Festtages wanderte ich zu Fuß noch ein Stündchen weiter nordwärts, dicht bis an die sächsische Grenze. Sowie ich den Höhenkamm überschritten und den „Busch“, wie es dort zu Lande heißt, das heißt ein Fichtenwäldchen, im Rücken hatte, that sich mir ein neues wunderschönes Panorama auf. Mir im Rücken lag das höhere Gebirge, von der noch schneebedeckten Lausche im Osten flankirt, vor mir sah ich die sanfteren Waldhügel der Lausitz, aus denen im Sonnenlichte funkelnd eine Menge von Häusern herüberblickten, und dazwischen in ununterbrochener Kette Ort an Ort, sämmtlich Fabrikdörfer, böhmische und sächsische hart an- und durcheinander. Rechts ein wahres Prachtdorf, das protestantische Gersdorf, mit großen Wohn- und Fabrikgebäuden und vielen hohen Dampfschloten. Unmittelbar daneben auf grüner Matte liegt sehr reizend das, wenn auch ärmere, doch immer gar freundlich sich präsentirende böhmische Philippsdorf mit etwa tausend Bewohnern, meistens Webern, welche theils für die Fabrikanten des erwähnten protestantischen Gersdorf, theils nach dem links anstoßenden böhmischen und katholischen Georgswalde arbeiten, dem Centrum der sogenannten „Rumburger“ Leinwandindustrie.

Noch vor wenigen Jahren kannte man draußen in der Welt nichts von diesem bescheidenen Philippsdorf, heute spricht und schreibt man von ihm selbst jenseit des Oceans. Ein unscheinbares Weberhäuschen darin, eines der dürftigsten des Ortes, hat es buchstäblich „über Nacht“ berühmt gemacht. Dies merkwürdige strohbedachte Weberhäuschen war das Ziel meiner Osterfahrt, wie es, allerdings aus anderen Gründen, schon für Tausende und Abertausende ein Wanderziel gewesen ist und voraussichtlich noch sein wird.

Viele meiner Leser werden im Allgemeinen schon wissen, was sich in diesem „von Gott begnadeten“ Philippsdorf zugetragen hat, um dasselbe zu einem neuen Loretto oder Maria-Einsiedeln zu erheben. Der speciellere Vorgang des „wunderbaren“ Begebnisses ist indeß doch wohl nur wenigen bekannt.

In dem erwähnten Hause lebte bei ihrem Bruder ein armes Mädchen, Magdalena Kade mit Namen. Bis zu ihrem neunzehnten Jahre völlig gesund und robust, half sie tüchtig mit schaffen, am Webstuhl und in der kleinen Haushaltung ihrer Geschwister. Da befiel sie im Jahre 1854 jählings, „in Folge eines Schreckens“ eine geheimnißvolle Krankheit. Aus heftigen Krämpfen, die ihr zeitweilig das Bewußtsein raubten und sie mehrmals in der Kirche zusammenbrechen ließen, entwickelte sich eine Art Blasenausschlag. Von der linken Brust ausgehend, hatte er nach und nach den Leib schon bis zum Beine herab mit bösartigen eiternden Geschwüren ergriffen. So berichtet der Stiftscaplan von Georgswalde, Herr Pater Storch, in den von ihm über das merkwürdige Ereigniß herausgegebenen Heften, die ich im Laufe meiner Skizze noch verschiedene Male wörtlich zu citiren Gelegenheit nehmen werde. Ihm, um dies gleich hier anzuführen, gebührt überhaupt der Ruhm der eigentlichen Urheberschaft des „Wunders von Philippsdorf“.

„Nach der Ansicht vieler Laien“, meint der fromme Pater, ging das Uebel bereits in ein krebsartiges Leiden über und wurde von zwei Aerzten, einem in dem böhmischen Georgswalde, dem andern in dem benachbarten evangelischen Gersdorf, vergeblich bekämpft. Der erstere hatte es für ein „Ekzem“, ein Bläschengeflecht, erklärt und einer ihn darum befragenden Anverwandten der Kranken versichert: „die Magdalena Kade hat ein unheilbares fressendes Uebel an sich.“ Das Alles erzählt, wohlgemerkt, Caplan Storch.

Die Krankheit – ich folge genau dem Berichte desselben – wuchs und wuchs. Seit Monaten schon konnte die Leidende ohne Hülfe nicht mehr das Bett verlassen, fiel, wenn sie aus demselben heraus- oder in dasselbe wieder hineingehoben wurde, stets in langwährende Ohnmachten und erlitt „unerträgliche Schmerzen“, namentlich in der linken Brust. „Ihre Stimme war kaum noch vernehmbar“. Offenbar ging es dem Ende entgegen, so daß Caplan Storch ihr in der zweiten Hälfte des Decembers 1865 die Sterbesacramente reichen mußte. Dazu verpesteten die eiternden Geschwüre der Unglücklichen mit ihrem Geruche das Haus und machten die Pflege der Kranken für ihre Angehörigen zu einem Martyrium.

Am zwölften Januar 1866 hatten ihr Bruder und dessen Frau „mit Schaudern“ noch die entsetzlichen Wunden ihrer Schwester gesehen. Es war der schmerzensvollste Tag Magdalena’s, und unablässig stöhnte und jammerte sie. Sie selbst war überzeugt, der Tod nahe sich. Eine Freundin wollte in der Nacht bei ihr wachen; die Kranke vermochte sie jedoch, sich ein wenig niederzulegen. Auf einer neben dem Bett stehenden Bank schlummerte die Pflegerin ein, während Magdalena, von Schmerzen gepeinigt, keinen Augenblick Ruhe fand.

„Auf einmal, es konnte in der vierten Morgenstunde des dreizehnten Januar, eines Samstages, sein, entstand in der durch eine kleine Oellampe nur spärlich beleuchteten Wohnstube eine Helle und besonders in der Nähe des Bettes ein Glanz wie am lichtesten Tage, so daß die Kranke ihre schlafende Freundin aufweckte mit den Worten: ‚Steh nur auf und sieh, wie licht es in der Stube wird!‘. Während die Letztere aufsprang, sah die Kranke am niedern rechten Bettrande zu ihren Füßen eine große, herrlich glänzende, ganz in einen lichtvollen weißen Mantel gehüllte Frauengestalt mit einem wie die Sonne strahlenden Gesicht und mit einer goldgelb glänzenden Krone auf ihrem Haupte (Hände und Füße sah sie nicht), und da überfiel die Kranke ein heiliges Zittern und Beben, so daß ihre von alledem nichts bemerkende Freundin sie kaum im Bett erhalten konnte, wobei die Kranke dieselbe bat: ‚Knie doch nieder; siehst Du sie nicht stehen?‘ – was diese jedoch nicht that, weil sie weder von der Gestalt noch von dem Glanze etwas sah und nur glaubte, es sei etwa der Kranken die Hitze gegen den Kopf gestiegen.“

Blendender und blendender wurde das Licht der Erscheinung, welche die Leidende sofort für die „heiligste Jungfrau Maria“ hielt. Erst suchte sie ihre Augen vor dem gewaltigen Glanze zu schützen, dann faltete sie die Hände und betete laut. Darauf sprach die Gestalt „mit einer überaus lieblichen und unbeschreiblich angenehmen Stimme“ die Worte: „Mein Kind, von jetzt an heilt’s!“ und verschwand, mit ihr Glanz und Tageshelle. Wie uns der Pater versichert, hat dies Alles Magdalena nachmals „mit einem feierlichen Eide bekräftigt“.

Und von Stunde an war die seit zwölf Jahren Siechende, von zwei Aerzten erfolglos Behandelte und „für unheilbar Erklärte“ gesund – und verblieb es. Auf der Stelle endeten ihre Schmerzen, und ihre Stimme hatte mit Einem Male einen so kräftigen, sonoren Klang bekommen, daß Bruder und Schwägerin, welche sie unverweilt holen ließ, sich nicht genug verwundern konnten. Nichtsdestoweniger – wir halten uns immer an die Aufzeichnungen des Caplans – waren Beide anfangs geneigt, Magdalena’s Erzählung für das Product einer Fieberaufregung zu nehmen, bis sie ihnen ihren Körper zeigte. Welches Erstaunen! Alle bösen Wunden waren geheilt und trocken, mit frischer Haut überzogen, und blos eine kleine, kaum thalergroße Stelle, die noch „ein wenig näßte“, zeugte von der vormaligen furchtbaren Krankheit.

Wer konnte jetzt noch zweifeln? Gemeinschaftlich warfen sich alle im Zimmer Anwesenden auf die Kniee und dankten lobpreisend der „heiligsten Jungfrau“; Magdalena aber, sie, welche seit Jahren ohne fremde Unterstützung kein Glied zu bewegen im Stande gewesen war, sie stieg „ganz allein aus dem Bette“ und marschirte frank und frei durch die Stube. Auch die übrigen Hausgenossen, mehrere im nahen Gersdorf beschäftigte Fabrikarbeiter, blieben sprachlos vor Verwunderung stehen, als sie, zum Mittagessen heimkehrend, die, welche sie dem Tode nahe, vielleicht mittlerweile schon verschieden geglaubt hatten, frisch und wohlauf einherwandeln sahen.

Mit Blitzesschnelle verbreitete sich das Geschehene durch den Ort. In den Augen des Publicums war das Wunder fix und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 329. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_329.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)