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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

zweifelhafte Verdienst mehrerer Neugestaltungen solcher Art gebührt, am ersten Pfeiler rechter Hand vom Grabe eine ovale Steintafel mit lateinischer Inschrift aufhängen, welche das Geschehene der Nachwelt verkündet.

An dem gegenüber stehenden Pfeiler hängt ein dem sechszehnten Jahrhunderte angehörendes Oelgemälde, den Kaiser im Harnisch mit der Krone auf dem Haupte darstellend, mit der lateinischen Inschrift: „Kaiser Lothar der Sachse, der Stifter dieses Klosters.“ – Außerdem ist das Grab selbst mit einem grau vermalten hölzernen Gatter umfriedigt, welches, dem Geschmacke des durch Gelahrtheit ausgezeichneten Professors der Theologie und Abtes Fabricius wenig Ehre machend, sich besser zu einem Treppengeländer, als zur Umfriedigung eines Kaisergrabes eignet, und das man jetzt, wo einestheils der Sinn für die Erhaltung dessen, was aus alter Zeit in unsere Tage noch hinübergerettet wurde, neu erwacht ist, anderntheils aber derartige Arbeiten für ein Billiges herzustellen sind, durch ein stylgemäßes eisernes Gitter ersetzen sollte.

Durch ein am westlichen Ende des südlichen Seitenschiffes belegenes Pförtchen gelangt man in den Kreuzgang, in architektonischer Hinsicht einer der schönsten und interessantesten Theile des alten Stiftes. Vollständig erhalten und vortrefflich restaurirt ist allerdings nur der an das Seitenschiff der Kirche stoßende Flügel, sicher ist dieser aber der schönste Theil des Ganzen gewesen. Er ist zweischiffig, die das Gewölbe tragenden Säulen sind in Formen und Ornamenten jede von einander unterschieden, die Capitäle derselben gehören, was Zeichnung sowohl als Ausführung betrifft, zu dem Schönsten, was man in dieser Art sehen kann. Der große, mit saftig grünem Rasen bewachsene Hof, in welchen man durch die offenen Arcaden dieses Kreuzganges blickt, und der ehemals ganz von demselben umschlossen wurde, ist jetzt der angrenzenden, neuerbauten Landes-Irrenanstalt zugelegt, deren weißgetünchte Façaden, mit ihren endlosen Reihen eintöniger Fenster, sich wunderlich genug in unmittelbarer Nähe des Kaiserdomes ausnehmen.

Es war an einem heiteren Nachmittage im Spätherbst vorigen Jahres, als wir den Dom Lothar’s zu besuchen ausgezogen waren; mehrere Stunden hatte uns diese in historischer wie architektonischer Hinsicht interessante Oertlichkeit gefesselt, als uns die eintretende Dämmerung zum Aufbruch mahnte. Noch einmal, ehe wir schieden, traten wir an das Kaisergrab, in dessen Betrachtung „der Vorwelt silberne Gestalten“ vor uns aufzusteigen schienen. Da unterbrachen die Klänge der Betglocke die Stille. Ernst und feierlich schwammen die Glockentöne durch den weiten Raum, endlich in den Grüften und Gewölben verklingend, wie eine Mahnung an das uralte Grundgesetz alles Irdischen: Staub zu Staube, Asche zu Asche! –

Draußen aber rauschte es in den Wipfeln der hohen Linden, als wollten auch sie uns noch erzählen von alle Dem, was, vielleicht in fünf Jahrhunderten, an ihnen vorübergegangen, vor Allem aber von dem Kaisergrabe drinnen in der Kirche, das sie, von jedem Lenze neu verjüngt, mit frischem Grün zu beschatten, einst gepflanzt wurden.

C. St.


Berliner Erinnerungen.
Von Eduard Devrient.
1. Spontini.
(Schluß.)

Den empfindlichsten Rückschlag seiner egoistischen Rücksichtslosigkeit sollte Spontini an der empfindlichsten Stelle seiner Position, an der Anziehungskraft seiner grands ouvrages, erfahren; er büßte schon 1829 mit dem Talente der Frau Milder den größten Glanz seiner Opern ein. Sie hatte sich schon seit geraumer Zeit gegen Spontini’s Anstrengungsforderungen bei meistens unnützen Proben gesträubt, sie hatte schließlich mehrmals die Aufführung der Statira verweigert; seine Ungeduld, sein Ereifern richtete bei der majestätischen Dame nichts aus, so sah er sich in seinen Interessen verletzt, achtete darüber den Werth dieser künstlerischen Persönlichkeit für das Kunstinstitut überhaupt nicht, sondern drang auf ihre Pensionirung, die er denn auch in der Zeit des Intendanz-Interregnums im Jahre 1829, trotz ihrer Protestationen, durchsetzte. Er lebte in dem hochmüthigen Wahne, es müßten ihm die ersten Gesangscapacitäten auf seinen Wink zufliegen; er wußte nicht, daß im Gegentheile seine Opern und seine Anforderungen bei deren Ausführung von allen Gesangstalenten gescheut wurden. So erlangte er kein Talent wieder, das auch nur annähernd der Milder sich vergleichen, den grands ouvrages den verlorenen Reiz der poetischen Hoheit wiedergeben konnte. Das Theater aber hatte ein unersetzliches Talent wenigstens um fünf Jahre zu früh eingebüßt; das bewiesen die Gluck’schen Opern Armida und Iphigenia, welche Frau Milder als Gast noch 1830 und 1834 auf der Bühne sang, von der sie vorzeitig vertrieben worden. Auch die ausdauernde Stütze seiner Opern, die Darstellerin der Julia, Amazily, Olympia, vermochte nach schwerer Erkrankung im Jahre 1830 nicht mehr Spontini’s Ansprüchen zu genügen, und mußte auf ihr Verlangen 1832 pensionirt werden.

Den besten Ersatz für Frau Milder, das Talent der Frau Fischer, verscherzte sein Uebermuth. Sie sang 1831 und 35 in Berlin zu Spontini’s großer Befriedigung, war auch bereit seine Anträge anzunehmen, aber sie hatte noch mehrjährige Verpflichtungen gegen den badischen Hof. Diese zu lösen schrieb Spontini persönlich an den Großherzog, ihm die sofortige Entlassung der Frau Fischer als einen Act der Billigkeit darstellend, um das Talent von der ehrenvolleren Stellung und der höheren Vervollkommnung nicht zurückzuhalten, welche er ihm biete. Der Großherzog antwortete durch eine lebenslängliche Anstellung der Sängerin, und Spontini’s Jagd auf große Talente wurde immer hitziger und rücksichtsloser. Als er aufmerksam gemacht wurde, daß eine junge schöne Choristin mit schöner Stimme gute Aussicht gebe, bei vorsichtiger Bildung, für die großen Aufgaben geeignet zu werden, unternahm er sofort, sie in die Partie der Statira hineinzutreiben. Vergebens warnte man ihn vor dem Nachtheil, den das junge unreife Talent von dieser verfrühten und übereilten Anstrengung davontragen müsse – den grands ouvrages konnten auch Menschenopfer fallen. Nach kurzer Zeit war der Glanz einer schönen Stimme gebrochen, und das junge Mädchen mochte von Glück sagen, daß sie sich in’s bürgerliche Leben und in die Ehe retten konnte.

In dieser letzten Epoche, welche ihn zu dauernder Arbeit nicht mehr fähig fand, beschäftigte ihn um so mehr sein Hang, an seinen fertigen Werken zu ändern. So grübelte er, nach dem Mißerfolge von „Agnes von Hohenstauffen“, über neue dramatische Motive, durch welche er dem allerdings sehr einfachen Gange der Handlung mehr Anziehungskraft geben könne.

Nach einer der ersten Vorstellungen von Marschner’s „Templer und Jüdin“ ersuchte mich eines der freundlichen Billets von Madame Spontini: im Vorübergehen ihren Gatten zu besuchen. Ich kam. Er sprach von der Aufführung des „Templer“ und versuchte zunächst, mir die Darstellung der Titelpartie, als zu anstrengend für mich, zu verleiden, und da er sah, daß ich darauf nicht eingehen wollte, sagte er mir gerade heraus: es liege ihm daran, daß die Oper nicht mehr auf dem Repertoire erschiene, weil die Darstellung des Gottesgerichtes einen Eindruck mache, den er seiner „Agnes“ zu gewinnen wünsche. Ich war erstaunt und fragte ihn: wo denn in seiner Oper Platz für ein Gottesgericht zu finden sei? – Er werde sich finden lassen, erwiderte er, einstweilen wünsche er nicht, daß dieses Motiv in dem Marschner’schen Werke abgenützt würde. Ich mußte ihm nun antworten, daß es an mir nicht sei, ein geachtetes Werk vom Repertoire zu entfernen, sondern daß meine Pflicht von mir fordere, die mir sehr liebe Partie so oft zu singen, als mir Gelegenheit dazu gegeben würde. Er brach das Gespräch ab: „eh bien, n’en parlons plus!“ und ich ging voll Verwunderung davon über eine so scheulose Pflichtverletzung von einem Manne in Amt und Würden. Noch öfter suchte er mich in’s Interesse seiner Abänderungspläne

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_326.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)