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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


„Ah, daran erkenne ich den stolzen Geist der Johanniter!“ sprach Egon. „Um die Ehre des Ganzen, nicht um mich zu retten, bringen sie ein solches Opfer. Gut denn, in diesem Sinne werde ich es annehmen und ihnen die Schande ersparen, einen Zuchthäusler zum Bruder zu haben!“

Adelheid athmete tief auf und ein unwillkürliches „Gott sei Dank“ entschlüpfte ihr.

Er sah sie traurig an. „Adelheid, Du hast mich tief beschämt durch Deine Fürsorge. Aber Du nimmst mir in demselben Augenblick, wo Du mir die Freiheit giebst, das Einzige, was sie mir theuer machen würde, die Hoffnung auf Deine Liebe –! Es ist ein trauriges Geschenk, Adelheid, für das ich Dir nicht danken kann. Wie arm sendest Du mich in’s Leben, wie viel ärmer als vorher bleibe ich zurück, wenn der Fluchtversuch mißlingt! O Adelheid, konntest Du mich nicht retten, ohne mir, wie die Johanniter, zu sagen, daß Du es nicht aus Liebe thust?“

„Nein, das konnte ich nicht, Egon; Dich hierüber in einem Irrthum zu lassen, wäre eine Sünde gewesen!“

„Und weshalb, räthselhaftes Weib, weshalb thatest Du es überhaupt? Die Johanniter hatten doch einen Grund, den der Ordensehre – Du aber, die kein Mitleid kennt, aus welchem Grunde thatest Du ’s?“

„Weil ich es nicht ertragen kann, daß Du schwerer gestraft seist, als ich, die so schwer gefehlt wie Du. Ich glaube nicht, daß dies der Wille des gerechtesten aller Richter ist, und darum darf ich die Strafe von Dir abwenden, welche nur äußere Umstände über Dich verhängten. Die innere Strafe aber, die Gott selbst Dir auferlegt, darf und kann ich nicht lindern. Ich kann Dir die wiedergeschenkte Freiheit mit keiner Hoffnung, keiner Freude schmücken. Wir sind dem Zorn des Herrn verfallen; noch ein Glück für uns zu begehren, hieße uns gegen Gottes Willen auflehnen.“

Egon lächelte bitter. Sie fuhr fort: „Du denkst, es sei wohlfeil zu sagen ‚ich darf nicht‘, wenn man nicht will! Ich sage Dir aber, Egon, es giebt einen Mann, den ich liebe, und ich weiß jetzt, daß auch er mich liebt; es wäre mir ein Leichtes, die unterdrückte Gluth zur Flamme anzufachen, aber so durchdrungen bin ich von diesem ‚Ich darf nicht‘, daß ich nur bete: ‚Vater, führe mich nicht in Versuchung!‘ Und Dir, unglücklicher Mann, Dir schwöre ich bei allem, was heilig ist, ich werde ihm nicht angehören und wenn es mein Tod wird. Sieh’, das ist die einzige Sühne, die ich Dir, die ich meinem geopferten Gatten geben kann. Bist Du nun zufrieden?“

„Du bist ein Wunder, Adelheid, wie’s kein zweites giebt. Du quälst Andere wie ein Teufel und leidest selbst wie ein Engel. Ich muß Dir fluchen und die Thränen des Mitleids ertränken mir den Fluch auf den Lippen! Nein, ich rechte nicht mehr mit Dir, Du bist eines jener Geschöpfe, die untergehen müssen, weil sie auf der haarscharfen Grenze stehen zwischen Mensch, Gott und Dämon. Sie sind außerhalb des Gesetzes. Menschen, Gott und Teufel streiten sich um sie, bis die Natur die Ordnung wieder herstellt und die fragwürdige Schöpfung vernichtet! – Nein, ich rechte nicht mehr mit Dir!“

„Dies ist ein trauriges Wort,“ sagte Adelheid. „Aber ich fühle es, Du bist versöhnt. So laß mich scheiden. Was zwischen uns noch zu schlichten war, ist abgethan. Das Maß unserer Schmerzen ist nun gleich gemessen, wir sind quitt! Lebe wohl und handle rasch. Ich werde auf meinen Knieen für Dich beten, bis ich höre, daß Du gerettet bist.“

Sie klopfte an der verschlossenen Thür. Der Bursche öffnete von außen. „Adelheid!“ flehte Egon. Leise, wie sie gekommen, war sie entschwunden und Egon’s verzweifelter Ruf verhallte an den nackten Wänden. – – –

Am Morgen des folgenden Tages saß Alfred mit Tante Lilly in seinem Zimmer am Fenster. Er schüttelte nachdenklich den Kopf. „Ich möchte nur wissen, was mit der Mutter ist. Sie kommt so lange nicht herunter.“

Lilly flüsterte wichtig: „Ich habe vorhin durch’s Schlüsselloch“ – sie hielt erschrocken inne, sie hatte sich schrecklich verschnappt, denn Alfred hatte ihr das Schlüssellochgucken und Horchen streng untersagt.

Aber der Knabe war wohl mit andern Gedanken beschäftigt und frug zerstreut: „Sahst Du sie?“

„Ja, sie lag auf den Knieen und hatte das Gesicht mit den Händen bedeckt.“

„Hm!“ Alfred schaute in offenbarer Spannung zum Fenster hinaus. Heute sollte Egon vor die Geschwornen kommen und seine Mutter lag auf den Knieen und betete! Das waren zwei in verhängnißvollen Zusammenhang tretende Gedanken. Da kam der Bediente, der als Zeuge vor dem Schwurgericht erscheinen sollte, plötzlich sehr erhitzt durch den Garten gerannt.

„Was ist das? da kommt ja Anton schon wieder!“ rief Alfred. „Anton, was ist geschehen?“

„Ach, denken Sie nur, junger Herr,“ schrie der Diener und brachte vor Laufen fast die Worte nicht heraus. „Es ist nichts mit dem Schwurgericht – der Herr Graf sind entwischt!“

Alfred stand da wie eine Bildsäule. Er war erblaßt bis in die Lippen hinein, seine Fäuste ballten sich krampfhaft, seine Augen flammten, es war als sträubten sich ihm die Haare, so ganz in Zorn verwandelt war der Knabe.

„Entkommen!“ stammelte er tonlos – „fort!“

„Ja,“ berichtete der Diener; „als man ihn heute früh zur Sitzung holen wollte, war er verschwunden und der Gehülfe des Gefängnißwärters mit ihm. Man hat Alles gethan, was nöthig ist zur Verfolgung, aber was wird es nützen? Sie haben wohl schon einen zu großen Vorsprung.“

„So soll er frei ausgehen, ungestraft, mein Vater soll nicht gerächt werden?“ tobte Alfred. „O, o – er ist entflohen und ich muß es mit ansehen und kann ihn nicht packen!“

„Alfred, wie böse Du bist, man fürchtet sich ja vor Dir!“ rief Lilly.

„Tante, wenn man erlebt, was ich erlebte, da müßte ein Lamm zum Tiger werden. Der Mörder, der mir meinen Vater erschoß, ist gerettet und ich bin nichts als ein kranker Bube, der ihm nicht nach kann, soll man da nicht rasen, Tante? Begreifst Du denn nicht, was das heißt? Mit Nägeln und Zähnen möcht’ ich ihn zerreißen, und die Schurken lassen ihn entlaufen!“

„Wen?“ fragte Adelheid, die eben in’s Zimmer trat.

„Ihn,“ schrie Alfred, am ganzen Leibe zitternd. „Er ist fort.“

„Wer – Egon?“ stammelte Adelheid und Thränen einer unbeschreiblichen Erleichterung stürzten ihr aus den Augen.

Da trat Alfred auf sie zu und faßte ihren Arm und sein Auge bohrte sich mit einem erschreckenden Ausdruck in das ihre. „Mutter, Du weinst vor Freude bei dieser Nachricht?“

Adelheid erbleichte, aber sie sprach mit Würde: „Ja, und Gott möge diese Thränen richten.“

Es waren wenige Worte und sie bewiesen nichts, aber sie ergriffen den Knaben in tiefster Seele und er schlang mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit seine Arme um die Mutter. „O liebe Mutter!“ rief er. „Ich will Dir nicht mehr weh thun! Wenn ich aber erwachsen bin und ich bekomme den Grafen jemals in meine Gewalt, dann sollst Du Dich nicht mehr über seine Rettung freuen – denn dann will ich mit ihm abrechnen, dann will ich ihn festhalten, daß er kein zweites Mal entkommen soll. Gott hat’s gehört und er wird mir helfen, meinen Schwur zu halten!“




Ein deutsches Kaisergrab im alten Sachsenlande.

Einige Meilen östlich von dem alten welfischen Stammsitze Braunschweig, am Fuße des Elmes, eines durch prachtvolle Buchenwaldungen ausgezeichneten Höhenzuges, liegt das Städtchen Königslutter. Dieser Ort war einst im deutschen Reiche bekannter als heutzutage, und zwar bekannt durch viel getrunkenes und weit versandtes Bier, jetzt „Duckstein“, in alter Zeit aber „Luttertrank“ genannt, das Hauptlabsal auch der Helmstädter Studenten, die an schönen Sommertagen hinüberzogen, um den edlen Gerstensaft an der Quelle zu trinken, der in den Kneipen des alten „Elmathen“[1] damals allgemein zu finden war. Im fünfzehnten und sechszehnten Jahrhundert, wo das Biertrinken bei unseren Altvordern

  1. Helmstädt, die gleich nach Einführung der Reformation gegründete, 1809 aber durch König Jerome von Westphalen aufgehobene Universität, bezeichnete man, ihrer Lage am Elme wegen, mit dem Namen „Elmathen“.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 324. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_324.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)