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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Blätter und Blüthen.

Erziehungscharlatanerie. Die Art, wie sogenannte Gesundheitshäuser, Schweizerpensionen am Genfersee, Bade-Administrationen etc. ihre Leistungen auszuposaunen pflegen, ist allbekannt. Wenn aber die heilige Sache der Erziehung, des Jugendunterrichts den Charakter der marktschreierischen Reclame annimmt, so dürfte doch eine ernste Rüge am Platze sein. So lasen wir z. B. kürzlich, daß eine Erziehungsanstalt in einer berühmten Stadt an der Elbe ankündigt: „Beste Lage, großer Garten, Bäder und Arzt im Hause; Conversation englisch, französisch, russisch (!) und deutsch.“ Wahrlich, da glaubt man sich ganz in die Nesselborn’sche Anstalt versetzt, die Karl Gutzkow in seinem neuesten Roman „Die Söhne Pestalozzi’s“ mit köstlichem Humor und lebenswahren Farben geschildert hat, so daß man oft ein photographisches Abbild unserer Zeit vor sich zu haben glaubt. Das von Anfang bis zu Ende spannende Buch verbindet die Erzählung von dem Findling Theodor Waldner, der, einer vornehmen Familie angehörend, vielfach an Caspar Hauser erinnert, in interessantester Weise mit der Geschichte Lienhard Nesselborn’s, eines talentvollen Erziehers, dem, um ein echter „Sohn Pestalozzi’s“ zu sein, eben nur Charakterstärke fehlte. Gutzkow führt so ziemlich Alles, was seit Rousseau bis in die neueste Zeit auf dem Gebiete der Pädagogik erstrebt und leider – gesündigt worden ist, am Auge des Lesers in Bildern vorüber. Werden wir anfangs widerstandslos fortgerissen von Nesselborn’s glühender Begeisterung für die philanthropischen Ideale, so sehen wir später mit Entrüstung, wie ihre so vielversprechende Verwirklichung mit den verschiedenartigsten und theilweise aus den unlautersten Quellen fließenden Hindernissen, namentlich allerdings auch mit dem lichtscheuen Einfluß der Regierungen, zu kämpfen hat. Wenn auch begründet in der rein humanitären Absicht, „die Kindesseele auf Stufen, die immer höher und höher steigen, dem Ideal der Erziehung entgegenzuführen, dem reinen, unverkünstelten, gottähnlichen Menschenthum“, geräth doch die Anstalt allmählich in jenen Zustand, den einer ihrer Lehrer, der mit einer gediegenen wissenschaftlichen Bildung versehene, talentvolle und energische Doctor Hellwig, ein echter „Sohn Pestalozzi’s“, in bitterer Ironie mit den Worten charakterisirt: „Wir sind Handelsanstalt und Polytechnicum! Wir erziehen für’s Gymnasium, die Kriegsschule, für’s Forstfach! Ihr Herr Sohn will Diplomat werden –? Ha, wir lehren die Geschichte à la Ranke! Oder Theolog? Nein, dann lehren wir sie à la – Leo! Bitte, mein Sohn wird Jesuit! Hurrah! Wir bringen Luther in die Walhalla, aber nur – wegen seiner Verdienste um die deutsche Sprache!“ Die fortgeführte Erzählung schildert die marktschreierische Art, wie das Institut die Aufmerksamkeit des Publicums auf sich zu ziehen sucht. Die Schulprogramme, anfänglich von der glühendsten Begeisterung für Pestalozzi’s Lehre eingegeben, sinken allmählich zur Reclame hinunter. Die Zöglinge ziehen in Turnerkleidung, militärisch, mit Trommeln und Trompeten, durch die Straßen der Stadt; sie unternehmen während der Ferien unter Führung ihrer Lehrer Reisen bis in die Schweiz mit ostentationssüchtigen Zwecken; das Institut veranstaltet sogenannte Schülerbälle, ladet junge Damen und die Eltern der Zöglinge ein, worüber sämmtliche Schulzwecke in Verwirrung gerathen. Alle Schattenseiten der Privaterziehungsanstalten, die so oft nur Speculationen für die Existenz ihrer Begründer sind, werden dem Leser so anschaulich vorgeführt, daß man, unabhängig von dem sonstigen unterhaltenden Reiz des Sujets, besonders Eltern, Vormünder und Erzieher auf diesen zu den hervorragenden Erscheinungen im Gebiete der schönwissenschaftlichen Literatur zählenden Roman aufmerksam machen darf.

W. 


Froschhandel. Unter dem Titel „Ausfuhr von Fröschen“ machte jüngst eine Notiz durch alle Zeitungen die Runde, welche die Ausfuhr der Frösche von Luxemburg nach Frankreich als eine ganz außerordentliche schilderte. Danach sollte ein einziger Froschfänger von Vauce in drei Wochen zweihunderttausend dieser Reptilien exportirt haben, welche hauptsächlich nach Reims, Nancy und Paris gegangen wären. Die Frösche, hieß es weiter, würden übrigens ganz versendet und zwar einfach darum, weil ihr Oberkörper und Haut in den feinsten Restaurationsküchen Frankreichs zur Herstellung von – Schildkrötensuppe zu dienen hätten. Auf Erkundigungen hin, die wir bei befreundeter Seite anstellten, erfahren wir nun, daß jene so großes Aufsehen erregende Notiz mindestens auf ungeheurer Uebertreibung beruhe.

„Der Froschfang,“ schreibt ein Freund der Gartenlaube aus Luxemburg, „wird bei uns keineswegs so großartig betrieben als jene Zeitungsnotiz Sie annehmen ließ. Was an Fröschen in’s Ausland geht, ist kaum nennenswerth, kann auch nur in Einzelfällen vorkommen und verdient am allerwenigsten den Namen Froschausfuhr im eigentlichen Sinne des Wortes. Ein heimathlicher Naturforscher sprach sich ungefähr in demselben Sinne gegen mich aus. Er fügte hinzu, daß die ganze Art in drei Jahren hierlands vertilgt wäre, wenn jährlich zehntausend Stück getödtet würden.

Im Großherzogthum Luxemburg kommen Frösche nur an wenigen Orten vor, und zwar in Sümpfen, wo man sie weder pflegt, noch sich die Mühe giebt, sie auszurotten. Einzelne Besitzer großer Weiher, worin Fische gar nicht oder schlecht gedeihen, dulden auch wohl Frösche darin, doch werden dieselben von Jedem nach Belieben weggefangen. Dies geschieht vorzüglich in der vierzigtägigen Fastenzeit vor Ostern, während welcher den gläubigen Katholiken der Fleischgenuß untersagt ist; diese verzehren dann Frösche in Abwechslung mit Fischen. Dagegen verzichtet man fast gänzlich auf jene Amphibien im Sommer und gegen den Herbst, obschon ihr Fleisch um diese Zeit am schmackhaftesten ist. Dies gilt besonders von den wenig zahlreichen Grasfröschen, welche sich im Sommer auf feuchten Wiesen und fetten Aeckern aufhalten, aber nur selten feil geboten werden.

Der Fang wird mit den Händen oder durch Fischgarne bewirkt. Ist er gelungen, so werden die Gefangenen auf ein Brett gelegt, und man schneidet ihnen mit dem Messer den Oberleib ab; denn nur die Hinterbeine werden gesammelt und benutzt, nachdem man auch noch die Zehen entfernt hat. In diesem Zustande werden sie dann gereinigt und zu Markte gebracht. Man bezahlt hier zwölf bis fünfzehn Neugroschen für hundert Stück während der Fastenzeit; im Sommer bis zu zwanzig Groschen. Die Zubereitung geschieht auf zwei Arten. Entweder werden sie in heißem Wasser gar gekocht und mit einer Sauce von Mehl und Sahne servirt, oder sie werden trocken geröstet. Ihr Fleisch ist äußerst zart und weich, und sogar schmackhafter als Stockfisch und Laberdan; aber die vielen kleinen Knochen ermüden den Esser, und man braucht geraume Zeit, um satt zu werden.

Ob es eine besondere Art der Verpackung giebt, um den genießbaren Theil des Frosches weiter zu transportiren und längere Zeit aufzubewahren, ist mir nicht bekannt. Soviel ich in Erfahrung bringen konnte, übt man den Froschfang nur im Verhältniß zum inländischen Verbrauch.

Ein lohnenderes Geschäft als mit Fröschen betreibt jedoch mancher Jagdliebhaber mit Krammetsvögeln, deren besonders im Herbst und Frühjahr viele in den Ardenner Wäldern gefangen, verkauft und in’s Ausland verschickt werden.“




Für Badereisende nach Wildungen. Einer meiner Jugendfreunde kehrte nach langjähriger Abwesenheit im vorigen Sommer nach Deutschland zurück, um Heilung oder Linderung eines höchst schmerzhaften Leidens in ebengenanntem Bade zu suchen, dessen Mineralquellen Eigenthum der fürstlich waldeckischen Domäne und von dieser an eine Actiengesellschaft verpachtet sind. Der Kranke litt schwer, war fast aufgegeben, als er hinkam, und starb auch daselbst. Sein und der Seinigen einziger Trost war ein Arzt, der sich des Kranken mit aufopferndster Menschenfreundlichkeit annahm; aber die Erleichterung, welche er dem Leidenden gewährte, war oft, namentlich des Nachts, unerreichbar, weil der Verwaltungsrath der Actiengesellschaft verboten hatte, an auswärtige Aerzte, sobald sie dort Kranke behandeln wollten, Wohnungen in den zum Bade gehörigen Gebäude, in denen der Leidende seinen Aufenthalt genommen hatte, zu vermiethen. Jener Arzt war, obwohl er selbst als Curgast in dem Badehause sich befand, aus dem Badehause, in welches er sich zuerst eingemiethet hatte, ausgewiesen worden, wobei ihm jene Bestimmung des Verwaltungsrathes als Grund der Wohnungskündigung angegeben wurde.

So wurde in einem öffentlichen weltberühmten Bade, trotz der Freigebung der ärztlichen Praxis, einem Kranken der Trost und die Linderung seiner letzten Tage verkümmert, weil er die Hülfe verlangte, der er vertraute, statt sich von dem Verwaltungsrathe den Arzt octroyiren zu lassen, den dieser unter den einheimischen ausgewählt und dem er Wohnung im Badehause gegeben hatte! So stempelt der Verwaltungsrath einer Actiengesellschaft die gesetzlich erlaubte Ausübung der Wissenschaft bei Auswärtigen zu einer Uebelthat, die ihn berechtigen soll, Wohnung im Badehause zu versagen, die er jedem Andern bereitwilligst gewährt!

Es ist sicher unerhört, daß in einem öffentlichen Bade den Curgästen die unermeßlichen Vortheile entzogen werden sollen, welche ihnen die Freigebung der ärztlichen Praxis gewährt; daß man ihnen die Chance der Heilung vermindert, indem man auswärtige Aerzte systematisch zurückzuhalten sucht! Es ist grausam, Anordnungen zu treffen, welche den ausgesprochenen Zweck haben, Leidenden die ärztliche Hülfe, der sie vertrauen, zu erschweren oder unerreichbar zu machen; ihnen indirect einen Arzt aufzuzwingen, den sie unter solchen Umständen nur mit Mißtrauen ansehen können!

Möge der Verwaltungsrath bald die hier nöthigen Aenderungen treffen! Möge er für die Zukunft lediglich das große Princip der Menschlichkeit und die Freiheit der Wissenschaft im Auge haben!




Eine Volkswaffe gegen Rom. Als eine solche bezeichnen wir die bei Otto Wigand soeben erschienene Flugschrift: „Papstthum und Concil. Antwort auf die einundzwanzig Canones als Mahnruf an das deutsche Volk zur Abschüttelung des Jochs römischer Herrsch- und Habsucht“, welche die unleugbaren Krebsschäden der katholischen Kirche rücksichtslos aufdeckt, ohne jedoch eine vernünftige religiöse Ueberzeugung anzugreifen oder zu verletzen. In der Einleitung giebt sich Verfasser als Katholik zu erkennen: daß er von einem ebenso gebildeten als wohlwollenden Geiste beseelt ist, zeigt jede Seite des trefflichen Schriftchens, namentlich aber sein Ausspruch: „Wer für Verbreitung der Humanität arbeitet, der darf sich am wenigsten der Inhumanität schuldig machen, dem Lahmen seine Krücke zu entreißen, ohne ihm eine bessere Stütze geben zu können.“ Sein bester Zeuge gegen die Ansprüche von Papst und Concil ist die Geschichte. Wenn er erzählt, wie viele Päpste sich in Glaubenssachen gegenseitig und nacheinander verdammt, wie viele Päpste in ihrem Leben wahrhafte Scheusale von Unsittlichkeit, ja Verbrecher der furchtbarsten Art gewesen, so hört doch wohl „die Unfehlbarkeit“ solcher Menschen auf, der Gegenstand einer ernsten Unterhaltung zu sein. Wir lesen die kleine handliche Flugschrift vom Anfange bis zum Ende mit steigendem Interesse und werden Schritt vor Schritt geführt durch eine Reihe von Fragen dieser aufgeregten Zeit, deren wichtigste sind: Ziele der gegenwärtigen Kirchenversammlung, Päpstliche Unfehlbarkeit, Wichtigkeit der wissenschaftlichen Forschung, Sittliche Zustände zur Zeit der größten Gläubigkeit, Geistliche Art der Gütererwerbung, Schamlosigkeit in der Erfindung von Reliquien, Käuflichkeit gottesdienstlicher Handlungen, Päpstliche Erfindung und Einträglichkeit der Jubeljahre, Päpstlicher Pallium-, Annaten- und Aemterhandel, Erträglichkeit der päpstlichen Bannflüche.

Diese Volkswaffe ist auch billig und darum geeignet, in recht viele Hände zu kommen, was im Interesse der Erhaltung der geistigen Gesundheit der Nation nur zu wünschen ist.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 320. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_320.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)