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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


Ein deutsches Zeitungs-Etablissement.
Von Michael Klapp.

Die Presse hat in den letzten Jahrzehnten eine früher wohl nie geahnte Bedeutung erlangt, ihre Wirkung ist eine geradezu unberechenbare geworden und es dürfte darum unseren Lesern interessant genug sein, uns in die großartigen, neugebauten Räume zu begleiten, in denen eines der größten Journale Europa’s hergestellt wird.

Wir befinden uns an einem jener fünf Ringe Wiens, die zusammen eine der großartigsten und schönsten Straßen der Welt, die „Ringstraße“ bilden – auf dem „Kolowratring“. Rechts und links in weitem Umkreise zieht sich das Quartier der Paläste hin. Plutos spricht hier aus jedem Steine, und was die Steine erzählen, das sagen die Menschen nach. Eine stattliche Anzahl moderner Millionäre haben sich vom Burgring bis zum Parkring hinaus angebaut, und zwischen ihnen und neben ihnen erheben sich die Herrenhäuser der Prinzen der kaiserlichen Familie, die Paläste der Sprößlinge unserer Hochtories in vollständig confessionsloser Mischung. Der alten Grafen von Hoyos Wappen prangt neben dem der Ritter „von Welten“, die der gothaische Kalender nicht nur noch nie verzeichnet, sondern auch noch nicht einmal geträumt hat; dicht angrenzend an das Palais des „Siegers von Custozza“, des Erzherzogs Albrecht, steht das Palais des Siegers an der Börse, des Freiherrn von Schey-Coromka, neben dem Herzog von Würtemberg hat sich der Ritter von Todesko prächtig angesiedelt, und gegenüber dem Palast des jüngsten Bruders des Kaisers erheben sich die Palais der Ritter von Pont-Euxin – der Leser bemerkt, wie abenteuerlich unser neuer Adel klingt! – und Wertheim – und so fort, man möchte fast sagen, bis in’s Unendliche. Und das Auge, das nicht nach Namen und Stammbäumen fragt, hat sein Vergnügen an all’ den schönen Ring-Palästen, die den Stolz der weltstädtischen Kaiserstadt ausmachen, und selbst die Contrast-Arabesken, die längs der langen Zeilen hinziehen und alte und neueste Geschlechter architektonisch verwirren, sind lange kein Gräuel für das geistige Auge. Die Contraste liegen auf der Ringstraße frei umher. Wenn wir vom Kolowratring, da wo der neue Schwarzenberg-Platz in stiller Schönheit seine jungen Tage verbringt, rechts die Häuserzeile, die sich zum Cursalon hinabzieht, entlang gehen, so stehen wir an der Mündung der „Fichtegasse“ vor einem glänzenden Herrenhause, durch dessen Fenster unser Blick auf weite, prunkende, in Farben und Stoffen Glanz liebende Räume fällt, denen man gleichsam im ersten Augenblicke ansieht, daß sie der Kunst süßen Nichtsthuns geweiht sind – es ist das neue „adelige Casino“.

Der Arbeitspalast der Neuen freien Presse in Wien.


Und gerade dieser geadelten Stätte großherrlichen Vergnügens gegenüber erhebt sich das Haus der Arbeit, in das ich die Leser heute zum Besuche führe, erhebt sich der stolze Bau der „Neuen freien Presse“, der Arbeitspalast des bedeutendsten Journals des Kaiserstaates und eines der größten und ersten Journale Europa’s. Ist das nicht auch einer der interessanten Wiener Ring-Contraste? Wenn nächtlich im Casino drüben die Champagnergläser klirren und die Karten von Hand zu Hand gehen, arbeitet gegenüber Klein und Groß am „Spinnrocken der Zeit“ (welcher Spinnrocken eigentlich eine riesige Dampfmaschine ist), entziffert der Beamte des im Parterre angelegten Telegraphenbureaus die chiffrirten Nachrichten, die ihm der Draht eigens für die „Neue freie Presse“ von allen Seiten des Erdballs bringt, schreiben oben an ihren Pulten die Redacteure über den Ernst der Zeit und die nothwendigen Anstrengungen zur Consolidirung des Reiches, schreiben gerade vielleicht auch über die Ueberflüssigkeit eines Oberhauses! Hüben und drüben in der Fichtegasse arbeitet die Maschine, aber welche Verschiedenartigkeit in ihren Triebrädern!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_316.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)