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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

wohl geweint, daß es Allen durch Mark und Bein gegangen ist, aber zusammengebrochen ist es nicht. Für diesen Tag war es Feierabend auf dem Hang. Die Leute zogen heim. Die Männer trugen den Bauer auf zwei Stangen; Genovefa führte die Bäuerin am Arm und Gertraud trug die Röcke und die Sicheln nach.




Jetzt war es wohl recht still und traurig auf dem Grübnerhof. Den Sohn des Hauses hatten sie begraben, ohne Geleite und Glockenklang, denn dem halb vermoderten Körper klingt nichts mehr nach in die Grube. Die Leute sprachen unter sich noch hin und her, wie es sich doch mit dem armen Jungen zugetragen haben mochte. Er ist vielleicht durch jenen Lärm im Stalle erwacht, hat das Unglück geahnt, hat dann aus Furcht vor seinem Vater die Flucht ergriffen, ist herumgeirrt im Walde und auf den Hang und dort am Felsen erfroren. Das war die Muthmaßung. Der Bauer lag in seinem Stüblein und hielt die bleichen Hände ineinander. Er bewegte die Lippen, aber er fluchte nicht mehr.

Der Arzt sagte: „Es hat ihn der Schlag getroffen auf dem Felde und es ist gut, daß er in die Sichel gefallen ist und viel geblutet hat, denn sonst wär’ er sogleich todt gewesen.“

Da faßte der Kranke einmal die Hand des Arztes und lispelte ihm, wie geheimnißvoll, die Frage zu: „Bader, werd’ ich noch einmal gesund?“

Was der Arzt darauf geantwortet hat, muß nicht gut gelautet haben; denn der Bauer hat sein Weib und die Vefa zu sich rufen lassen und hat das Testament gemacht. –

In wenigen Tagen darauf lag der Grübner im Vorhause unter der Bodenstiege, wo vor einem Jahre Gregor gelegen war. Und der Großknecht hobelte in der Zeughütte ein Stück Holz und zimmerte ein Kreuzlein daraus. Und als er fertig war, malte er mit rother Zimmerfarbe auf den Querbalken die Worte: „Hier liegt Gallus Grübner“, und auf die Rückseite des Balkens: „Gott, gieb ihm die ewige Ruh’!“

Am übernächsten Morgen wurde die Leiche im großen Conduct unter dem Geläute dreier Glocken bestattet. Und als der Mann begraben war, gingen die Leute wieder hinüber in’s Gebrände und sichelten noch Tage lang, bis alles Korn ab war. Dann ging es in den Herbst und Winter hinein, und Genovefa arbeitete im Stall und im Haus und wo es was zu thun gab. Aber als die Weihnachten kamen und die Dienstleute von der Bäuerin ausbezahlt wurden, bekam Genovefa wieder nichts. Nun, seit dem Tode des Bauers ist sie eben keine Dienstmagd mehr, sie hat ihr Ableben auf dem Grübnerhof und wird gut gepflegt und braucht nichts zu arbeiten – so steht’s im Testament.

Aber Genovefa arbeitet doch – sie würde sonst krank, meint sie. Nur in der Erntezeit geht sie jedes Jahr an einem bestimmten Tag hinüber auf den Hang, wo immer schönes Getreide steht, und sucht am Waldrande das grüne Sterbebett ihres Gregor auf.



Unter den Schleichhändlern an der russischen Grenze.
(Schluß.)

Mein Gewährsmann war diesmal der alte litthauische Schmuggler Jurgis, der, wie unsere Leser schon erfahren haben, den Beinamen des „Sibiriers“ besaß. Der Wirth jener Schmugglerschenke hatte nämlich versprochen, mir denselben als Berichterstatter zuzuschicken, und so trat denn eines Tages der alte Bursche, eine stämmige, breitschulterige Gestalt, der man trotz des ergrauenden Haares große Kraft und Ausdauer ansah, bei mir ein, indem er mich schelmisch fragte, ob ich der Herr sei, der über ihn ein Buch schreiben wolle. Ich hätte vielleicht annehmen können, er wolle eine Anspielung auf jenen früher in unserer Provinz viel gelesenen Criminalroman „Raudonis Krotinnos“ machen, in welchem Temme’s treffliche Feder die Thaten und Abenteuer eines berüchtigten Schmugglerhauptmanns schildert, wenn ich nicht gewußt, daß er mit der Literatur überhaupt und speciell mit der seines Faches gänzlich unbekannt gewesen wäre. Ich legte ihm als Antwort die Gartenlaube von 1867 vor und zeigte ihm das Bild (Seite 181), auf welchem Meister Sundblad’s geschickter Stift einen Schmugglerzug in den bairischen Alpen dargestellt hat, mit der Frage, wen er wohl in jenen Gestalten vermuthe. Er erkannte sie sofort als Collegen seines gefährlichen Metiers und meinte jenen Leuten müsse „ihr Bischen Verdienst“ doch noch saurer werden, als den Schwärzern an der russischen Grenze. – Bei unserer nun folgenden Unterhaltung zeigte er sich in sämmtliche auf den Schleichhandel bezügliche Verhältnisse und Fragen vollständigst eingeweiht, und er wäre in der That ganz der Mann gewesen, nicht nur sehr interessante „Memoiren eines Schmugglers“, sondern auch ein „Lehrbuch für Schleichhändler und Solche, die es werden wollen“ zu schreiben, womit er vielleicht einem „lange gefühlten Bedürfniß“ abgeholfen hätte. Ich muß es mir indeß versagen, all’ seine interessanten Mittheilungen hier zu reproduciren, und beschränke mich auf eine kurze Schilderung jenes unglücklichen Unternehmens, das ihm seinen schwer bezahlten Beinamen eintrug.

„Vor etwa zwanzig Jahren,“ so erzählte der alte Schmuggler, „kam eines Tages mein alter Bekannter Abraham Rosenstiel, ein großer Macher im Schmuggel, zu mir, um mit mir ein besonders bedeutendes Unternehmen zu verabreden. Wir kannten uns seit langen Jahren, und ich hatte durch ihn manch’ schönes Stück Geld verdient. Er erhielt öfters große Aufträge selbst aus Moskau und Petersburg, denn er stand nicht allein in dem Rufe eines höchst geschickten und glücklichen, sondern auch ehrlichen und zuverlässigen Unternehmers. Es galt diesmal einen großen Transport kostbarer Seidenstoffe, Spitzen, Tücher und ähnlicher theurer Waaren über die Grenze zu schaffen, die später von den geheimen Lagerplätzen weiter landein nach den großen russischen Städten gebracht werden sollten. Ich wählte also meine Leute, etwa zwanzig erprobte, zuverlässige Bursche aus, und wir empfingen die Waaren, für die ich dem Macher eine bedeutende Caution gezahlt hatte, von den Szamaiten, unsern Grenznachbaren, welche dieselben von Memel nach meinem Gehöft brachten. Wir beschlossen diesmal die ziemlich leichten Päcke und Ballen mit der Contrebande über die Grenze zu tragen; die Szamaiten sollten mit Ausnahme von etwa acht Mann mit ihren Schlitten bis zu einem jenseit des zweiten Zollcordons liegenden Orte vorausfahren und uns dort erwarten, um das Schmuggelgut bis zu seinem nächsten Bestimmungsort zu schaffen. Um noch sicherer zu gehen, hatten wir den Nasaratl (Officier) des nächsten Grenzpostens bestochen und so glaubten wir uns denn so sicher, daß wir nicht einmal das Dunkel der Nacht abwarteten, sondern schon Abends die Grenze überschritten.

Ich befand mich unter den Kundschaftern, und da ich in meiner Nähe eine jener Strohhütten bemerkte, die sich die Wachtposten zum Schutz gegen Wind und Wetter herrichten, beschloß ich, mich davon zu überzeugen, ob sie auch leer sei, was der Fall hätte sein müssen, wenn der bestochene Officier die Posten von dieser für unsern Uebergang in Aussicht genommenen Strecke der Grenze wirklich eingezogen oder anderswohin geschickt hätte. Ich schlich also vorsichtig an die Hütte heran, vernahm aber zu meinem Erstaunen und Schreck lautes Gespräch in derselben. Jetzt wurde mir die Sache klar: der Nasaratl hatte nämlich außer einem feinen Seidenkleide für seine Geliebte und den blanken Rubeln, die wir ihm für seine Gefälligkeit zahlten, ein Fäßchen Rum gewünscht, das ihm die Langeweile seines einsamen Postens vertreiben sollte; jedenfalls hatte er sich sofort über dasselbe hergemacht und seine Befehle verkehrt oder gar nicht ertheilt. Was war da zu thun? Umkehren mochte ich nicht, da die Einhaltung des Lieferungstermins für den Macher diesmal von großer Wichtigkeit war; den Posten zu umgehen war auch bedenklich, da wir später vielleicht von ihm bemerkt worden wären. Schnell war mein Entschluß gefaßt. Ich winkte einen unserer Leute, den ich als höchst entschlossenen Burschen kannte, herbei, durch Winke verständigten wir uns und sprangen dann plötzlich wie die Tiger vor, ergriffen die Gewehre der beiden Straszniks (Grenzsoldaten), welche am Eingange der Hütte lehnten, und drohten den vor Schreck sprachlos Daliegenden, sofort zu schießen, wenn sie etwa Miene machen sollten, zu entfliehen oder nach Hülfe zu rufen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_311.jpg&oldid=- (Version vom 11.1.2019)