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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Der Mann sagte nicht ein Wort, er frug auch nicht nach dem Großknecht. Der Großknecht hatte seine Kleider genommen und war fort; es war ihm ganz leicht um die Brust über das, was er dem verhaßten Bauer gethan hatte.

Genovefa aber blieb wie vor im Hause und arbeitete und arbeitete. Auch Gertraud blieb ihrer Gefährtin zu Liebe und von einer fremden Pfarre waren zwei neue Knechte gekommen. So ging es seinen gewöhnlichen Lauf wieder fort. Der Bauer trug lange die Binde um die Stirne und sprach wenig; nur mit seinem Weibe fluchte er und seinen Sohn schlug er, wenn ihn irgend etwas wurmte.

Da geschah im Laufe des Winters einmal ein großes Unglück. Klopfte es um Mitternacht plötzlich an der Schlafkammer des Bauers und Genovefa rief: „Steht doch geschwind’ auf, draußen im Stall giebt’s was, die Vieher röhren fürchterlich.“

Und als sie mit Lichtern in den Stall kamen, lagen zwei Kalben und eine Kuh mit ausgelassenen Eingeweiden da und verendeten. Die wilde Mastkuh war von der Kette los geworden und hatte ihre scharfen Hörner den wehrlosen Nachbarn in die Leiber gerannt. Als der Grübner dies sah, war er über alles Erwarten ruhig, nur befahl er, daß man sogleich den Gustl, der die Aufsicht über den Stall hatte, herbeibringe. Gustl hatte in der Futterkammer sein Bett, aber das war heute leer, der Stallbub’ war nicht daheim. Unter der Decke war’s noch warm, er konnte nicht weit sein. Man schrie und rief ihn beim Namen, aber er gab keine Antwort und kam nicht. Man suchte ihn in der Scheune, auf dem Dachboden im Heu, in der Wagenhütte – er war nirgends.

Jetzt erst wurde der Bauer rasend und blieb es tagelang, denn der Junge kam nicht und Niemand hatte ihn seit der Zeit gesehen. Sofort kam wieder Genoveva in den Stall, aber sie hatte nicht mehr die Freude bei den Thieren wie einst.

„Den Buben schlag’ ich todt, wenn er kommt!“ schrie der Grübner oft und oft, aber es verging der Winter, es kam der Frühling und im Grübnerhofe wurde kein Todtschlag begangen. Der Sohn des Hauses blieb verschollen. Die Bäuerin hatte seit der Zeit viel geweint; der Bauer hatte nur manchmal, wenn er so in seiner Mühle auf dem breiten Steine saß, den Kopf geschüttelt und darauf recht fest in das Pfeifenrohr gebissen. – Anfangs war zu glauben der Gustl sei aus Furcht vor der Strafe nur zum Nachbar geeilt, habe sich dann in eine angrenzende Pfarre geflüchtet und er werde sich schon wieder einstellen im Elternhause. Aber es verging der Frühling und es kam der Sommer und der Junge kam nicht zurück.

„Du, Alte,“ sagte der Grübner einmal zu seinem Weibe, „der Bub’ macht mich noch närrisch!“

Das Weib fühlte selbst dergleichen, aber es war überrascht über dieses Wort ihres Mannes; mit einem solchen Ton hatte er schon seit Jahren keines mehr gesprochen. Sie fiel an seine Brust und weinte, aber der Bauer schob sie unsanft weg. „Die Welt ist eine Teufelei, die eigenen Kinder thun Einem die größte Pein an.“

Als der Hochsommer und die Mähzeit vorüber war, wurde es von den Kanzeln aller Pfarrkirchen in der Gegend verkündet, daß August Grübner, er möge sein wo immer, in’s Vaterhaus zurückkehren wolle, es wäre Alles gut und es geschähe ihm nichts zu Leide.

Aber da kam einmal der Dorfbote in den Hof und sagte zum Grübner: „All’ Euer Ausschreien ist für nichts, Euer Junge ist fort nach Amerika.“

„Muß ich Dich niederschlagen, Lügner!“ fuhr der Bauer den Boten an, aber später setzte er sich auf den Brunnentrog, stützte sein Kinn auf die Hand und brummte: „Mag sein, mag wohl sein!“

Es war ein schöner, warmer Sommer gewesen und die Erntezeit kam früher, als es sonst in jenen Gegenden zu geschehen pflegt. Das Korn am Hange des Waldgebrändes war bereits reif und die Leute, die des Holzweges kamen, wunderten sich über die langen vollen Aehren, die sie da sahen. In der ganzen Gemeinde gab es kein so herrliches Getreidefeld, als auf dem Waldgrunde des Grübners. Ganz, wie wenn es der letzte Sommer hätte gut machen wollen, was sein Vorgänger an diesem Boden verbrochen hatte. So ein Waldbrand richtet aber auch ein gutes Kornfeld; alle Gras- und Unkrautwurzeln werden vertilgt und die Erde mit Kohlen reichlich gedüngt.

Das gab vielleicht hundert Metzen, bis Alles in den Säcken – so viel erntete sonst kein Bauer in der Gegend. Das richtete den Grübner auch wieder auf, er wurde wieder herrischer und fluchte wieder mehr mit seinem Gesinde, schlug auch das Pferd kräftiger mit dem Peitschenstiele, kurz, es war wieder neues Leben in ihm.

So begann das Kornschneiden. Da wurde das Haus zugesperrt und Alle mußten auf das Gebrände. Der Bauer hatte die Leute selbst angestellt nach der Reihe über den Hang hinauf, stets Mann und Weib zusammen, wie es im Oberlande Brauch und Sitte ist. Da dreht die Magd, die voran schneidet, das Band aus Stroh, schneidet eine „Welle“ heraus und legt sie auf das Band. Hierauf kommt der Knecht, schneidet die zweite „Welle“, legt sie zur ersten auf das Band, bindet die beiden Büschel zusammen und die Garbe ist fertig.

So auch auf dem Hang. Voran schnitt Gertraud, die Weidmagd, dann kam ein Knecht. Diesem folgte die Genovefa mit dem zweiten Knecht, dann die Bäuerin und zuletzt der Bauer. Der Bauer fluchte, daß es so langsam gehe, er habe ja nichts zu thun und könne zehnmal schneller schneiden – was man denn vorne treibe? Aber vorne trieben sie gar nichts Sonderliches, nur daß sie sich zeitweilig das Angesicht abtrockneten. Genovefa hatte doppelt zu trocknen, den Schweiß und ein wenig Naß von den Augen. Sie dachte an Gregor und an die ganze Geschichte, die sich an das steile Kornfeld knüpft. Kein Mensch als sie dachte daran, daß heute der Jahrestag – Gregor’s Sterbetag sei! Als sich am späten Nachmittag die Leute um einen Stein zusammen setzten und Brod und kalte Milch verzehrten, schlich die alte Magd davon, pflückte am Raine einen Strauß von Kornblumen und wilden Mohnblüthen und eilte damit zwischen den Halmen gegen den Wald und zum Platz, wo vor einem Jahre Gregor gelegen und gestorben. Dort war noch das Moos, in welches der Arme seine wunden Glieder zu vergraben gesucht, aber es war nicht mehr versengt, es grünte wieder.

Genovefa kniete nieder, legte den Strauß auf den Rasen hin und betete. Thränen flossen ihr aus den Augen, aber das war zarter, kühlender Thau auf diese Stelle – nach den heißen Kämpfen, den glühenden Schmerzen, nach dem Herzbrechen und Vergehen! Und als sie so betete für den einzigen Menschen, den sie geliebt wie einen Bruder, da traf Genovefa ein Schlag in’s Gesicht, daß sie rückwärts taumelte.

„Ein schön Gesindel das, heut’ zu Tag; ist das ganze Kornfeld reif, daß schon die Körner ausfallen, geht so eine Creatur in den Schatten und faulenzt! Vefa, Dir muß man’s in den Kopf schlagen, was man will, sonst merkst es nicht. Aber ich werd’ Dir noch g’nugsam sein, das magst glauben!“

Der Bauer war’s und jetzt trieb er die Magd förmlich vor sich her und selbst, als Genovefa längst schon wieder schnitt, fluchte er noch fort. Der Großknecht kümmerte sich nicht um den Geifernden und redete während der Arbeit mit seiner Vorschnitterin von Diesem und Jenem, vom Waldbrand auch, und es komme ihm vor, als rieche es noch davon, es habe einen so sonderbaren Geruch auf diesem Gebrände.

Ueber solche Reden ärgerte sich der Bauer noch mehr; er wollte, daß unter seinen Leuten den ganzen Tag kein Wort gesprochen werde, damit nur die Arbeit noch besser vor sich ginge. Er würde von rückwärts jetzt noch mehr gedrängt haben; aber er war an eine Stelle gekommen, wo die Halme besonders dicht standen, so, daß einer den andern fast erstickt hatte. Das war dort am Felsen, wo der Bauer beim Säen im Verfolgen eines Vögleins das Korn ausgeschüttet hatte. Wie der Grübner hier so schnitt und hächelte, schrillte die Sichel plötzlich an ein Hartes und in demselben Augenblick stieß der Bauer einen wilden Schrei aus und taumelte zurück.

Was war’s denn? Ja, was war’s, eine halb verweste Menschenhand langte ihm aus den Halmen entgegen. Und als die Leute herbeikamen und das Getreide auseinander schlugen, da fanden sie am Gestein einen Leichnam kauern.

„Jesus, das ist der Gustl!“ rief die Bäuerin aus, und der Bauer sah die Leiche und das Gesicht mit den ausgehöhlten Augen, mit dem zerfressenen Unterkiefer – es war sein Sohn.

Der Mann rang nach Athem und brach zusammen. Als er stürzte, fiel er mit dem Arm in die scharfe Sichel – aber er gab keinen Laut von sich. Stärker war das Mutterherz; es hat

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