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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

„Zufälle“ im Verhältniß zu der Zahl der genossenen Liqueure zu vermehren. Gegenwärtig werden Wein, Bier und sonstige Getränke dort den Passagieren nur flaschenweise verkauft.

Die Pullman’s-Waggons werden im Winter durch Röhren geheizt, welche unter den Sitzen hinlaufen und die Temperatur ununterbrochen gleichmäßig warm halten. Die Röhren sind mit Salzwasser gefüllt und stehen mit einem mit Kohlen geheizten Ofen am Ende des Waggons in Verbindung, der das Salzwasser gleichmäßig erhitzt, – eine außerordentlich praktische Vorrichtung. Diese Waggons sind im Winter bei eisiger Kälte im Hochgebirge so angenehm warm wie ein fürstliches Boudoir. Beim Betrachten derselben muß man über den praktischen Sinn der Amerikaner erstaunen. Jede Stelle, jeder Winkel ist benutzt worden. Die Wandspiegel zum Beispiel kann man in die Höhe schieben; dahinter befinden sich in den Schlafwaggons Nachtlampen, im Speisesalon Weingläser. In den mit solidem Wallnußholz überaus prächtig getäfelten Wagen kann man ordentlich auf Entdeckungsreisen ausgehen. Zwischen jedem mit Sammet gepolsterten Doppelsitze bringt ein stets diensteifriger Aufwärter auf Verlangen niedliche Klapptische an, woran man schreiben, lesen, spielen, essen kann. An jedem Ende des Waggons befinden sich schmucke Toilettezimmer. Ein Vergnügen ist es, des Abends die Kammerdiener beim Aufmachen der Betten zu beobachten die hinter dem getäfelten Gesims und hinter den Sitzen verborgen sind und die gleichsam aus nichts hervorquellen und den prächtigen Salonwaggon schnell in kosige Schlafgemächer umwandeln. Die Hälfte jedes derselben ist in allerliebste Cabinete zum Gebrauch für Familien abgetheilt. Alle diese Waggons haben feine Fußteppiche. Daß auch in jedem Wagen für Closets gesorgt worden ist, versteht sich bei amerikanischen Eisenbahnen von selbst.

Unsere Fahrt ging zunächst auf der Western-Pacific-Eisenbahn, dem westlichsten Gliede der großen Ueberlandbahn, nach der Stadt Sacramento, der Hauptstadt Californiens, die wir um zwei Uhr Mittags nach einer Fahrt von hundertachtunddreißig englischen Meilen erreichten. Hier beginnt das siebenhundertzweiundvierzig englische Meilen lange Gebiet der Central-Pacific-Eisenbahn. Wir bemerken dieses aber nur aus unseren Meilentabellen; die Schienenstränge sind nicht unterbrochen und unseren Hôtelzug kümmert der Wechsel des Regimentes nicht im Mindesten. Schon liegt die blühende Hauptstadt des Goldlands hinter uns, wir donnern vorbei bei den stadtähnlichen Maschinenwerkstätten und Gebäulichkeiten der Central-Pacific und wenden uns wieder ostwärts, dem Hochgebirge der Sierra entgegen.

Die schwarzen Diener im Salonwaggon „Winona“ melden unterthänigst, daß das Diner im Palast-Speisewaggon „Cosmopolitan“ servirt wird. Im Fahren gehen wir durch die nächsten Salonwaggons, welche durch mit Kautschukteppichen bedeckte Brücken miteinander verbunden sind, so daß die Passage von dem einen der dahinfliegenden Waggons in den anderen über den offenen Bremserplatz ohne besondere Gefahr bewerkstelligt werden kann, und erreichen bald den Speisewaggon. Die vordere Hälfte desselben ist im Restaurationsstil, mit Tischen zu beiden Seiten, an denen je vier Personen Platz nehmen können, eingerichtet; die andere Hälfte ist Küche und Vorrathskammer, woselbst unser geehrter Landsmann Wilhelm Eberle als General-Oberkoch und Küchenmeister das unumschränkte Commando führt. Ein riesiger Kochofen, die angehäuften Vorräthe für den „inneren Mann“, der geschäftsmäßige Eifer der Ober- und Unterköche und die Aromadüfte, welche den Raum erfüllen, geben die Versicherung, daß wir auf unserer Zweitausend-Meilen-Reise nicht darben werden.

In Gesellschaft von mehreren Deutschen – denn Landsleute finden sich schnell auf einer solchen Reise zusammen – nehme ich Platz an einem der sauber gedeckten Tische, die auch mit frischen Blumen geschmückt sind. Hier giebt es köstliche Auswahl von Gerichten, wie sie ein Reisender, der mit gutem Appetite gesegnet ist, sich nur wünschen mag; alle Sorten von Fleisch und Geflügel, Austern und Pasteten etc., californisches Gemüse, z. B. Blumenkohl, Spargel, junge Kartoffeln, Radieschen, Erbsen etc., ich bitte zu erinnern, am 16. März! Die Speisen sind nach guter deutscher Küche zubereitet, der californische Wein ist vortrefflich, der Kaffee, die frischen californischen Wallnüsse und Orangen, das feine Backwerk schmecken ausgezeichnet. Die Aufwärter sind auch Deutsche, so daß wir uns ganz heimisch fühlen. Nur die eleganten Speisekarten sehen ausländisch aus. Der amerikanische Pullman’s-Oberconducteur hat dieselben mit englisch-französischen Hieroglyphen ausgefüllt, die zu entziffern selbst einem deutschen Doctor Mühe kosten möchte. Die eine Hälfte jeder Speisekarte ist mit Annoncen bedruckt, da der praktische Amerikaner gern das Nützliche mit dem Angenehmen verbindet.

Während des interessanten Mahles schaue ich ab und zu aus dem Fenster des dahinfliegenden Speisegemachs hinaus in die vorbeikreisende Gegend. Wir durchkreuzen soeben einen alten Minendistrict, und ich bemerke hier und da Goldwäscher, die den vorbeirasenden Dampfzug, auf ihre Schaufeln und Hacken gestützt, betrachten; auch einige Hundert Chinesen, die von der emsigen Arbeit einhalten und unsere Prachtwaggons anstaunen. Dreißig bis vierzig Passagiere leisten uns Gesellschaft bei dem Diner. Bei dem Städtchen Colfax, 2448 Fuß über dem Meere, verlassen wir den Speisewaggon und wandern zurück nach unserem Salonwaggon.

Das romantische Cap Horn, ein wundervolles Bild des Hochgebirges, liegt vor uns, – die bewaldete Sierra, der Stolz Californiens. Wir donnern über eine fünfundsiebenzig Fuß hohe lange Trestlebrücke, und mit zwei Locomotiven als Vorspann braust die lange Reihe der prächtigen Waggons in großem Bogen herum an der waldbedeckten Höhe. Ueber uns ragen die Felsen schroff empor; zur Rechten, zweitausendfünfhundert Fuß unter uns, schlängelt sich der Americanfluß durch das Waldthal. Eine schwarze Linie kreuzt seinen Silberfaden; es ist die breite Brücke einer chaussirten Landstraße. Der Bergabhang ist so steil, daß es Einen dünkt, man könne vom Waggon direct in den Fluß hinunterspringen. Das Bahnbett ist aus der Bergwand herausgeschnitten und die lange Waggonreihe fliegt gleichsam am waldigen Abhange herum – ein unvergeßliches Bild für Jeden, der es geschaut hat! Es ist dieses der schönste Punkt auf der ganzen Ueberlandreise.

Allmählich breiten sich die Schatten der Nacht über das Hochgebirge. Höher und höher die Sierra hinan arbeiten die schnaubenden Locomotiven; oft donnert der Zug über thurmhohe Trestlebrücken und durch riesige Durchstiche. Wir erreichen Alta dreitausendsechshundertfünfundzwanzig Fuß, Blue Cannon viertausendsiebenhundert Fuß, Emigrant Gay fünftausenddreihundert Fuß; eins immer prächtiger, immer wildromantischer als das andere; bei einbrechender Nacht zeigen sich die ersten Schneefelder; wir donnern hin durch riesige Tunnels und unter scheinbar endlosen Schneedächern. Vierzig Meilen weit erstrecken sich dieselben, um den Zügen Schutz gegen die Lawinen zu geben; das längste Schneedach, ein geschlossenes Gebäude, ist fünfzehn englische Meilen lang, – wie eine riesige Anaconda windet es sich um das Gebirge. Mitunter bildet ein Schneedach nur die Fortsetzung eines steilen Abhanges; der Schnee rollt darüber weg in das tiefe Thal und ungefährdet eilt der Dampfzug darunter hin.

Ich habe mein Nachtlager aufgesucht; die Lampen im Schlafwaggon flimmern matt, die Reisegefährten schlummern. Eine Nachtfahrt im Dampfzuge auf der Sierra Nevada! ich konnte die Augen nicht schließen. Den Schieber des Fensters an meiner warmen Lagerstätte öffnete ich und blickte hinaus in die winterliche, gespenstisch vorbeihuschende Gegend. Wie ein silberner Schleier lag das Licht des Vollmonds auf dem Gebirge. Gigantische Fichten huschten vorbei und streckten mir ihre schneeigen Arme entgegen; die Finsterniß der Tunnels und der Schneedächer wechselte ab mit mondbeleuchteten Schluchten, Schneefeldern, Thälern, Felsen, Schneegipfeln und riesigen Tannenwäldern. Wir waren siebentausend Fuß über dem Meere! Es rasselt dicht über mir auf dem Dache des Waggons; der Hagel eines Schneesturmes, der über das Gebirge hinsaust und dem es doch nicht gelingt, den Schlaf von meinem bequemen Lager wegzuscheuchen.

Die goldene Morgensonne schien durch das Fenster und weckte mich auf zu früher Stunde. Welch ein Wechsel des Landschaftsgemäldes! Weit hinter uns lagen die Schneezinnen der Sierra, um uns eine traurige Wüste; mit spärlichem, verkrüppeltem Salbeigestrüpp. Ich erhebe mich von meinem Lager und kleide mich an, finde die Stiefel geputzt am Bett stehen und mache Toilette im Toilettezimmer, der Schlafwaggon verwandelt sich wieder in einen Salonwaggon; im „Cosmopolitan“ wird gespeist wie gestern.

Da die Gegend an diesem Tage wenig Interessantes bot, ging es in dem Hôtelzuge um so lustiger her. Die Reisegesellschaft machte schnell Bekanntschaft untereinander und war bald

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 297. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_297.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)