Seite:Die Gartenlaube (1870) 293.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Der Nestor der deutschen Bühnendichter.

Karl Toepfer.

Der „Aufruf an mein Volk“ war erschienen. Friedrich Wilhelm der Dritte weilte in Breslau – damals für kurze Zeit das Herz Deutschlands, ja, gewissermaßen Europa’s. Nach jahrelanger Nacht der Unterdrückung und des Elends leuchtete unserem Vaterlande eben das erste Morgenroth der Freiheit wieder. Der Himmelstochter gewaltiger Odem hatte jedes Herz ergriffen; selbst in dem Busen Solcher, welche nur die Künste des Friedens pflegten, entbrannte patriotische Begeisterung für den heiligen Kampf, den es galt, und machte sich Luft auf alle Weise. Besonders die Jünger jener Kunst, welche vor vielen berufen ist, das Volk unmittelbar zu bewegen und zu rühren – der Schauspielkunst – benutzten die häufige Anwesenheit des Königs und seiner Familie im Theater, ihrem Tyrannenhasse freien Lauf zu lassen und ein Witzwort, eine satirische Anspielung in die Massen zu werfen.

So gab man eines Abends den „Herodes vor Bethlehem“, vortreffliche Mahlmann’sche Parodie von Kotzebue’s „Hussiten vor Naumburg“. Ludwig Devrient, damals im Zenith seiner Kraft und eine Zierde der Breslauer Bühne, spielte den thränenreichen Viertelsmeister Wolf, der die Stadt Bethlehem gegen Herodes zu vertheidigen hat. Im dritten Acte sollen die Truppen gegen den Feind geführt werden, und Wolf hat dieselben zur Bravour anzufeuern.

Helden meiner Wachtparade –
Zupft den Busenstreif gerade!“

beginnt Devrient voll Pathos. Da erscheint als letzter dieser Helden, die ihre Courage durch Zittern und Beben an den Tag zu legen suchen, einer mit zerrissener französischer Uniform, in Lumpen und Pelze gehüllt, vor Frost klappernd. Die Zuschauer, welche ähnliche Jammergestalten auf dem Wege von Rußland her zahlreich hatten ankommen sehen, brachen über die schlagende Satire in wildes Hurrahgeschreih aus, und lange, lange hielt der Jubel an. – Der Schauspieler, welcher es verstand, auf so einfache Weise ein ganzes Publicum patriotisch zu entzünden, war aber auch kein Geringerer, als – Karl Toepfer. Er, bei dessen Namen wir uns gegenwärtig zunächst der genußreichen Stunden erinnern, welche seine Lustspiele uns verursacht, war früher darstellender Künstler. Der Verfasser so vieler geist- und wirkungsvoller Bühnendichtungen kennt die Scene aus eigener praktischer Erfahrung. –

Geboren im December des Jahres 1792 zu Berlin, zählt Toepfer gegenwärtig achtundsiebenzig Jahre und dürfte somit wohl

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 293. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_293.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)