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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

auf dem Schiffe, der drei Orden im Knopfloch trug, hat ihnen noch nachgewinkt.“ Auch der Hund des Hauses schien es für Pflicht zu halten, die Fremden zu begrüßen; er sah Louisen augenzwinkernd an und setzte sich vor ihr nieder. Die Wirthin winkte ihm, da wegzugehen, aber Louise sagte, sie sei eine Freundin der Thiere. Sie lockte den Hund, der munter an ihr empor sprang und dann wieder zu seiner Herrin lief, als wollte er sagen: Siehst Du? Die Fremden haben mich schnell gern; sie wissen bald, daß ich ein guter Kerl bin!

Louise ging am Arme ihres Vaters nach dem Hause. Vor demselben spielten zwei Kinder auf einem Brette. Der Knabe in einer rothen Blouse mit kurzen Beinkleidern und nackten Waden, in feinen, bis an die Knöchel reichenden Strümpfen und naturellfarbenen, gelben Schuhen stand am oberen Ende des Brettes und stemmte einen Stock in den Sand, als ruderte er einen Kahn; ein kleines Mädchen, in die künstlerisch geordnete hierländische Tracht gekleidet, saß am anderen Ende des Brettes auf einem Schemel und bat den Schiffer, er möge erlauben, daß sie einmal aus dem See trinke. Der Knabe gestattete es mit huldreicher Handbewegung, das Mädchen beugte sich tief hinab auf den Sand und that, als ob es Wasser trinke.

Louise hielt ihren Vater an und sagte leise: „O! Wie herrlich!“ Sie grüßte die Kinder in französischer Sprache, sie antworteten in der gleichen, der Knabe in einer Art herablassender Höflichkeit, das Mädchen sehr zierlich.

Vater und Tochter gingen nach ihren Zimmern, sie fanden sie genehm. Louise überließ dem Vater alle Verhandlungen, er fragte, wer die Nachbarn seien, und erhielt zur Antwort, daß davon keinerlei Unruhe zu gefährden; denn es seien Maler, die den ganzen Tag draußen in den Bergen sich umhertrieben. Louise stand auf dem Balcon, sie preßte beide Hände auf die Brust. Jetzt breitete sie die Arme aus, als müßte sie fliegen. Als der Vater zu ihr kam, rief sie: „O Vater, ich meine, es strömt lauter Glückseligkeit auf mich herab. Ich habe gar nicht gewußt, daß es noch so viel Ruhe, solch eine thauige Luft zum Athmen in der Welt giebt.“

„Ja,“ ergänzte der Vater, „Du kannst hier viel Annehmlichkeiten finden, – es wohnen fünf französische Maler mit Frauen und Kindern hier im Hause.“




10. Ein jubelnd Begrüßter.

Wenn man tagelang nur vom bewegten Wagen, vom Dampfschiffe aus in die schnell vorbeifliegende Naturumgebung geschaut hat, dann ist ein ruhiger Ausblick vom festen Wohnsitze wie neue Labung. So saßen nun Vater und Tochter wohlig beisammen auf dem Balcon und schauten hinaus über den See und nach den Bergen. Kein Laut war vernehmbar als das Plätschern des Springbrunnens im Garten und dazwischen manchmal ein helles Jauchzen der Kinder, die sich am Uferweg entlang zu haschen suchten. Das Abendroth brach herein, Himmel und Erde erglühten in immer wechselnden Farbentönen und der See spiegelte sie wieder. Die Nacht kam, die Glocke im Dorfe läutete, die Kinder eilten nach dem Hause; der Knabe mit der rothen Blouse ließ es sich nicht entgehen, die Klingel im Gasthause zu läuten, die die gesammten Einwohner zur gemeinsamen Abendmahlzeit rief.

Als Vater und Tochter in den Saal traten, wendeten sich kurz die Blicke Aller nach ihnen, aber schnell setzte sich das Gespräch wieder fort, das ausschließlich in französischer Sprache geführt wurde. Vater und Tochter saßen, der allgemeinen Regel gemäß, am unteren Ende des Tisches. Der Präsident schien ein alter Soldat zu sein, er hatte einen weißen Schnurrbart und schneeweißes, kurzgehaltenes Haar. Er wendete sich rechts und links zu zwei Frauen, die neben ihm saßen; sein Blick schien zufrieden mit der Betrachtung der neu Angekommenen, denn er nickte den Nachbarinnen zu.

Die Fremden fühlten, daß sie in eine in sich abgeschlossene Gesellschaft eingetreten waren und ruhig abwarten mußten, welche Beziehung sich ihnen ergab. Louisen gegenüber saß ein junger Mann, der mit Niemand sprach. War er ein Ausgeschlossener oder hielt er sich selbst zurück? Es ließ sich nicht entscheiden. Noch ehe vollständig abgespeist war, verließ der junge Mann, ohne Jemand zu grüßen, wie unwillig den Saal. Als man aufstand, begrüßte Louise die beiden Kinder, die ihr bei der Ankunft einen so freundlichen Anblick dargeboten hatten.

In leichter Weise und guter Form näherte sich die Mutter der Kinder Louisen und fragte bald, ob Louise wohl auch Familie zu Hause zurückgelassen habe, da sie sich so sehr an den Kindern erfreue. Louisens Antlitz durchschoß eine Röthe, da sie verneinte. Die Gesellschaft ging nun in den Lese- und Musiksaal, auch Louise begab sich dahin. Einige Männer aber wanderten nach der Veranda und steckten sich Cigarren an; auch Herr Merz ging ihnen nach. Er fand indeß keinerlei Ansprache, er ging allein in den Garten, am Ufer entlang, bis sich der Präsident zu ihm gesellte, der sich bald als Officier aus der französischen Schweiz kund gab. Er war der älteste Stammgast des Hauses und lobte die glückliche Art, wie man hier lebe; man sei nur immer im Zwiespalt, ob man den braven Besitzern zu lieb den behaglichen Ort Anderen empfehlen solle, während doch zu fürchten sei, daß man durch Ueberfülle die hier herrschende Behaglichkeit zerstreue.

Louise, die sich nicht lange im Unterhaltungssaale aufhielt, kam zu ihrem Vater, der seine Tochter dem Oberst vorstellte. Louise fragte, was mit dem Manne vorginge, der so verdrossen ihr gegenüber gesessen habe. Der Oberst erklärte, daß dies ein deutscher Arzt sei; er begleite einen bis zur Schwermuth gesteigerten Nervenkranken, der beständig auf seinem Zimmer bleibe. Der junge Mann sei natürlich von der Gesellschaft seines Patienten, der ihn keinen Augenblick von sich lassen wolle, etwas angegriffen; übrigens beruhe seine Verdrossenheit vornehmlich darauf, daß er nicht französisch spreche und sich nun in der Gesellschaft wie ausgestoßen vorkommen müsse.

Die Wirthin hatte Louisen gesagt, daß nach elf Uhr der Vollmond über den Bergen herabsteige; sie solle den wunderbaren Anblick nicht versäumen. Louise wollte den Mond-Aufgang abwarten, aber sie und der Vater waren so müde, daß sie sich zur Ruhe begaben und bald einschliefen.

Plötzlich aber wurde Louise geweckt, der Vollmond strahlte so hell, daß sie die Augen aufschlug. Sie stieg aus dem Bette, sie stand am Fenster und schaute hinaus in die wundersame, wie traumhaft erleuchtete Landschaft und in den See, darin der Mond in breitem, glitzerndem Strahle sich wiederspiegelte.

Da kam vom oberen See herab ein Kahn geschwommen, glitt in der silbernen Strömung dahin; in dem Kahn saß ein Mann, der jodelte hell in die mondbeglänzte Nacht hinein. Der Kahn kam immer näher, das Jodeln wurde immer deutlicher, immer lebendiger und gewaltiger; die Fenster im Hause öffneten sich, Männer- und Frauenstimmen riefen: „Monsieur Edgar!“ Ein Jauchzen, das wie eine Rakete emporstieg, antwortete vom See herauf, und immer lustiger und übermüthiger jodelte der Mann, der im Kahne saß. Der Wirth und die Wirthin, der Allversorger Caspar eilten nach dem Ufer, riefen einander an: „Herr Edgar kommt!“ und der Hund bellte.

Der Kahn landete. Ein hochgewachsener Mann, mit einem spitzen Hut auf dem Kopfe, den er jetzt lüftete, begrüßte die Wirthsleute und die am Fenster Rufenden und stieg aus. Er erzählte laut, daß kein Dampfschiff mehr in der Nacht hierher ging, er aber habe nicht in der Nähe übernachten wollen und sich darum einen Kahn genommen und hierher gerudert.

Louise hörte noch, wie die Wirthin sagte, sein Eckzimmer sei nicht mehr frei, eine junge Frau und ein alter Herr hätten es erst heut’ genommen, sie würden aber wohl nicht lange dableiben.

Der Fremde ging in’s Haus, das Gepäck war ihm nachgebracht worden. Wieder war Alles still, der Mond schien über die Berge, über den See; Alles war so in sich ruhig, aber Louise fühlte ihr Herz klopfen. Was ist denn das? Ja, wir erleben noch wundersame Begegnisse, wie sie uns in Märchen und Sagen berichtet werden. Ist das nicht ein solches Ereigniß, wie da ein Mann über den mondbeglänzten See daher geschwommen kommt und freudiges Willkommen begrüßt ihn? Wie wird aber dies Alles am Tage aussehen, – mitten in der Prosa unserer Welt mit festen Pensionspreisen?

Der Springbrunnen vor dem Hause plätscherte und quallte und es klang, als ob er auch den Ruf: „Monsieur Edgar! Monsieur Edgar!“ gelernt hätte. So klang es immerfort, bis Louise einschlief.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_274.jpg&oldid=- (Version vom 11.1.2019)