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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

der Mode. Doch nun kommt das kurze, wehmüthige Ende des Gedichtes:

Während er die Jugend suchte,
Ward er täglich noch viel älter,
Und verrunzelt, abgemergelt
Kam er endlich in das Land,

In das stille Land, wo schaurig
Unter schattigen Cypressen
Fließt ein Flüßlein, dessen Wasser
Gleichfalls wunderthätig heilsam –

„Lethe“ heißt das gute Wasser!
Trink’ daraus und Du vergißt
All Dein Leiden – ja, vergessen
Wirst Du, was Du je gelitten.

Gutes Wasser! gutes Land!
Wer dort angelangt, verläßt es
Nimmermehr – denn dieses Land
Ist das wahre Bimini.

Rührende Kindermärchenklänge! Die Muse des Dichters hat ein kindliches Lächeln voll tiefsinniger Weisheit. Sie sind glücklich, Madame! Sie brauchen keine unsichere Fahrt nach der Zauberinsel Bimini anzutreten; denn Ihnen gehört noch die Jugend mit allen ihren Frühlingswonnen. Der Dichter selbst aber mußte noch unsägliche Schmerzen erdulden, ehe er in den Hafen des wahren Bimini einlaufen und aus dem Quell der Vergessenheit trinken durfte.




Sänger als Handelsartikel.
Mitgetheilt von Brehm.


Seit geraumer Zeit arbeite ich an einem Buche, welches den Titel „Gefangene Vögel“ führen und im Laufe dieses Jahres im Verlag der Winter’schen Buchhandlung zu Leipzig erscheinen wird. Es soll ein Handbuch für den Liebhaber werden und ihm verläßlichen Rath geben über alle Vögel, einheimische wie fremde, welche man gegenwärtig in und außer Europa in Käfigen, Gesellschaftsbauern, Parks und Thiergärten gefangen hält. Da nun aber die Aufgabe, wie ich mir sie gestellt, die Kraft des Einzelnen fast übersteigt, habe ich meine Berufsgenossen, welche sich für diesen Gegenstand interessiren, alle mir bekannten Liebhaber und alle namhaften Thierhändler Europas um Mithülfe ersucht, und ist mir solche auch freundlichst gewährt worden, Männer wie Bartlett, Bodinus, Cabanis, Cronau, Finsch, Geoffroy, Girtanner, Gräßner, A. von Homeyer, Adolf Müller, Karl Müller, F. Schlegel, Bekemans, Westermann und Andere sehen die Bogen durch, ehe sie die Presse verlassen, ändern, berichtigen, verbessern, vervollständigen; mir bekannte und bis dahin noch unbekannte Liebhaber liefern Beiträge, die Ergebnisse besonderer Erfahrungen etc., sodaß es möglich wird, etwas Zweckdienliches zu schaffen.

Einen der eingegangenen Beiträge möchte ich unendlich weiteren Kreisen vorlegen, als die „Gefangenen Vögel“ jemals erreichen können, weil ich glaube, daß derselbe Vielen erwünschten, vielleicht ungeahnten Aufschluß geben wird über den einzigen Stubenvogel, welcher sich Bürgerrecht erworben auf der Erde, soweit gesittete Menschen sie bewohnen – den goldenen Sänger der glücklichen Inseln, deren Namen er trägt: unseren allbekannten Canarienvogel. Ich verdanke die Mittheilung dem Weltgroßhändler in diesem Zweige, Herrn Reiche in Alfeld, welcher Geschäft und Geschäftskunde von seinen Vorfahren ererbt und den Handel mit Canarienvögeln auf eine Höhe erhoben hat, daß er gegenwärtig viele Tausende von blanken Thalern zurückrollt in die Gebirgsdörfer am Harz, Vogelsberg, der Rhön und anderen Bergen, und in gar viele arme Hütten seinen Segen trägt. Diesen meinen Gewährsmann lasse ich im Nachstehenden reden und gebe damit zugleich Bruchstücke meines Buches.

„Der Handel mit Canarienvögeln und abgerichteten Dompfaffen nach außerdeutschen Ländern besteht seit Ende des vorigen Jahrhunderts; ich weiß, daß schon mein Urgroßvater und Großvater damit sich beschäftigten. Beide hatten sich St. Petersburg zum Absatzorte erwählt und brachten in jedem Frühjahre größere Mengen dorthin. Im Herbste und Winter besuchten sie zu gleichem Zwecke Holland und England. Doch wurde das Geschäft damals überall nur in sehr geringer Ausdehnung betrieben, da bei den unentwickelten Verkehrsmitteln jener Zeit die Versendung äußerst lästig und kostspielig war, schon weil sie so langsam von Statten ging. Zudem glaubte man, daß den Vögeln das Fahren schädlich sei, und ließ sie deshalb bis Hamburg oder Lübeck auf dem Rücken tragen. Im Hafen mußte man nicht selten, widrigen Windes halber, wochenlang liegen bleiben, und wenn endlich die Weiterreise angetreten werden konnte, nahm sie andere Wochen in Anspruch, falls nicht besonders günstige Winde das Segelschiff über Erwartung förderten. Daß der Handel solchen Hindernissen gegenüber unmöglich gedeihen konnte, bedarf nicht der weiteren Auseinandersetzung.

Wie noch heute geschieht, wurden die von den Züchtern aufgekauften Vögel sogleich in kleine hölzerne Käfige, sogenannte ‚Harzer Bauer‘ gesteckt und diese auf das ‚Reff‘, ein leichtes Traggestell, gesetzt, bis die Ladung von einhundertsechszig oder einhundertsiebenzig Bauern zusammengebracht war. Dieselbe wurde alsdann kunstgerecht mit Leinwand verhüllt und nun konnte der Träger sich auf den Weg machen. Zu Hause begann zunächst das Sortiren der Vögel durch einen in alle Geheimnisse ihres Wesens und Seins eingeweihten Sachverständigen, und hierauf trat man die Reise an. Zu einer Anzahl von ungefähr tausend Vögeln gebrauchte man sechs starke Träger, und eine Reise vom Harz bis Lübeck nahm zwölf Tage in Anspruch, während ich jetzt die vierfache Anzahl in nur zwei Tagen mehr von derselben Stelle nach New-York befördere.

Damals brach man bereits eine Stunde vor dem Tagwerden auf, legte die erste Meile zurück, fütterte, ging die zweite Meile ab, fütterte wieder, und rückte, nachdem man die dritte Meile hinter sich gebracht, in die Nachtherberge ein; denn nicht allein die Last der ‚Trägte‘, sondern auch ihre räumliche Ausdehnung verlangsamte den Weg, namentlich bei ungünstigem Wetter, starkem Winde etc. Die Ladung hatte eine Höhe von fünf, eine Breite von zweieinhalb, eine Tiefe von zwei Fuß und ein Gewicht von mindestens hundert Pfund, beanspruchte also die volle Kraft eines Mannes: – in der Regel mußte von zehn zu zehn Minuten einige Zeitlang geruht werden.

Zum Füttern und Uebernachten hatte man auf allen Wegen seine bestimmten Haltepunkte und Einkehrorte. Traf man, um zu füttern, im Wirthshause ein, so wurden sämmtliche Vögel rasch vom Reffe genommen und hierauf mit Futter und Trinken versorgt, so gut dies eben gehen wollte. Je sieben Bauer waren durch einen leichten Holzstock, Spille genannt, derart an einander befestigt, daß die Futterkästchen auf der einen, die Trinknäpfchen auf der anderen Seite sich befanden. Eine solche Reihe nach der anderen nun nahm einer der Träger vom Reff und gab sie in die Hände des zweiten, welcher etwas Futter in das Kästchen schüttete, während der dritte mittelst einer zweckmäßig eingerichteten Kanne die Trinknäpfchen mit Wasser versah, und der vierte die Reihen übereinander an den Wänden aufstapelte, Letzteres geschah, um jedem Vogel Licht und Luft zu geben und doch alle leicht übersehen, erkrankte ausscheiden und besonderer Pflege theilhaftig machen zu können. Im Verlaufe einer Stunde hatte man so etwa tausend Vögel abgefertigt, ließ sie hierauf eine fernere Stunde ruhig stehen, erquickte sich selbst mit Speise und Trank, packte auf und trat die nächste Meile an. Je von drei zu drei Tagen wurden sämmtliche Käfige gereinigt, zu diesem Zwecke also auch die Reihen auseinander genommen und wieder zusammengesteckt – eine Arbeit, welche so viel Zeit wegnahm, daß an diesem Tage nur zwei Meilen zurückgelegt werden konnten. Das für die Reise nöthige Futter wurde von einem besonderen Träger mitgeführt, während man die für die Seefahrt bestimmte Nahrung der Vögel als Frachtgut vorausgesandt hatte.

So lästig diese Versendung aber auch war: die schwerbepackten Träger zogen heiter und vergnügt ihres Weges dahin, begleitet auf Schritt und Tritt von den schmetternden Liedern aus hundert Vogelkehlen. Herbeigelockt durch den weithin schallenden Gesang, erschienen zuweilen Schaaren von freilebenden Verwandten: Finken, Hänflinge, Stieglitze, Lerchen und dergleichen, umschwebten die in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 249. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_249.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2018)