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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Händen eines Mannes wüßte, der Dir den Vater reich ersetzen wird, dem ich Dich vermache und empfehle an Kindesstatt – es ist Dein Lehrer Feldheim. An seinem starken Herzen wirst Du Trost finden für den ersten großen Schmerz, der über Dich kommt, armer Verlassener! Lebe, mein Sohn, lebe einem Namen zur Ehre, den Dein Vater heute mit seinem Blute reinwäscht, um ihn Dir so makellos zu vererben, wie er ihm selbst überliefert wurde. Feiere mein Andenken nicht mit Thränen, sondern mit Thaten. Wohl wirst und sollst Du weinen bei dem schrecklichen Erwachen, aber um der Qual willen, die mich erfaßt, wenn ich an Deinen Schmerz denke, bitte ich Dich, mäßige ihn, und ich weiß, Deine Liebe für mich wird Dir diese Bitte heiligen und aus Liebe für mich wirst Du stark sein!

Sei auch nicht hart gegen Deine Mutter. Wenn Du erwachsen bist und die Schwäche und Gebrechlichkeit des weiblichen Herzens kennen lernst, dann dürfte Dich jede Lieblosigkeit gegen sie reuen. Sie hat Dich mit ihrem Herzblut genährt, Du darfst sie nicht richten. Ist sie doch schwer genug gestraft, wenn sie das Auge zu Dir erheben muß! Lerne von Deinem sterbenden Vater, wie göttlich es ist, zu verzeihen! Steh’ ihr bei, denn die Reue wird über sie kommen und sie wird nichts haben als Dich.

Leb’ wohl und sei getrost! Wie Du jetzt im Schlummer Deinen Vater verlierst, so wirst Du ihn einst im Schlummer wiederfinden, im Todesschlummer! Das ist meine feste Zuversicht.

Noch einmal will ich an Dein Bett treten, noch einmal Deine lieben Züge mir einprägen!“ – –

„Ich habe einen stummen letzten Abschied von Dir genommen. Wenn Du mir grollst im ersten bittern Weh, daß ich Dich so verlassen konnte, so denke an den Schmerz eines Vaters, der weiß, daß er zum letzten Mal an seines Kindes Bett steht, denke, was es mich kostete, zu schweigen und Dich nicht zu wecken mit meinem Jammer – und Deine Thränen werden milder fließen, Du wirst versöhnt sein.

Lebe wohl, mein Sohn! Der Segen Deines Vaters geleitet Dich für und für.“

Der alte Herr faltete das Blatt zusammen und überschrieb es: „An meinen Sohn, den letzten Freiherrn von Salten-Hermersdorff.“ Er neigte das Haupt darauf nieder und verharrte lange so.

Da trat der Candidat ein. Salten richtete sich rasch auf. „Alles in Ordnung?“

„Ja! Der Graf hat sich zu jeder Art von Satisfaction bereit erklärt. Punkt fünf wird er auf dem Platze sein. Ich war auch bei dem Arzte!“

„Das ist gut. Wen bestellten Sie?“

„Ich wählte den besten Chirurgen, den Professor Zimmermann. Er wird kommen.“ Den Candidaten rüttelten Fieberschauer, aber seine Haltung hatte wieder die alte Starrheit gewonnen.

„Haben Sie ihm Namen genannt?“ fragte Salten.

„Nein, ich theilte ihm nur mit, daß er früh viereinhalb Uhr an einen Ort abgeholt werde, wo man seiner dringend bedürfe.“

„Ich danke Ihnen, Feldheim,“ sagte der Freiherr. „Hier lege ich mein Testament in Ihre Hände, Sie sind sein Vollstrecker.“

Feldheim verbeugte sich, ohne ein Wort hervorzubringen.

„Hier ist ein Brief an Alfred, den Sie ihm aber nicht eher übergeben, als bis ihm mein Tod nicht mehr zu verbergen ist. Ich hoffe, dies läßt sich so lange bewerkstelligen, bis Alfred sich von den furchtbaren Aufregungen des heutigen Tages erholen konnte, es wird sonst zu viel für ihn. Wenn ich falle, so bitte ich Sie daher, mich nicht in mein Zimmer bringen zu lassen, sonst würde er es hören. Man soll mich hinausschaffen in das Zimmer Adelheid’s, und sie mag sich eines hier unten nehmen. So ist es ihm wohl am sichersten zu verbergen. Nicht wahr, Sie besorgen das?“

„Verlassen Sie sich darauf.“

Die Stimme des Candidaten klang heiser vor innerer Bewegung.

Salten hörte es und reichte ihm tröstend die Hand. „Muth, junger Freund, der Tod ist ein Augenblick, der vorübergeht!“

(Fortsetzung folgt.)




Geschichte eines Ruhelosen.
Mein lieber Keil!

Sie verlangen von mir eine Art von Biographie zu meinem eigenen Bild, aber das ist eine gefährliche Arbeit. Soll ich mich selber denunciren und eigenhändig bestätigen, daß ich ein Menschenalter hindurch einer der größten Herumtreiber gewesen bin, die es überhaupt giebt, und schon lange polizeilich eingesteckt sein würde, wenn ich mein „ungeordnetes“ Leben nur auf einen kleinen Kreis beschränkt hätte, während ich es, im Gegentheil, nach allen Kräften und Seiten ausgedehnt?

Sie werden mir allerdings einwerfen, daß ich mich ja selber schon in meinen Reisebeschreibungen verrathen habe – aber glauben Sie das nicht. Es giebt factisch noch verschiedene Menschen, die alles Ernstes wissen wollen, daß ich meine zahlreichen Reisen gar nicht wirklich gemacht, sondern sie nur beschrieben hätte. Herbert König behauptet sogar, ich wohne, in der Zeit meiner angeblichen Abwesenheit, bei einem Bäcker in Magdeburg im dritten Stock hinten heraus.

Doch was thut’s? Die Sache läßt sich weder mehr leugnen noch bemänteln – vielleicht nur in etwas entschuldigen.

Was mich so in die Welt hinausgetrieben? – Will ich aufrichtig sein, so war der, der den ersten Anstoß dazu gab, ein alter Bekannter von uns Allen, und zwar Niemand anders als Robinson Crusoe. Mit meinem achten Jahr schon faßte ich den Entschluß, ebenfalls eine unbewohnte Insel aufzusuchen, und wenn ich auch, herangewachsen, von der letzteren absah, blieb doch für mich, wie für tausend Andere, das Wort „Amerika“ eine gewisse Zauberformel, die mir die fremden Schätze des Erdballs erschließen sollte.

Ewig unvergeßlich bleibt mir dabei ein preußischer Landrath, ein Herr v. P., mit dessen Söhnen ich sehr befreundet war. Er betrachtete natürlich jeden Menschen der nach Amerika wollte, als einen mit den vortrefflichen deutschen Verhältnissen Unzufriedenen, und sprach sich entschieden mißbilligend über meine Absicht aus. Als ich aber trotzdem darauf bestand, redete er mich plötzlich französisch an. Die französische Sprache ist meine schwache Seite noch bis auf den heutigen Tag, wenn ich auch seitdem oft gezwungen war, darin zu verkehren. Die plötzliche Anrede brachte mich außerdem in Verlegenheit; ich antwortete nur stotternd, und der Landrath, auf’s Aeußerste indignirt, sagte verächtlich: „Und Sie wollen nach Amerika gehen und können nicht einmal Französisch?“

Ich ging trotzdem und führte nun dort drüben in den westlichen Staaten, nachdem mich freundliche Landsleute im Osten erst vorsichtig um Alles betrogen, was ich mitgebracht, ein allerdings genügend wildes und abenteuerliches Leben. Ich durchzog zuerst die ganzen Vereinigten Staaten quer durch von Canada bis Texas zu Fuß, arbeitete unterwegs, wo mir das Geld ausging, und blieb endlich in Arkansas, wo ich ganz und allein von der Jagd lebte, bis ich dort halb verwilderte. Ich weiß mich noch recht gut der Zeit zu erinnern, wo meine sämmtliche Wäsche in einem einzigen baumwollenen Hemd bestand, das ich mir selber wusch und bis zu dessen Trockenwerden ich so herumlief; nur dann und wann trieb mich die Sehnsucht wieder einmal in civilisirte Staaten zurück, aber auch nur auf so lange, bis ich mir mit schwerer Arbeit wieder etwas Geld verdient hatte, um dann, mit einer neuen Ausrüstung, mein altes Leben von Frischem zu beginnen.

Aber es war das doch nur ein zweckloses Umhertreiben, denn zu verdienen ist auf der Jagd Nichts. Wo es viel Wild giebt, hat es keinen Werth, und wo es Werth hat, ist es zu mühsam und zeitraubend, es zu erbeuten. Sechs und ein halbes Jahr hatte ich aber doch in solcher Art verbracht, bis mich das Heimweh nach dem Vaterlande packte, und ich beschloß dahin zurückzukehren. Was ich da wollte? – Nur meine Mutter und Geschwister einmal wiedersehen und dann in den Wald zurückkehren – was hätte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_244.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2018)