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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

und den Löwen umkleidet, und die daraus entsprungenen Heldengeschichten sind es, in welchen beide noch heute im Munde und Herzen des Volkes fortleben. Der Herzog, so heißt es dort, kam auf seiner Rückkehr aus dem gelobten Lande eines Tages durch einen tiefen Wald. Durch das klägliche Winseln eines Thieres noch weiter in das Dickicht gelockt, sieht er sich plötzlich einem ungeheuren Drachen gegenüber, der einen Löwen im Kampf umschlungen hält. Da jammert den Herzog das schöne, ihn wie um Hülfe anflehende Thier, und rasch entschlossen stößt er dem Drachen das Schwert in den giftsprühenden Rachen, daß er verendend niedersinkt. Sanft wie ein Lamm nähert sich nun der befreite Löwe dem Fürsten, leckt ihm dankbar die ritterliche Rechte, weicht seit jener Stunde nicht mehr von seiner Seite und begleitet ihn über’s Meer nach dem kalten Norden. Bis zu Heinrich’s Tode, so schließt die Sage, sei der Löwe sein treuer Gesellschafter gewesen; und als man den Helden endlich im Jahre 1195 in den Dom zu Grabe getragen, da habe das treue Thier an der Pforte des nördlichen Querschiffes so wüthend geheult und gekratzt, daß die Spuren seiner Tatzen noch bis auf diesen Tag an dem Mauerwerk zu schauen sind.

Ein hochpoetischer Hauch zieht durch den Schluß dieser alten Legende. Dem vom Schicksale tief gebeugten greisen Helden, der, des größten Theils seiner Besitzungen beraubt, einsam und verlassen des Lebens Rest auf seiner Burg Dankwarderode vertrauert, stellt sie den treuen Löwen zur Seite, der, treu auch über das Grab hinaus, an die Grabespforte pocht und sich davor lagert, bis er selbst verendet.

Und siehe, – der romantische Faden, welcher den Herzog und den Löwen verbindet, er spinnt sich fort bis in unsere Tage, denn an die Stelle des fabelhaften tritt der eherne Löwe, der noch heute Wacht hält neben dem Blasius-Münster, der alten Grabeskirche Heinrich’s und seiner Enkel.

Auch dieses alte Löwendenkmal, dieses Wahrzeichen Braunschweigs, war von Denon mit auf die Proscriptionsliste gesetzt; es sollte, wie die Quadriga des Brandenburger Thores in Berlin, mit nach Paris wandern. Die erste Nachricht von diesem Vorhaben fand wenig Glauben; man hielt es für unmöglich, daß die Räuberei so weit gehen würde. Als aber die Absicht mit immer mehr Gewißheit auftrat, als man gar den Tag nannte, an welchem der Löwe den Platz verlassen sollte, wo er sechs Jahrhunderte lang gestanden hatte, da ging ein Schrei der Entrüstung durch die ganze Bevölkerung. Ungeachtet der mit einem solchen Schritte verbundenen Gefahr faßte ein Mann den Entschluß, dieser allgemeinen Erbitterung Ausdruck zu geben und gegen die Wegführung des Denkmals Einsprache zu erheben. Dieser Mann, der sich durch seinen ungebeugten Muth in jenen Tagen der schweren Noth, durch seine Redlichkeit und seinen Patriotismus ein unvergängliches Denkmal im Herzen seiner Mitbürger gegründet hat, war der spätere Präfect Henneberg; er hatte sich vorgenommen, einmal deutsch mit den Franzmännern zu reden, und die Gelegenheit hierzu stellte sich ein, ehe er es noch erwartet hatte. Der Zufall fügte es, daß Henneberg unvermuthet mit Denon auf dem Burgplatze zusammentraf, Beide allein mit einander, Stirn gegen Stirn; das kam dem deutschen Manne gerade gelegen.

„Herr Director,“ redete Henneberg den Franzosen nach kurzer Begrüßung an, „ist es wahr, daß auch der Löwe dort mit nach Paris gehen soll?“

Denon wich einen Schritt rückwärts. Die plötzliche Anrede und der feste, fast drohende Ton, in welchem sie gesprochen war, hatte ihn überrascht; doch bald wieder gefaßt, antwortete er in höhnischem Tone: „Der Löwe steht auf meiner Liste und geht nach Paris; – wollten Sie das vielleicht verhindern?“

„Hindern,“ fuhr Henneberg fort, sein flammendes Auge auf den Gegner gerichtet, „hindern, sobald Sie Ernst machen! – Heute aber, wo der Löwe noch unangetastet dasteht, spreche ich im Namen der gesammten Bürgerschaft dieser Stadt die Bitte aus: von der Wegführung abzustehen. Wir haben geschwiegen, wenn auch mit blutenden Herzen, als jene Kunstsammlungen zerstückelt wurden, auf welche wir einst stolz waren; legen Sie aber Hand an diese ehrwürdige Rugensäule, – bei dem allmächtigen Gott! dann,“ mit erhobener Rechte nach den Domthürmen hinaufweisend, „dann sollen jene ehernen Zeugen dort oben das Signal zu einem Sturme geben, den zu bannen Ihnen schwer fällen möchte!“

Ohne weitere Erwiderung abzuwarten, schritt Henneberg über den Platz hin, über alle Furcht vor den Folgen dieses gewagten Schrittes durch das Gefühl erhaben, seiner Pflicht genügt zu haben. – Diese kurze Unterredung, wegen welcher die Freunde Henneberg’s für ihn das Schlimmste fürchteten, hatte den Löwen gerettet. Er wurde von der Proscriptionsliste gestrichen, und statt seiner ging ein Bericht an den Kaiser nach Paris, darin Herr Denon gelahrt auseinandersetzte: der Löwe sei ein elendes byzantinisches Machwerk und kaum des Transports werth.

Seitdem steht der Löwe ungestört auf seinem alten Platze. Geschlecht um Geschlecht ist im Laufe von sieben Jahrhunderten an ihm vorübergezogen; er aber hat ausgehalten in Sturm und Sonnenschein. Er stand da, als seine Dränger landflüchtig wurden und jene Glocken hoch über ihm auf den Domthürmen mit ernsten Feierklängen den Sieg von Leipzig verkündeten; – er sah im Festschmuck herab auf die freudig bewegte Menge, welche die Rückkehr des rechtmäßigen Herrschers begrüßte, und bald darauf schaarte sich um ihn auch jener Zug hochbepackter Wagen, welcher die einst in den Tagen der schweren Noth von Denon entführten Kunstschätze heimbrachte. Schauerlich beleuchtet von brennenden Pechpfannen stand er auch da in jener dunklen Juninacht des Jahres 1815, als die Braunschweiger ihren Heldenherzog Friedrich Wilhelm zu Grabe trugen, das letzte Heroenopfer für Deutschlands Befreiung von fränkischem Joch. – Und noch viele Jahre wird er dastehen, der alte eherne Löwe, und den Enkeln erzählen von ihren Vätern wie sie einzeln geknechtet, aber wieder stark und frei wurden, als sie einig waren.

C. St––n.


In den Vorproben zum diesjährigen Passionsspiel in Oberammergau.
Von Herman Schmid.

Durch die Blätter jeder Gestalt und Farbe im Walde der Zeitungen geht ein gemeinsames Rauschen und Tönen, daß die Bewohner des Dorfes Ober-Ammergau im baierischen Gebirge wieder daran sind, ihr großes Passions-Schauspiel aufzuführen, und was darüber aller Orten verlautet, läßt erwarten, daß das Zuströmen von Zuschauern aus aller Herren Landen zu dem seltenen und durchaus eigenthümlichen Schauspiele um so größer sein werde, als dasselbe nur in jedem zehnten Jahre zur Darstellung kommt. In der letzten Decade hatte auch ich zu den zweifelnden Neulingen gehört, welche, von dem wunderbaren Rufe der Darstellung angezogen, in die Berge wanderten, um selbst zu sehen und zu hören, wie viel von diesem Rufe echt sei und wie viel der religiösen Ekstase oder Uebertreibung anheimfalle; – was ich damals den Freunden der Gartenlaube erzählte, bewies, daß ich die hochgespannten Erwartungen nicht nur erfüllt, sondern übertroffen gefunden hatte.

Der Entschluß, das Schauspiel in diesem Jahre noch einmal zu sehen und zu prüfen, ob der Eindruck derselbe bleibe, stand daher schon lange in mir fest; noch mehr aber drängte es mich, zu erfahren, wie bei Lösung einer so gewaltigen Aufgabe durch eine kleine Dorfgemeinde zu Werke gegangen, wie jene überraschende Wirkung erzielt werde, deren Erinnerung in mir nach zehn Jahren noch so frisch war wie am ersten Tage. Das gewordene Werk kannte ich; mir lag Alles daran, es in seinem Werden kennen zu lernen, das Fertige im Entstehen zu belauschen.

Wohl ging das Gerücht, daß die Ammergauer in bescheidener Erkenntniß ihrer Stellung und im Bewußtsein, daß sie eben leisten, was sie können und daß sie nur das zum Ausdrucke bringen, was in ihnen lebt, es nicht lieben sollen, bei ihren Uebungen und überhaupt bei den Vorbereitungen von fremden Augen beobachtet zu werden; dennoch entschloß ich mich, einen Versuch zu wagen – durfte ich doch hoffen, im baierischen Gebirge überall wie heimisch so auch willkommen zu sein, und hatte ich doch insbesondere den Ammergauern die Geschichte vom „Holzgrafen“ erzählt und dabei gezeigt, daß ich für ihr Sein und Leben, in dessen Mitte „der Passion“ wie eine Art Krystallkern sitzt, doch wohl einiges Verständniß mitbringe.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_233.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)