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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

und dem Herzoge sein Leben kostete. Durch eine Flintenkugel am Haupte tödtlich verwundet, flüchtete der Feldherr von der Wahlstatt, ihm nach die Trümmer des Heeres in einer Unordnung, wie die Welt es unter ähnlichen Verhältnissen nicht wieder gesehen hat. Der „arme blinde Mann“, wie er sich selber nannte, wurde auf einer Tragbahre über den Harz nach Braunschweig gebracht; „welcher Schimpf, welche Schande!“ war Alles, was man in den ersten Tagen aus seinem Munde hörte. Unterwegs schon wurde der Oberkammerherr von Münchhausen an Napoleon abgesandt, um Schonung für das Herzogthum und den todtkranken Fürsten zu erbitten. Die Sendung blieb ohne den gehofften Erfolg, und der Kaiser wies den Oberkammerherrn mit den bekannten Worten ab: „Das Haus Braunschweig hat zu regieren aufgehört; mag der General Braunschweig gehen, sich ein anderes Vaterland jenseits des Meeres zu suchen; sobald ihn meine Truppen finden, wird er ihr Gefangener sein. Ich will ihn und seine ganze Familie vernichten.“ –

Die Flucht wurde nun am 24. October von Braunschweig ab weiter fortgesetzt, bis hinauf in das neutrale dänische Gebiet; nach vielen Tagen ruhelosen Umherirrens bot ihm endlich ein schlichtes Gasthaus im Dorfe Ottensen bei Altona die Stätte, wo er sich zum Sterben niederlegen durfte. Am 10. November starb Karl Wilhelm Ferdinand; fünfzehn Jahre lang barg derselbe Kirchhof seine Leiche, auf welchem auch Klopstock unter der Linde ruhet, – die Hände, welche ihm die Pforte zu der Gruft seiner Ahnen öffnen konnten, lagen bereits in den Fesseln der Tyrannei –

„Zu Ottensen an der Mauer
Der Kirche ist ein Grab,
Darin des Lebens Trauer
Ein Held geleget ab.“

Das prophetische Wort Wolffradt’s: „eine einzige verlorene Bataille, und wir sind hin“, es erfüllte sich nach dem Tage von Jena in drastischster Weise. Schon am 27. October, nachdem Kleist Magdeburg auf so schmachvolle Weise übergeben hatte, hielt Napoleon seinen Einzug in Berlin, drei Tage später nahm der kaiserliche Kriegscommissair Malraison Besitz vom Herzogthum Braunschweig, und vor Allen sollten nun die ehemaligen Unterthanen des „General Braunschweig“ erfahren, was es heißt: fremde Hand im Vaterland. Noch am Tage der Ankunft der Franzosen in der Hauptstadt wurden von allen öffentlichen Gebäuden die herzoglichen Wappen entfernt, und man ging in der Fürsorge, Alles zu beseitigen, was an die gestürzte Dynastie erinnerte, so weit, daß man die Besitzer mehrerer Gasthäuser zwang, ihre Schilde mit Bezeichnungen, wie „Zum Prinzen Friedrich“, „Prinz Wilhelm“, „Prinz Leopold“ etc., zu entfernen. –

Malraison wurde durch Bisson, der zum Gouverneur ernannt war, abgelöst, neben ihm fungirte Martial Darü als Intendant, der Gouverneur nahm Wohnung im Bevern’schen Palais, der ehemaligen Domprobstei, gegenüber der alten Domkirche, welche die Asche Heinrich’s des Löwen birgt. Die dem Ländchen auferlegte und binnen vier Monaten zu beschaffende Contribution betrug ein und eine halbe Million Thaler; kaum war diese zusammengebracht, so folgte eine gezwungene Anleihe von zwanzig Millionen Franken, und als diese nicht ausreichte, wurde eine zweite von zehn Millionen decretirt. Wie diese Contributionen in klingender Münze, decretirte der neue Landesherr den Unterthanen auch den schuldigen Tribut an Liebe und Ergebenheit; bereits am 2. December 1806 mußte in allen Kirchen das Te Deum gesungen werden, nachdem zuvor über das Schriftwort gepredigt worden war: „Jedermann sei unterthan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat, denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott.“

Neben diesen Gelderpressungen waren es vor Allem die Kunstschätze, danach die Sieger begierig die Hände ausstreckten, und Braunschweig bot ihnen dafür eine Fundgrube, wie sie solche kaum in Berlin ergiebiger angetroffen hatten. Da war in erster Reihe das Lustschloß Salzdahlum, das Braunschweiger Versailles, mit seiner einst vom Herzoge Anton Ulrich angelegten und von seinen Regierungsnachfolgern vermehrten Bildergalerie. Da war ferner die berühmte Wolfenbütteler Bibliothek, unter ihren vielen tausend Bänden einen reichen Schatz von Handschriften enthaltend; da war auch das herzogliche Museum in Braunschweig selbst, mit seinen herrlichen Antiken-, Schnitzwerk-, Kupferstich- und Handzeichnungs-Sammlungen, die vielen einzelnen Kunstwerke ungerechnet, welche in Kirchen und öffentlichen Gebäuden zerstreut sich befanden. Um die Hauptstücke dieser Sammlungen für die kaiserlichen Museen auszuheben, kam der General-Inspector derselben, Dominique Vinant Baron Denon, noch im December 1806 in Braunschweig an.

Denon, zu Chalons 1747 geboren, war ein künstlerisches Universalgenie; er schrieb Lustspiele, Abhandlungen über Kunst, malte in jedem Genre, und stach vortrefflich in Kupfer. Von Ludwig dem Fünfzehnten bereits zum Gentilhomme ordinaire du Roi ernannt, ging er als Gesandtschafts-Attaché nach Petersburg, dann nach Neapel, doch überall mehr dem Studium der Kunst als der Diplomatie lebend. Nach der Revolution von David an Napoleon empfohlen, begleitete er diesen nach Aegypten. Vom Kaiser zum General-Inspector der neuen Museen ernannt, folgte er diesem dann auf seinem Siegeszuge durch die eroberten Länder, um dort die Kunstschätze auszuwählen, welche als Trophäen nach Paris wandern sollten, ein Handwerk, für das ihn der Volksmund mit dem Titel „Kunsträuber“ beehrte. Jetzt kam Denon von Berlin, wo er eben seine Plünderung beendet hatte, und ging, trotz der winterlichen Kälte, welche in den Sälen und Galerien herrschte, mit einer Hast an’s Werk, als könne ein Aufschub die rächende Hand der rechtmäßigen Herren herbeiführen.

Der Anfang wurde mit Salzdahlum gemacht, aus dessen Galerie er über zweihundert kostbare Gemälde auswählte; dann kam das Museum an die Reihe. Hier war er außer sich vor Entzücken ob des über alle Erwartung reichen Fundes an kostbaren Handzeichnungen der berühmtesten Maler, besonders aber über die Majolica. Alles, was künstlerisches oder historisches Interesse hatte, wanderte in die bereit gehaltenen großen Kisten.

Für den Augenblick berührte diese Plünderung wohl am schmerzlichsten die Beamten, welche ihr ganzes Leben diesen Sammlungen geweiht hatten und nun macht- und hoffnungslos einem Zerstörungswerke zuschauen mußten, das ihnen ein Stück vom Herzen zu reißen schien. Wer sich irgend welche Einsprache erlaubte, wurde derb abgefertigt; Graf Sierstorf, ein offener deutscher Mann, selbst Besitzer einer Gemäldegalerie, der es nicht unterlassen konnte, sein Bedauern über diese Zerstückelung gegen Denon auszusprechen, erhielt von diesem die kurze Abfertigung: „Mein Herr, Sie sind ein Dummkopf, was wollen Sie machen, wenn ich Alles nehme?“ – Trotz der Wachsamkeit der Franzosen hatte man doch aber Gelegenheit gefunden, das kostbarste Stück des Museums, das sogenannte Mantuanische Gefäß, eine aus einem großen Onyx geschnittene antike Kanne mit silbernem Deckel, Henkel und Ausguß, zu retten. Wie man sagt, sei dieses kostbare Stück durch treue Hände dem Herzoge Friedrich Wilhelm zugestellt worden. Denon aber fluchte und wetterte wegen des Fehlens des Gefäßes und schwur, daß es den Beamten den Kopf kosten solle, wenn es nicht herbeigeschafft würde. Um den Wüthenden zu beruhigen, wandte sich der spätere Präfect Henneberg an den Herzog Friedrich Wilhelm mit der Bitte, das Gefäß gegen die Summe von hundertfünfzigtausend Thaler herauszugeben, es geschah aber nicht, und jenes kostbare Erbstück im Hause Braunschweig machte damals den Zug nach Paris nicht mit, ist indeß jetzt dennoch dort, und zwar im Besitz des durch die Revolution von 1830 vertriebenen Herzogs Karl von Braunschweig.

Nachdem gleichzeitig unter dem Bücherschatze der Wolfenbütteler Bibliothek eine ähnliche Auswahl getroffen war, gingen zu Anfang Januar 1807 einundzwanzig große Kisten mittels Kriegsfuhren nach Paris ab; doch war mit dieser reichen Ausbeute die Raubgier noch keineswegs befriedigt, gierig durchstreiften die Kunsträuber Straßen und Plätze der Stadt und nahmen nicht Anstand auch Hand an solche Gegenstände zu legen, welche Jahrhunderte lang öffentlichen Plätzen und Gebäude als Schmuck gedient hatten.

Fast im Mittelpunkte der Stadt, auf dem Burgplatze gegenüber dem St. Blasiusdome, in dessen Mittelschiff der Ahnherr des Hauses Braunschweig, Heinrich der Löwe ruht, steht auf hohem Postamente das Wahrzeichen Braunschweigs, der bronzene Löwe. Heinrich ließ diesen Löwen im Jahre 1166 als Zeichen seiner Macht vor der Burg aufrichten, den geöffneten Rachen des königlichen Thieres nach Osten gekehrt, wie zum Kampfe bereit nach der Himmelsgegend ausschauend, wo eben damals die zahlreichen Feinde des Welfen in Merseburg seinen Sturz beschließend versammelt waren. Dann aber diente der „Löwenstein“ auch als Rugesäule, an welcher der Herzog öffentlich zu Gericht saß. Mit poetisch-phantastischem Gewande hat die Sage Herzog Heinrich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 232. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_232.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)