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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

„Nein, nimm mir’s nicht übel, im Gegentheil, Du bist zu zahm, ich meine zu gebildet.“

„Zu gebildet?“

„Ja, Du hast zu viel gesehen, zu viel gedacht. Du erkennst an Jedem sofort die Mängel und daneben denkst Du: der will nicht mich, der will mein Geld. Bei jeder Erscheinung eröffnet sich in Dir eine parlamentarische Debatte. Du bist die Tochter des Parlaments.“

„Gut! Nun hast Du Alles gesagt, nun, bitte, sprich hierüber nichts mehr.“

Louise sagte dies in entschiedenem Tone, und man fuhr geraume Zeit still dahin. Man näherte sich den landwirthschaftlichen Gebäuden, die eine kleine Strecke von dem Herrenhause entfernt waren. Die Hofhunde bellten, sie merkten wohl den neuen Ankömmling, und Scheck war, wie seine Herrin, schnell zur Antwort bereit. Aber Marie befahl ihm, nicht das letzte Wort zu behalten, er gehorchte und schwieg.

Der Wagen hielt vor der Freitreppe des Herrenhauses. Herr Merz hieß Marie willkommen. In das Antlitz des älteren Mannes, das glatt rasirt war, trat eine leichte Röthe; er hatte es vielleicht doch noch nicht ganz verwunden, daß er einstmals zur Freundin seiner Tochter eine vorübergehende, besiegte Neigung empfunden hatte. Marie schlug sofort den neckischen Ton gegen Herrn Merz an und dieser erwiderte ihn mit Freundlichkeit.

Marie wurde auf ihre Zimmer geführt, aber sie kam bald wieder herab und ging mit Herrn Merz vor dem Hause auf und ab. An einem neuen, noch nicht fertigen Anbau, der ein großes Fenster mit einer einzigen Scheibe hatte, fragte sie, was das sei. Herr Merz erwiderte, daß er für Louise ein Atelier gebaut habe, es solle während der Reise nach Italien, die man vorhatte, fertig gemacht werden, da Louise sich ganz ihrem künstlerischen Talente widmen wollte.

„Das ist sehr unrecht von Ihnen. Das durften Sie nicht thun!“ rief Marie trotzig. Auf die verwunderte Frage des Herrn Merz erklärte sie, er hätte nicht willfahren dürfen, daß Louise ihren Vorsatz, mit dem Leben abzuschließen, zur Ausführung bringe. Jetzt habe ein Freier eine neue Concurrenz zu bestehen.

„Ich bleibe dabei,“ rief sie, „Louise muß heirathen. Und wenn ich den Schwanenritter her beschwören muß, sie soll heirathen. Abgeschlossen haben mit dem Leben! Fertig sein! Hat man je so etwas gehört von einem schönen, reichen Mädchen, das – nun ja – das sechsundzwanzig Jahr ist! Geben Sie mir Vollmacht, was ich will, in Bewegung zu setzen?“

„Und wenn ich sie Ihnen nicht gebe?“

„Da haben Sie Recht, dann thue ich’s doch. Aber es ist besser, daß ich’s gesagt habe. Diese Urlaubstage sind mein, ich will sie nützen,“ recitirte sie mit Pathos.

Louise kam herab und der Vater entfernte sich bald. Die beiden Mädchen hielten sich umschlungen und gingen miteinander in den Park.

Plötzlich hielt Marie an und rief: „Ach, ich möchte wissen, wie man auf eigenem Grund und Boden spazieren geht. Also so tritt man auf!“

Sie hob ihr Kleid etwas in die Höhe, ein kleiner Fuß in braunen Stiefeletten zeigte sich und sie setzte ihn mit Nachdruck auf den Boden. In überschwänglichen Ausdrücken führte sie dann weiter, wie glücklich doch Menschen sein müssen, die ein Stück Erde ihr eigen nennen und eine feste Heimath haben. Louise widersprach nicht, denn sie war von tiefem Mitgefühl beherrscht für ein Mädchen, das, aus der höheren Gesellschaftsschichte stammend, heimathlos in der Welt war und das Brod der Dienstbarkeit essen mußte, einer Dienstbarkeit, die sich noch mit einem Scheine der Freiwilligkeit umgab. Sie entgegnete nur endlich, daß Marie reich genug sei, denn sie besitze einen unerschöpflichen Schatz von Humor.

„Berufe mir das nicht!“ rief Marie mit Aengstlichkeit. „Wenn man so etwas beruft, ist es vorbei.“

Die beiden Mädchen waren in ein Dickicht eingetreten, wo die Vögel lustig sangen. Louise stand still und fragte die Freundin, ob sie ihr nicht endlich Näheres sagen wolle zu Andeutungen in einem Briefe, daß sie auf ihrer Reise ein Herz gewonnen habe.

„Jetzt noch nicht,“ fiel Marie rasch ein, „aber bald werde ich es Dir sagen. Bitte, frage mich nichts weiter. Wenn es Zeit ist, werde ich Dir Alles erklären und Du sollst mir helfen.“

Sie sprachen nun von der beabsichtigten Reise nach Italien, und Louise bedauerte, daß Marie sie nicht begleiten konnte. Sie wäre eine gute Führerin gewesen, denn sie kannte Alles bereits.

Marie wußte es und Louise ahnte etwas davon, warum der Vater, der sonst seinem Kinde keinen Wunsch versagte, entschieden ablehnte, daß Marie sie begleite. Schweigsam gingen sie durch den Garten und den Park und kehrten endlich in das Haus zurück. Die Großmutter, die den Tag über unwohl gewesen, hatte sich am Abend erholt. Man saß wohlgemuth beisammen, und nach dem Abendessen begann Marie noch eine Schachpartie mit Herrn Merz. Sie war eine sehr gewandte Schachspielerin, die Partie dauerte sehr lange, die Großmutter und Louise zogen sich zurück und Marie saß allein mit Herrn Merz.

Kaum aber waren sie allein, als Marie die Figuren zusammenwarf und sagte, sie müsse nochmals von Louise sprechen. Herr Merz solle ihr doch die Männer der Umgegend bezeichnen, die auf Morgen zu Gaste kommen sollten, welche darunter seien, die sich um Louise bewerben und welchen der Vater am meisten wünsche; denn es sei von großer Bedeutung, wenn eine Freundin ihr Wohlgefallen an einem Bewerber kundgebe, und sie hoffe damit einen Entschluß Louisens zu Stande zu bringen. Der Vater nannte mehrere, ein Gutsbesitzer und ein junger Beamter aus der nahen Kreisstadt waren ihm gleich werth, aber Louise schien gegen beide Bewerber gleichgültig.

Marie blieb dabei, daß sie die Freundin doch zu einem Entschluß bringe.

(Fortsetzung folgt.)




Der Wander-Professor deutscher Literatur.

„Nicht so vieles Federlesen,
Laßt mich immer nur hinein!
Denn ich bin ein Mensch gewesen,
Und das heißt ein Kämpfer sein.“

Mit diesen trotzigen Worten erzwingt sich ein Held Goethe’s Einlaß in den Himmel. Unser Prutz braucht so etwas gar nicht mehr zu sagen: er ist schon ein Stern am Himmel unserer Literatur, ein anerkannter, vom deutschen Volke verehrter Kämpfer und Wanderprediger, der von Stadt zu Stadt die ewigen Schätze unserer Literatur verkündet. Und ein Mensch ist er auch gewesen und ist es noch. Wir wollen uns das gesagt sein lassen, um nicht der ziemlich allgemein herrschenden Krankheit des Idealisirens und redensartigen Aufputzens unserer Helden zu verfallen.

Robert Prutz ist bekanntlich einer der gefeiertesten Literatur-Rhapsoden unserer Zeit und arbeitet so mit seinen Genossen, außer für die Gegenwart, noch viel segensreicher für die Zukunft. Er schöpft seine Stoffe aus den Schätzen des achtzehnten Jahrhunderts, das die ewige kräftige Quelle des unsrigen, des neunzehnten, ist. Aus diesen reichen wissenschaftlichen und idealen Schätzen des achtzehnten Jahrhunderts aber vermögen wir vielleicht allein die wahren Mittel zur neuen Erhebung unserer tief in Materialismus versunkenen Zeit zu gewinnen. Und gerade deshalb erscheinen mir die Vorträge von Robert Prutz für die großen Massen aller Stände von so großer Wichtigkeit und versprechen einen Segen, der erst gewürdigt und genossen werden mag, wenn die ausgestreuten Saaten als gereifte Früchte zur Volksnahrung werden und wieder und wieder gesäet auf gebildeterem Boden immer reichlichere Früchte tragen.

Wie ist er’s geworden? Eine lange Leidensgeschichte wie die unserer meisten Kämpfer des neunzehnten Jahrhunderts. Er sieht eben so beleibt und beliebt aus, wie Fritz Reuter und Karl Vogt. Aber wer ihn im vorigen Winter mühsam die paar Stufen auf die blumenbekränzte Rednerbühne zu Berlin wanken sah, merkte wohl, daß dieser kräftige Bau in seinen Grundpfeilern bereits erschüttert war. Aber welch’ ein Triumph! Eine dichtgedrängte Schaar, stehend und sitzend und sich durch die nicht verschließbaren Thüren drängend, freudig begrüßend und Wort für Wort eifrig und andächtig lauschend – dieselben begeisterten Schaaren in Stettin,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 228. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_228.jpg&oldid=- (Version vom 9.4.2019)