Seite:Die Gartenlaube (1870) 214.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

bilden den Kern der Opposition, und sie werden darin von ihren Diöcesanen, von den Laien, wie von den Geistlichen und den theologischen Facultäten der Universitäten, kräftig unterstützt. Sie haben vielleicht von allen Bischöfen allein eine Nation hinter sich, wo die große Masse der Gebildeten an den in Rom behandelten Fragen mit einigem Verständniß Antheil nimmt, wo sich inneres Interesse am Gegenstande regt. Sie vertreten das Volk, das seit dem Mittelalter in kirchlichen Angelegenheiten die Hauptrolle in Europa gespielt hat, das Land, in dem fast allein noch die katholische Theologie eine Wissenschaft genannt zu werden verdient, und sie repräsentiren, siebenundsechszig an der Zahl, nicht weniger als sechsundvierzig Millionen Katholiken. Und diese siebenundsechszig deutschen Bischöfe sollen nicht mehr Stimmrecht haben, kein größeres Gewicht in die Wagschale werfen, als z. B. ein italienischer Bischof oder einer derer in partibus Infidelium, der eine zerstreute, oft ganz uncivilisirte, halbwilde Bevölkerung in seiner Diöcese hat und eine in jeder Beziehung von Rom abhängige Person ist. Die siebenundzwanzig Millionen Italiener aber sind nach officiellem Katalog vertreten durch zweihundertsechsundsiebenzig Concilsmitglieder, und der Erzbischöfe und Bischöfe in partibus sind hier hundertzwanzig. Nächst Deutschland ist Frankreich dasjenige Land, wo Katholicismus und Bildung im höchsten Grade vereinigt sind, und ganz übereinstimmend damit stellt es auch das zweitgrößte Contingent zur Opposition.

Es ist demnach auch in öffentlichen Blättern wie von den betreffenden Bischöfen selbst geltend gemacht worden, daß eine reine Abstimmung nach Köpfen im höchsten Grade ungerecht sei, daß man vielmehr das Uebergewicht der Bevölkerung und der Bildung in den einzelnen Diöcesen berücksichtigen müsse. Natürlich ganz umsonst. Die „Civiltà cattolica“, das maßgebende Jesuitenblatt in Rom, antwortet darauf in ihrer neuesten Nummer: „es sei unerhört, diese moderne Zahlentheorie in die Kirche hineinzutragen; nur durch das göttliche Mysterium der Weihe seien die Bischöfe befugt, ihre Stimme abzugeben, und da diese Weihe überall dieselbe sei, so wiege auch die Stimme Aller gleich, es habe also der Bischof von Frosinone mit seinen siebenzigtausend Diöcesanen geradeso viel Bedeutung wie der Erzbischof von Köln mit nahe zwei Millionen.“ –

Immer und immer wieder machen sich die Mängel der vom päpstlichen Architecten Ritter Vespignani erbauten Aula des Concils in der Peterskirche geltend. Man kann für die Rednertribüne trotz aller Versuche, trotz aller Ueberspannungen mit Tüchern und Tapeten keinen Platz finden, von dem aus sich der Sprechende nach allen Seiten hin verständlich machen könnte. Natürlich verschleppt und verzögert dieser Umstand die so wie so schon allzu sehr in’s Breite verlaufenden Unterhandlungen nur noch mehr. Die Opposition hat mehrere Male darauf gedrungen, einen andern Raum für die Debatten zu bestimmen. Umsonst! Pius der Neunte wünscht die Väter in seiner unmittelbaren Nähe zu haben und hat alle anderen Vorschläge zurückgewiesen. Das Cardinalspräsidium ist nun in der Generalcongregation mit folgendem naiven Antrage aufgetreten: „Die Väter studiren vorher die ihnen überlieferten Vorlagen nebst ihren Begründungen; diejenigen, welche mit einzelnen Punkten derselben nicht übereinstimmen, schreiben ihre Bedenken auf und übergeben diese Schriftstücke dem Secretariat, woselbst sie zur Einsicht für die übrigen Mitglieder des Concils offen liegen. In der Aula selbst wird gar nicht mehr gesprochen, sondern blos abgestimmt.“ Diese summarische Verhandlungsweise, mit der man alle unbequemen Redner beseitigt und die Versammlung dem Eindrucke des gesprochenen Wortes eines Stroßmayer, Dupanloup u. A. entzieht, schien den Herren der Curie einen günstigeren Erfolg zu versprechen, als sie bisher gehabt haben. Indessen ist diese arge Demüthigung durch die Thätigkeit der Liberalen, besonders Stroßmayer’s, vom Concil noch in letzter Stunde abgewendet worden. Man hatte einige Tage vorher Kunde davon erhalten, und der erwähnte Bischof setzte Alles daran, die Opposition zur Verwerfung dieser Maßregel zu bestimmen. Er war den ganzen Tag unterwegs, um die einzelnen Mitglieder aufzusuchen und ihnen das Gefährliche dieses neuesten Jesuitenreceptes vorzustellen, ja er wußte im Verein mit anderen hervorragenden Häuptern des Concils selbst einige von der Rechten für seine Ansicht zu gewinnen. So kam es denn zu einer stürmischen Sitzung, deren Ergebniß die Ablehnung des Antrags der Cardinäle und somit ein bedeutungsvoller Sieg der Oppositionspartei war. Dagegen wird man fortfahren, in der Aula zu verhandeln.

Stroßmayer, der Bischof von Bosnien, Syrmien und Croatien, ist eine in Oesterreich wohlbekannte Persönlichkeit und hat hier in Rom, wo sein Name anfangs gegen die vielgenannten von Dupanloup und Maret zurücktrat, sich in kurzer Zeit den höchsten Haß der herrschenden Partei und die begeisterte Bewunderung der freisinnigeren Elemente des Concils wie der Stadt erworben. Er ist ebenso geschickt als Parteiführer wie als Redner bedeutend. Wo es gilt, die widerstrebenden Richtungen zwischen den verschiedenen Nationen der Liberalen auszusöhnen, die gesammte Opposition für eine wichtige Frage zu einigen, da ist es die unermüdliche Arbeitskraft und die feine diplomatische Kunst, die gewinnende Persönlichkeit und das tactvolle Benehmen des Croatenbischofs, dem diese Herculesarbeit gelingt. Als Redner erhält er selbst von den Franzosen trotz Dupanloup die Palme. Er soll die lateinische Sprache mit einer Gewandtheit und Kraft handhaben, wie nur ein Redner sich in seiner eigenen Muttersprache auszudrücken vermag. Uebrigens ist er wohl der Einzige in der Versammlung, welcher für die Sache, die er vertritt, seine ganze Stellung in die Schanze schlägt. Wie er mit den maßgebenden römischen kirchlichen Kreisen auf das Tiefste verfeindet ist, so steht er nicht minder als ein gehaßter Gegner der österreichischen Regierung da. Denn der Bischof ist zu Hause eifriger Verfechter des Panslavismus, und obwohl von deutschem Namen, vertheidigt er die „Rechte“ der croatischen Nation, die er so unabhängig von Oesterreich wie die ungarische wissen will, mit gleicher Hartnäckigkeit wie etwa Rieger in Prag diejenige der Böhmen. Von seiner kirchlichen wie weltlichen Regierung gleich gefürchtet und gehaßt, stützt er sich lediglich auf die Anhänglichkeit und Liebe seiner Nation, deren Cultur und Gesittung zu heben sein Lieblingsgedanke ist. Für die Volksschulen in Croatien ist er in außerordentlicher Weise thätig gewesen, und nicht minder ist er bemüht, seinem noch etwas wilden Volke durch die Kunst Gesittung zu geben. Er ließ schon vor Jahren von dem jetzt verstorbenen Overbeck die Cartons zur Ausschmückung der Wände einer neuerbauten Kirche in Slavonien zeichnen, und er beabsichtigt, ein croatisches Nationalmuseum zu stiften, für welches er augenblicklich in Rom bei Antiquaren und Bilderhändlern trotz aller sonstigen Arbeiten noch bedeutende Ankäufe zu machen weiß. Noch in den letzten Wochen hat er für zwanzigtausend Gulden alte Bilder italienischer Meister erworben.

Wie Stroßmayer unstreitig die bedeutendste Persönlichkeit unter den deutsch-österreichischen Bischöfen, so ist Felix Antoine Philibert Dupanloup der Heros der französischen Prälaten. Auf kirchlichem wie social-politischem Gebiet hatte er sich schon vor dem Concil einen bekannteren Namen erworben als Stroßmayer. Als achtjähriger Knabe schon kam er nach Paris, wo er nicht blos seine Schulbildung genoß, sondern auch später die Universität besuchte und 1825 die Priesterweihe empfing. Der junge Geistliche verkehrte in feinen Kreisen und war wegen seines eleganten Witzes und chevaleresken Benehmens in der vornehmen legitimistischen Pariser Gesellschaft bald eine bekannte Persönlichkeit. Der Herzog von Bordeaux, der ihn kennen lernte, bestimmte ihn zu seinem Beichtvater und zum Lehrer und Erzieher des jungen Prinzen von Orleans. Als Ludwig Philipp den Thron von Frankreich bestieg, machte Dupanloup schnelle Carrière; er wurde 1837 Vorsteher des kleinen Priesterseminars und 1841 Professor der geistlichen Beredsamkeit an der Sorbonne. Hier geschah es jedoch, daß der junge Lehrer während einer Vorlesung Aeußerungen über Voltaire und seine Zeit fallen ließ, die ihm den Unwillen und die Erbitterung der Zuhörer wie der meisten seiner Collegen in so hohem Grade zuzogen, daß Ludwig Philipp selbst ihn nicht mehr zu halten wagte. Er trat von seinem Posten zurück und lebte eine Zeit lang fast lediglich seinen Studien, die er hauptsächlich im Fache der Pädagogik anstellte.

Im Jahre 1849 sehen wir ihn plötzlich zum Bischof von Orleans ernannt, in welcher Diöcese er sofort mit rastloser Thätigkeit in seinem Sinne wirkte. Er gründete eine Musterschule für die Heranbildung von Lehrern, griff in die socialen Verhältnisse seiner Diöcese energisch ein und vermehrte sein Ansehen unter den katholisch-legitimistischen Kreisen in Frankreich derart, daß selbst Napoleon der Dritte ihn bald als eine Persönlichkeit anzuerkennen sich gezwungen sah, die man nicht einfach beseitigen könne, sondern mit der man zu rechnen habe. 1865 schrieb er: „La convention du 15 sept.“ und „l’Encyclique du 8 déc.“, Werke, welche ihm in Rom hohes Lob eintrugen, ihn als Vertheidiger des berühmten

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_214.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)