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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


Leider haben derartige Signale den großen Fehler, daß sie, besonders die elektrischen, zu künstlich und empfindlich und deshalb fortwährend Beschädigungen ausgesetzt sind.

Aus diesen und andern Gründen haben dergleichen Signale auch in Deutschland noch keinen Anklang gefunden, dagegen hat man bei uns eine alte praktische Vorrichtung wieder hervorgesucht und wieder angefangen, von der Dampfpfeife der Maschine aus eine Leine über den Zug zu legen. Da nun in Deutschland auch während der Fahrt eine leichtere Zugscontrole durch die an jedem Wagen befindlichen Laufbretter ausgeübt werden kann, als in England, so ist der Schaffner, wenn er eine Gefahr etc. bemerkt, zu jeder Zeit bei Sturm und Nebel von seinem Sitze aus im Stande, durch einen Ruck an der Leine mit der Dampfpfeife das Haltezeichen zu geben.

Das amerikanische Personenwagen-System, wobei man durch die Giebelseiten der Wagen durch den ganzen Zug gehen kann, macht dergleichen Signale, das letztere vielleicht ausgenommen, natürlich überflüssig; wir werden jedoch später darauf sowie auf den Personenverkehr und seine Einrichtungen zu sprechen kommen und wollen hier nur noch einer Erfindung gedenken, die gleichfalls in die Reihe der Sicherheitsvorrichtungen gehört, unter dem Namen eines Indicators versuchsweise auf der Köln-Berliner Bahn eingeführt worden ist und aus einem in oder unter dem Wagen angebrachten Apparat besteht, der durch eine Schnur mit einer der Achsbüchsen desselben Wagens in Verbindung steht. Alle Schwankungen während der Fahrt, denen der Wagen in Folge seiner Construction und, was das Wichtigste, durch die mehr oder weniger gute Beschaffenheit des Schienenstrangs unterworfen ist, werden von der Achsbüchse der Schnur mitgetheilt, die dadurch wie ein kleiner Treibriemen wirkt, Räder und durch diese wiederum einen Schreibstift in Bewegung setzt, der jede empfangene Schwankung auf einen durch die Wagenbewegung sich abwickelnden Papierstreifen in Form kleiner Zickzacklinien verzeichnet, die natürlich um so größer ausfallen müssen, je stärker die Schwankungen des Wagens waren. Da der eigentliche Schreibapparat auch in einem Coupé aufgestellt werden kann, so ist ein ihn überwachender Beamter im Stande, alle Wärterhäuser, Brücken, Tunnel, sogar die Meilensteine, welche der Zug passirt, mit einem Bleistift auf dem sich abrollenden Papierstreifen zu markiren. Mit Hülfe dieser Merkzeichen kann dann später jeder beliebige Punkt der Bahn, sogar jede einzelne Schiene aufgefunden werden. Ein zweiter durch ein Uhrwerk bewegter Schreibstift markirt außerdem die Zeit auf den Streifen, so daß auf demselben auch noch die Geschwindigkeit des Zuges auf jedem Theile der Bahn ersichtlich ist. Dem ähnliche Apparate sind auf der preußischen Ostbahn schon länger in Gebrauch und weisen nicht blos die auf jedem Theile der Bahn angewendete Zugskraft nach, sondern außer der Geschwindigkeit der Fahrt geben sie auch noch die Länge des Aufenthalts auf den Stationen an; sie controliren mithin die ganze Linie, während der erstere Apparat vorzugsweise die Beschaffenheit der Strecke controlirt und über jede schlechte Stelle derselben seine stumme Meldung macht.

Obwohl endlich alle Signale an den Eisenbahnen nur einen Hauptzweck erstreben sollen und in jedem Lande sehr leicht in ein System gebracht werden könnten, so trifft man doch auf keinem Felde menschlicher Thätigkeit mehr Abwechselung und schroffere Abweichungen an als gerade im Signalwesen.

Wir haben in Vorstehendem nur die hauptsächlichsten und wichtigsten in den drei großen Culturstaaten Deutschland, England und Frankreich angewendeten Sicherheitsvorrichtungen berührt, zum Theil uns aber auch an die in Sachsen gebräuchlichen gehalten, weil hier ein ungewöhnlich starker Verkehr die umfassendsten Sicherheitsmaßregeln bedingt, und haben damit dem freundlichen Leser einen Einblick in dieses Gewebe interessanter Erfindungen verschafft, welches sich, wenn er den Fuß in den Waggon setzt, sichernd um ihn her ausspannt und fast auf jeder Bahn sich ändert, weil beinahe jede Bahn ein anderes System hat. Deutschland mit seinen vielen Gesellschafts- und Staatsbahnen steht darin weder hinter dem dreieinigen England, noch hinter dem centralistischen Frankreich mit seinen einer eingehenden staatlichen Controle unterworfenen sechs großen Eisenbahngesellschaften zurück.

Nur wenige Signale haben eine allgemeine Geltung; so die Haltescheiben, deren volle Flächen ebenso wie die wagerecht vorgehaltenen Arme der Distancesignale und Semaphoren beinahe überall Halt gebieten, während die rothen, grünen und weißen Farben und die Signale der optischen Telegraphen die abweichendste Bedeutung haben. Dort erglänzen die richtig gestellten Weichen in rothem, da in grünem und hier in weißem Lichte; nur das blaue Licht hat man überall ausgeschlossen, weil es leicht mit dem grünen zu verwechseln ist und nicht weit gesehen werden kann. In Frankreich hat die Orleansbahn dieses und die Nordbahn jenes Signalsystem adoptirt, und letztere selbst wendet wiederum auf den einzelnen Bahnhöfen versuchsweise hier dieses und da jenes Untersystem an. Der große amerikanische Freistaat bewegt sich darin ebenfalls in buntem Wechsel. Es ist eben noch überall ein Suchen und Tasten nach dem Verläßlichen und Guten, ein ununterbrochener Wettstreit, der aber späteren Geschlechtern zu Gute kommt, denn es werden noch viele Jahre vergehen, ehe sich aus diesen tausendfachen Versuchen ein System Geltung erringt, das die besten Proben seines Werthes gegeben hat.




Kraft und Anmuth in der Mädchenschule.

Unter den Völkern christlicher Cultur sind es vor allen andern die Völker germanischen Ursprungs, welche dem Weibe in Haus und Familie eine freie und würdige Stellung eingeräumt haben. Diese Würdigung und Hochachtung der Familienmutter hat in der deutschen Erziehung die edelsten Früchte gereift, und in der That hat noch heute in aller Welt das Prädicat einer „echten deutschen Frau“ hohen und geweihten Klang. Dieselben Völker sind es auch, welche fort und fort mit großer Opferwilligkeit für eine allgemeine Volksbildung in die Schranken getreten sind.

Volksbildung ist Volksbefreiung und Volksbeglückung, so heißt die Parole unserer Tage, und ein intelligentes Volk ist auch ein starkes Volk. Regierungen und Gemeinden haben die tiefe Wahrheit dieser Aussprüche erkannt und deshalb für eine tüchtige Bildung der Jugend beiderlei Geschlechtes durch obligatorischen Unterricht gesorgt. Die Schule soll aber nicht mehr nur in einseitiger Weise den Geist herausreißen und darüber den Körper vernachlässigen, sondern Geistes- und Körperbildung sollen Hand in Hand gehen. Beiderlei Kräfte, geistige und körperliche, sind in harmonischem Einklange zu entwickeln und zu fördern. Der Geist des heranwachsenden Jünglings, bereichert mit nützlichen und schönen Kenntnissen, soll auch über einen frischen und gewandten Körper nach Willkür verfügen können. Dadurch werden dem Staate Bürger erzogen, die in den Zeiten des Friedens als ganze Männer ihre Stellung im beruflichen Leben ausfüllen und die in den Zeiten der Noth mit Freuden herbeieilen, um dem Vaterlande ein unverzagtes Herz und einen rüstigen Arm zur Verfügung zu stellen.

Die Wohlthat harmonischer Erziehung nach Leib und Geist ist aber nicht nur ein Privilegium des männlichen Geschlechtes, im Gegentheil, sie muß auch der weiblichen Jugend und zwar in noch höherem Maße zu Theil werden. Oder sollten unsere Mädchen, besonders die Bewohnerinnen von Städten, nicht auch unter dem Einflusse einseitiger Geistesbildung zu leiden haben? Gewiß! Wer kennt nicht die gesteigerten Anforderungen, welche, hervorgerufen durch den höheren Culturzustand der gesammten Nation, heutzutage an die Ausbildung der Mädchen gemacht werden? Bald sind es Sprachen, bald schöne Künste, welche neben den gesetzlichen Schulfächern die geistigen Kräfte der Mädchen in nicht geringer Weise in Anspruch nehmen. Zu all’ dem kommt noch die irrige Ansicht, als ob ein frisches, frohes Herumtummeln und Spielen der weiblichen Jugend den Begriffen von Sittsamkeit und Anstand diametral entgegengesetzt wäre. – –

Was muß also für die physische Ausbildung unserer Mädchen geschehen? Sollen sie denn auch turnen? Freilich! Turnen thut ihnen wahrlich noch mehr noth, als dem männlichen Geschlechte. Manche unserer verehrten Leserinnen werden zwar bedenklich den Kopf schütteln, weil sie beim Anhören des Wortes „Turnen“ in ihrer Vorstellung keine anderen Bilder finden, als Purzelbäume, Sprünge an Bock und Pferd, Schwünge an Reck und Barren und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 204. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_204.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)