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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

trug zum hundertsten Male die berühmte Geschichte vom Ausbruche des siebenjährigen Krieges vor; Marschner und Hofmeister machten die malitiösesten Witze, und Alles gestaltete sich vortrefflich bis auf den Moment, welchen ich als Knalleffect zur Schlußscene aufgespart hatte.

Von Karl Schrader, dem liebenswürdigen primo tenore unserer Leipziger Oper, jetzigem Inhaber des „hôtel Brandenbourg“ in Berlin, hatte ich nämlich schon zu Weihnachten ein Geschenk erhalten, bestehend in vier Flaschen uralten Rheinweins aus der bestrenommirten Kistner’schen Kellerei. Jetzt weiß ich mich nicht mehr auf Sorte und Jahrgang zu erinnern, aber als ich die Flaschen damals ansah, lachte mir das Herz im Leibe. Faustdickes Spinngewebe, eingenisteter Staub, halbhundertjähriger Moder lagerte auf ihnen, und der Schatz wurde ohne Weiteres zu fortwachsender antiquarischer Notabilität in den Keller befördert. Bei dieser feierlichen Gelegenheit sollte er nun gehoben werden. Als der Zeitpunkt gekommen schien, den Chateau Margaux zu überbieten, gab ich der aufwartenden Zofe einen Wink, worauf diese neue Gläser präsentirte und sich dann entfernte, um die von ihr bereits aus der Tiefe an’s Licht beförderten Ungethüme hereinzubringen. Unterdeß bereitete ich meine lieben Gäste in versificirter Ansprache auf das Ungeheure des Anblicks vor und während ich die Scheusale noch gräulicher ausmalte, als sie in Wirklichkeit waren, trat die Duenna in’s Zimmer und setzte vor mich hin die Präsentflaschen, deren Aussehen urplötzlich das Wort in meinem Munde ersterben ließ. Nach ihrem Princip „Reinlichkeit ist das halbe Leben“ hatte sie nämlich jedes Atom von Alterthum vernichtet, und auf dem Tische standen vier von Kopf bis Fuß blitzblank gescheuerte Bouteillen wie jene blaßgrünen Seejungfern, in denen der angenehme Säuerling „Kutscher“ eingeheimst zu werden pflegt. Marke, Siegel, Etikette – Alles war der modernen Cultur zum Opfer gefallen; vorsichtiger Weise hatte sie auch schon die Korke herausgezogen und neusilberne Stöpsel aufgesetzt. Es war der vollendete Nipptisch, und ich wurde gehörig ausgelacht. Zum Glück hatte sich weder Kistner noch Schrader anführen lassen und die Zungen konnten nachholen, was die Augen einbüßen mußten.

Mendelssohn fuhr am andern Morgen nach Weimar ab, von wo aus ich, datirt den 2. Juni 1830, nachstehenden Brief erhielt:

 Lieber Dorn
 oder lieber Herr Musikdirector
 oder lieber ......... (Zeichen der Unendlichkeit.)
Anbei erfolgt meine Sinfonie höchst pünktlich und zur bestimmten Zeit. Hoffentlich kann sie noch bis vorgestern ausgeschrieben, einstudirt und aufgeführt werden. Ernstlich zu reden aber bitte ich Sie sehr um Verzeihung, daß ich nicht mein Versprechen erfüllen konnte; Sie behaupteten es vorher zu wissen; das war aber nicht möglich, denn ich selbst war fest dazu entschlossen, fing in den ersten Tagen meines Hierseins die nöthigen Correcturen in meiner Partitur zu machen an und kam dabei so tief in’s Aendern hinein, daß ich im letzten Stücke einiges Neue hinzu und vieles Alte wegthun mußte. Auch dann wäre noch Zeit gewesen; aber da ließ mich der empfohlene Copist von Tage zu Tage sitzen und wenn ich nicht morgen mit dem Frühesten abreise, so glaube ich, es wäre noch nicht fertig; denn meine Drohungen mit Wegreisen u. dergl. helfen hier nichts mehr, wo ich statt vier beinahe vierzehn Tage geblieben bin. Ich schicke Ihnen nun dennoch die Sinfonie, erstlich um Sie zu bitten, sie sich noch einmal durchzusehen und sie unserem Freund Marschner mitzutheilen, ob ihm die Kürzungen im letzten Stücke genügen (wie ich hoffe), dann um Sie zu bitten, dieselbe, wenn Sie sie nicht mehr brauchen, was nur, leider fürchte ich, sehr bald sein wird, an meine Schwester, Madame Hensel, Leipziger Straße Nr. 3 in Berlin, entweder mit Gelegenheit oder mit Fahrpost unfrankirt zu senden, da ich ihr eine Abschrift versprochen und schon in einem Briefe angekündigt habe. Verzeihen Sie die Belästigung, indessen dachte ich mir es bis vorgestern immer vielleicht möglich, daß die Abschrift zur Zeit kommen könnte, und nun, da ich mir’s einmal vorgenommen habe, sie Ihnen zu schicken, kann ich es nicht lassen. Vielleicht ist es auch zu etwas gut, daß der Aufschub die Aufführung verhindert hat; denn mir ist nachher eingefallen, daß sich der Choral und alle Katholicismen im Theater doch sonderbar ausgenommen hätten; und eine Reformations-Sinfonie zu Pfingsten will auch nicht recht klingen. Kurz ich bin ein Optimist. Marschner bitte ich Sie recht herzlich von mir zu grüßen, ihm für seine Freundlichkeit und Güte und für die schönen Dinge, die er mich hat hören und genießen lassen, noch einmal meinen Dank zu sagen; sobald ich in München bin, schreibe ich ihm einen ordentlich langen musikalischen Brief. Leben Sie wohl und gedenken Sie freundlichst
 Ihres Felix Mendelssohn-Bartholdy.“

Das habe ich auch gethan, des lieben Briefstellers stets freundlich gedacht, mit steigender Bewunderung, und bin leider doch in der letzten Periode, ohne eigenes Verschulden, zur Opposition gezählt worden! Vorher aber traf ich ihn in Leipzig, als ich – von Riga aus – diesen Schauplatz früherer Wirksamkeit auf der Durchreise nach Köln wieder betrat. Mein erster Besuch galt demjenigen Schüler, welchen ich 1832 als Student inmitten des doppelten Contrapunktes verlassen hatte, und den ich nun als Doctor und jungen Ehemann am Geburtstage seiner Frau, welche früher gleichfalls Unterricht bei mir genommen, überraschte.

Am 13. September 1843 feierte Robert Schumann das Wiegenfest seiner Clara, und ich erschien als improvisirter und selber nichts ahnender Gast zum Frühstück, wo ich auch Mendelssohn nach dreizehn Jahren wiedersah, und wo ich außer ihm noch David und Grützmacher antraf. Nachdem wir uns an reichbesetzter Tafel gehörig ausgesprochen, oder, wie es speciell mit Schumann heißen müßte, „ausgeschwiegen“ hatten, kamen die musikalischen Genüsse an die Reihe. Schumann überraschte seine Gattin mit einem neuen Trio, welches sofort executirt wurde, und Mendelssohn brachte ihr zum Geschenk das Frühlingslied als Manuscript und trug es auch dort zum erstenmal vor. Dies wunderbar schöne Stück ist die Perle in dem fünften Heft seiner „Lieder ohne Worte“, dem zweiundsechszigsten Werke, welches er bekanntlich „der Frau Dr. Clara Schumann geb. Wieck“ widmete. Damals enthusiasmirte es den kleinen Hörerkreis so gewaltig, daß der Componist sein Opus zweimal wiederholen mußte und daß es würdig den Abschluß der Feier dieses Vormittags bildete.

Am andern Tage war ich zu Tisch bei Kammerrath Frege. Sein Sohn, der jetzige Professor Frege, hatte zusammen mit v. Könneritz (dem jüngst verstorbenen Intendanten des Dresdener Hoftheaters) vormals, da sie Beide noch auf der Universität waren, Clavier- und Generalbaßstunden bei mir genommen, von denen wir uns alle Drei gemeinschaftlich in Abtnaundorf, dem nahe liegenden Gute des Kammerraths, zu erholen pflegten. Auch Woldemar Frege war nun bereits verheirathet und zwar mit einer früher berühmten Sängerin, mit Livia Gerhardt, die, anfänglich nur widerstrebend von der alten Patrizierfamilie aufgenommen, sehr bald durch ihre Liebenswürdigkeit und durch ihr Talent das Herzblatt der Schwiegereltern wurde und zuletzt den alten Herrn so für sich einnahm, daß sie ihn auf allen Wegen zu Fuß und Roß begleiten mußte. Aber diese treffliche Reiterin war noch unübertrefflicher als Liedersängerin; und wenn ich schon die Bemerkung machen konnte, daß die Frege’schen Diners nichts an ihrer früher mir bekannt gewordenen Vortrefflichkeit eingebüßt hatten, so ward uns doch jetzt durch den Nachtisch ein noch höherer Genuß geboten, denn Mendelssohn, welcher auch als Gast gegenwärtig, begab sich nun mit der von ihm hochgeschätzten Künstlerin an das Pianoforte, und wir schwelgten in dem Genuß seiner lieblichen Gesänge, zu deren geistvoller Auffassung Livia durch den Componisten selber angeleitet war. Beide blieben unermüdlich, bis uns der Herr Kammerrath sein Schwiegertöchterchen entführte, weil die Pferde gesattelt vor der Thür standen.

Am dritten und letzten Tage meines Leipziger Besuchs wurde mir wieder die Freude, mit Mendelssohn zusammenzutreffen. Dafür hatte mein lieber Freund, Advocat Petschke, der ältere der beiden talentvollen Brüder, gesorgt, welcher mit dem damaligen Dirigenten der Gewandhaus-Concerte und des Conservatoriums ganz intim geworden war; ich traf dort des Abends eine Gesellschaft, in der sich Mendelssohn so wohl zu fühlen schien wie ehedem als junger Mensch im Hause von Hannchen Zimmermann Berlinischen Andenkens. Petschke hatte mich ersucht, etwas von meinen Compositionen mitzubringen, und ich fand für einige Nummern des „Schöffen von Paris“ aufmerksame Zuhörer. Aber eine wunderbare Ueberraschung bereitete mir Mendelssohn. Als ich ihm die Arie des Königs vorgespielt, behauptete er das eine Thema schon zu kennen; ich räumte ihm gern ein, daß es Reminiscenz sein könne, daß sie mir jedoch unbewußt wäre. Damit indeß gab er sich nicht zufrieden sondern setzte sich nun an’s Pianoforte und spielte mir

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