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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Im Banne der Engelsburg.
II.
Oeffentliche und geheime Vorgänge im Concil. – Die Bannbulle. – Die Liste der Excommunicirten. – Gründung einer katholischen Universität. – Wie die geistlichen Herren in Rom fahren. – „Prälatenlatein“. – In der Peterskirche. – Der Monte Pincio und Pio Nono.

Obwohl das Concil bereits gegen anderthalb Monat in unsern Mauern tagt, obwohl die klerikalen Blätter nicht müde werden, die große und erhebende Einigkeit der Kirchenfürsten, welche an die der ersten Christen gemahne, zu preisen, haben die Väter doch noch gar nichts zu Stande gebracht. Zwanzig Generalcongregationen (d. h. Versammlungen der Prälaten ohne den Papst, unter dem Präsidium von fünf Cardinälen) haben stattgefunden, wichtige Vorlagen in Sachen des Glaubens, größtentheils scharfe Verdammungsurtheile der neueren Philosophie, wurden gemacht und besprochen, aber das Resultat war, daß man dieselben der dazu constituirten Commission mit Gegenanträgen versehen zur Umänderung zurückschickte, und daß die auf das Epiphaniasfest angesagte zweite „öffentliche Sitzung“, in der man feierlich abstimmen und die Decrete oder Canones durch den Papst sanctioniren wollte, blos als eine leere Formalität abgehalten wurde, in der die Väter das gemeinsame Glaubensbekenntniß aussprachen. Darauf sind andre minder wichtige Dinge, die geistliche Disciplin betreffend, der Versammlung zur Berathung übergeben worden. Mit ihnen beschäftigt man sich in den gegenwärtigen Sitzungen.

Dies ist im Ganzen und Großen bis jetzt die öffentliche Geschichte des Concils. Wichtiger aber sind die Vorgänge, welche heimlich, unter den einzelnen Parteien und unter den einzelnen Mitgliedern sich begeben. Sie sollen freilich den Augen und Ohren des Publicums sorgfältig entzogen bleiben; trotzdem dringt das Eine und Andere, dieses und jenes in die Oeffentlichkeit, man stellt zusammen, man vergleicht, man zieht Schlüsse, man erräth und kommt manchmal wirklich, zwar langsam, aber im Ganzen doch sicher auf die eigentliche Wahrheit, wie es denn längst kein Geheimniß mehr ist, daß man sich jetzt, während in den Sitzungen Dinge von secundärer Bedeutung verhandelt werden, im Getriebe der Parteien mit der ernstesten Angelegenheit des Concils, mit der Infallibilitätsfrage, eifrig genug beschäftigt.

Eine That indeß, die viel von sich hat reden machen, ist bis jetzt in der conciliarischen Stadt vollbracht worden, und wenn sie auch nicht vom Concil ausgegangen ist, sondern vom Papste selbst, so steht sie doch in unmittelbarem Zusammenhange mit der Einberufung der Versammlung, für deren Thätigkeit sie gleichsam einen Fingerzeig geben soll. Ich meine die Publicirung der päpstlichen Bannbulle. Eines schönen Morgens sah man in den Straßen und Plätzen Roms, an den Häuserecken eine Monstre-affiche angeschlagen, mit dem päpstlichen Siegel darunter und von einem Haufen neugieriger Leser umstanden. Das Actenstück gab sich denn bald als eine „Begrenzung der geistlichen Censuren“ zu erkennen, und man gewahrte mit seltsamem neugierigem Staunen, daß man vor einem Compendium mittelalterlicher Bannstrahlen stand, von denen mehr als einer den andächtigen Leser niederzuschmettern geeignet war. Aber nicht etwa conservativ, nein vielmehr höchst liberal und der Neuzeit Rechnung tragend meint Pius IX. in dieser Bulle zu erscheinen.

Er meint das und versichert wirklich im Anfang der Bulle, daß mit der Zeit die Zahl der einzelnen Fälle, auf welche die Excommunication zu erfolgen hat, zu sehr angewachsen sei, und daß daher durch diese Bulle diejenigen Vergehen namhaft gemacht werden sollten, auf die allein jetzt noch die oberste Kirchenstrafe d. h. die Ausstoßung aus der Gemeinschaft der Gläubigen, Anwendung haben darf. Aber kaum daß man sich durch diese Vorrede etwas erleichterten Herzens fühlt, so erkennt man beim Lesen der nächsten Zeilen schon das sichere und unausbleibliche Verderben. Denn gleich der erste nun folgende Paragraph excommunicirt so ziemlich die ganze gebildete Welt. Er lautet: „Alle vom christlichen Glauben Abgefallenen, alle Häretiker, mit welchem Namen sie auch genannt werden, und welcher Secte sie angehören mögen, Alle die ihnen glauben, die sie aufnehmen oder begünstigen, und überhaupt Alle, die dieselben vertheidigen, sind excommunicirt.“ Man sollte meinen, nach diesem so umfassenden Paragraph bliebe nur noch eine geringe Nachlese übrig, indeß folgen noch vierundvierzig andere Paragraphen, welche innerhalb des übrig gebliebenen, wie man meinen sollte, frommen und echt katholischen Häufleins der Gläubigen aufräumen. Davon theile ich Ihnen nur einige der interessantesten Paragraphen mit.

So trifft die ewige Strafe Alle, welche von den Geboten und Befehlen des regierenden Papstes an ein „allgemeines ökumenisches Concil“ appelliren – eine schöne Ermunterung für die Katholiken, welche vom Concil als der obersten Kircheninstanz etwas erwarten, und ein deutlicher Wink für die Väter, die Stellung klar zu erkennen, die sie Pius dem Neunten gegenüber einnehmen sollen – ferner Alle, welche „unter Anrathen des Teufels“ Klerikern, Mönchen oder Nonnen irgend welche Gewalt anthun“, die „ein Duell ausfechten, oder unterstützen, und zwar auch wenn sie königlichen oder kaiserlichen Ranges sind,“ die Freimaurer und Carbonari, sowie Alle, die denselben irgendwelche Gunst ertheilen und die „ihre verborgenen Koryphäen und Führer nicht denunciren“. So wird denn mit diesem Satz schon zum zweiten Male in einer Bulle fast die gesammte christliche Welt aus den Pforten der alleinseligmachenden Kirche herausgejagt.

Es kommt nun die Reihe an diejenigen, welche „die Freiheit des geistlichen Asyls zu verletzen gebieten oder selbst mit frevlem Wagen verletzen“; die die Clausur der Mönche und Nonnen nicht respectiren, und zwar, welches Standes, Alters, Geschlechts sie auch sein mögen; diejenigen, welche Knochen und Reliquien aus den römischen Katakomben stehlen (wehe den vielen Unschuldigen Reisenden!), und so fort ein langer Katalog „geistlicher Verbrecher“. Schließlich kommt man noch einmal mit besonderer Aengstlichkeit und mit Hinsicht auf früher Erlebtes auf die Appellationen an Concile zurück und belegt eo ipso alle Universitäten, Collegien und Capitel mit dem Interdict, die es sich einfallen lassen, von den Weisungen des Papstes an eine zukünftige ökumenische Synode zu appelliren „Keinem der Menschen,“ so schließt dieses erschreckende Actenstück, „soll es erlaubt sein, diesem Blatte unserer Constitution zuwiderzuhandeln; wenn aber einer ein solches Attentat zu begehen unternehmen sollte, so möge er wissen, daß er damit den Zorn des allmächtigen Gottes und seiner beiden seligen Apostel Petrus und Paulus auf sich ladet.“

Ob dergleichen Dinge heutzutage noch gedruckt werden oder nicht – so mag Mancher denken – ist völlig gleichgültig, die Welt geht über solche machtlose und darum lächerliche Zornesergießungen zur Tagesordnung über! Das ist gewiß in vieler Hinsicht wahr. Aber die katholische Kirche zeigt durch Publicirung derartiger Schriftstücke doch offen an, wie sie in einem Lande verfahren wird, in dem sie zu derjenigen Stufe von Macht gelangt, welche sie von jeher als „zur freien und gesunden Bewegung der Kirche“ gehörig beansprucht hat.

Liest man dazu noch die Artikel der Civiltà cattolica, die in einer ihrer letzten Nummern glücklich herausgefunden hat, daß die „unwahre oder antikatholische Philosophie“ namentlich in Deutschland wuchere, wo alle Hörsäle von ihren Irrlehrern besetzt seien, und wo der Katholicismus wieder Terrain zu fassen und den „Verderbern der Wissenschaft“, Kant, Fichte, Schelling und Hegel, gegenüber wieder Herrschaft zu gewinnen suchen müsse, so wird man begreifen, was von jener „katholischen Universität“ zu erwarten steht, deren Gründung der hohe deutsche Clerus in unserem Vaterlande mit allen Kräften und Mitteln anstrebt.

Lassen Sie mich aber nach dieser Excursion wieder nach Rom zurückkehren, der Stadt, von der aus alle diese geistigen Bannstrahlen in die arme Welt hineingeschleudert werden, und die sich selbst doch am wenigsten darum kümmert. Der Römer genießt in vollen Zügen den Segen des Concils und läßt sich von Fremden gern erzählen, daß die Väter wahrscheinlich sehr lange die ewige Stadt mit ihrer Gegenwart beglücken würden, denn er selbst liest höchstens die Römische Zeitung, welche über das wichtige in ihren Mauern sich abspielende conciliarische Drama mit Beharrlichkeit schweigt, mit Ausnahme des sich ewig formelhaft wiederholenden Berichtes über die vergangene Sitzung, welcher lakonisch lautet: „Sitzung vom … Die Väter versammelten sich um neun Uhr.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_126.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)