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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


Am 30. Juli Nachmittags brach Herzog Wilhelm mit den Seinen von Halberstadt wieder auf. Nach schmerzlichem Abschiede von den Verwundeten marschirte das kleine Heer auf die Braunschweiger Straße. In Wolfenbüttel ward es glänzend empfangen, aber Braunschweig überbot sich selbst an Freudenbezeigungen beim Eintreffen des lange entbehrten Herzogs. Der Donner der Geschütze hatte die Kunde von den Vorgängen in Halberstadt zuerst bekannt gemacht; Alles war mit Recht stolz auf die kleine Heldenschaar, in der ein Geist lebte und wirkte, wie er selten gefunden wird in Reihen von Heeren, welche nach Hunderttausenden zählen.

Die nächste Folge des Sturmes auf Halberstadt war das Treffen bei Oelper. Wieder standen Deutsche Deutschen gegenüber. Der General Reubell commandirte fünftausend Mann. Zu gleicher Zeit rückten Holländer unter Gratien von Erfurt her an. Herzog Wilhelm mußte wieder angreifen, er mußte die Feinde wieder auseinandersprengen, die ihn niederwerfen und fangen wollten, denn Jerome hatte an den Oberst Thielmann geschrieben: „Le Duc d’Oels me doit pas nous échapper.“ Er entwischte aber doch, und selbst Napoleon sagte, als er die Nachricht von dem Treffen bei Oelper erhielt: „C’est un vaillant guerrier, je voudrais bien connaître ce petit héros.“

Die Schicksale der Freischaar hier weiter zu verfolgen und zu beschreiben, verbietet der Raum, auch sind sie im Allgemeinen bekannt genug. Der schwarze Herzog, der sein Land durch die Schlacht bei Leipzig wiedererhalten hatte, regierte zu kurz und unter zu schweren Zeiten, als daß er selbst mit dem besten Willen im Frieden bedeutend hätte wirken können. Ihm war es bestimmt, auf dem Schlachtfelde zu enden. Er fiel am 15. Juni 1815 bei Quatrebras.

G. Hiltl. 




Eine Theaterprobe.

Hercules, einer der berühmtesten Heroen der griechischen Fabelwelt, hat die ihm aufgebürdeten zwölf Strafarbeiten mit ziemlicher Leichtigkeit vollbracht. Hätte Eurystheus ihm das Einstudiren eines sogenannten „Ausstattungs-Stückes“ an einem großen Residenztheater als dreizehnte Aufgabe gestellt, wer weiß, ob die Kraft des Ahnherrn der Herakliden sich nicht daran gebrochen hätte.

Von der Mühe und Arbeit unter Anspannung aller Kräfte, von der Menge der Verdrießlichkeiten, des Aergers und wiederum der Langmuth und Geduld, die beim Einstudiren einer „Féerie“, wie das echte Zauber- und Spectakelstück in der Kunstsprache heißt, mit in den Kauf geht, hat die große Mehrheit der Theaterbesucher keine Ahnung. Eine einzige Scene wird oft zwanzig Mal wiederholt, bevor Alles in ihr, nach dem technischen Ausdrucke, „klappt“. Aber auch manche heitere Scene spielt sich bei solchen Proben ab und Manches, wovon des Sängers Höflichkeit zu schweigen hat.

Wir wollen es versuchen, eine solche Theaterprobe anschaulich zu machen, obgleich die minutiöseste Beschreibung hinter der Wirklichkeit immer noch weit zurückbleiben wird. Zuvor geben wir in Kürze ein Verzeichniß derjenigen Personen, die für einen theatralischen Flitterstaat erforderlich sind; wir greifen zu diesem Zwecke aus der Reihe der Berliner Bühnen das Victoria-Theater heraus, und nun höre und staune man, wer und was Alles aus einem einzigen Directionssäckel Gagen und Gehalt bezieht: Dramaturg, Ober-Regisseur, Theater-Arzt, Syndicus, zweiter Regisseur, Cassen-Rendant, Bureau-Vorsteher, Buchhalter, Inspicient, Cassirer, Bibliothekar, Haus-Inspector, Requisiteur, Orchesterdiener, Cassendiener, Theaterdiener, Capellmeister, Concertmeister, Ballet-Dirigent, Orchester-Mitglieder, Souffleur, Haus-Statisten, Logendiener, Decorationsmaler, Farbenreiber, ein Hof-Friseur mit vier Gehülfen, Maschinenmeister, Theatermeister, Schnürmeister, Beleuchtungs-Inspector, Dirigent der elektrischen Apparate, Illuminateure, Schlosser, Klempner, Tischler, Zimmerleute, Asphaltarbeiter, Ober-Garderobier und Garderobiere mit zwanzig Gehülfen und Gehülfinnen, Theater-Feuerwerker, Hülfsarbeiter, Gärtner, Portier, Fegefrau und Nachtwächter.

Dazu kommen: Dramatische Künstler und Künstlerinnen, zweiundzwanzig an der Zahl, der größte Theil dotirt mit bedeutenden Gagen, Chorpersonal, bestehend aus vierzig Mitgliedern, Balletmeister, acht Solotänzerinnen, vierundzwanzig Tänzerinnen vom Corps de Ballet, hundert Figurantinnen und dreißig Ballet-Eleven.

Außer diesen Gagen und Gehältern braucht das Victoria-Theater an Extra-Ausgaben für Zeitungsannoncen, Zetteldruck, Säulen-Anschlag, Beleuchtung etc. täglich vierzig Thaler. Der Selbstherrscher eines solchen kostspieligen Staates muß, wenn er keinen Zaubersäckel hat, bei seinen Stücken die Goethe’schen Worte beherzigen:

„Drum schonet mir an diesem Tag
Prospecte nicht und nicht Maschinen!
Gebraucht das groß’ und kleine Himmelslicht,
Die Sterne dürfet ihr verschwenden,
An Wasser, Feuer, Felsenwänden,
An Thier und Vögeln fehl’ es nicht.“

Glückt es dem Director, sein Stück dem Geschmacke des großen Publicums anzupassen, dann trifft auch ein, daß

„… wie in Hungersnoth um Brod an Bäckerthüren,
Um ein Billet das Volk die Hälse bricht.“

Dann kann er „wegen der großen Kosten“ erhöhte Preise eintreten lassen und die Billethändler machen nebenbei noch brillante Geschäfte.

Wir wollen hier eine Theaterprobe schildern. Was muß aber mit einem Stücke erst Alles geschehen, bevor es zur ersten, der sogenannten Arrangir-Probe gelangt! Versuchen wir dies unsern Lesern einigermaßen klar zu machen. Zuerst geht das vom Dichter der Direction eingereichte Stück durch das Fegefeuer eines Prüfungs-Comité’s; wird es von diesem als schlackenrein befunden, so wandert es zum Rollenschreiber; dann folgt eine Conferenz zwischen Director, Dramaturg, Verfasser und Regisseur wegen Besetzung der einzelnen Partien, darauf Leseprobe unter Vorsitz des Ober-Regisseurs, wobei jeder Schauspieler seine Rolle in geordneter Scenenreihe abliest. Nach der Leseprobe hat sich der Verfasser erst einiger Privat-Scenen zu erfreuen. Er will sich entfernen, doch der zweite Liebhaber hält ihn zurück, zeigt ihm ein Heft und redet ihn an: „Haben Sie diese Rolle für mich geschrieben? Wissen Sie, Herr! daß ich in Anclam den Othello und in Züllichau den Franz Moor gespielt habe? – Und mir eine Rolle von vier Bogen? – Hört mich und dann geht heim,“ declamirt er aus Shakespeare; „mir ist Verräthers Urtheil heut’ gesprochen, und dies giebt mir den Tod.“ Noch einen Blick tiefster Geringschätzung wirft er auf den Dichter, dann geht er mit Heldentritt ab durch die Mitte. Von der andern Seite kommt die niedliche Soubrette und bittet gar süß: „Ach, lieber Herr Doctor, schreiben Sie doch ein Liedchen für meine Rolle. Fräulein Süßmund hat eine große Bravour-Arie und ich gehe musikalisch ganz leer aus.“ Der Dichter verspricht galant dem Wunsche nachzukommen und verschwindet eiligst.

Nach acht Tagen ungefähr legen die Decorationsmaler ihre Skizzen und der Maschinenmeister seine Modelle dem Director vor, der Gardrobier nimmt Maße zu den drei- bis vierhundert neuen Costümen, die Modewaaren-Handlungen senden Proben ihrer Wollen-, Sammet- und Seidenstoffe an die Direction, Gold- und Silbertressen werden herangefahren und die Fingerchen einiger Dutzend Nähterinnen in Bewegung gesetzt. Der Componist arbeitet Tag und Nacht, um liebliche Melodien, rauschende Märsche und sinnenbestrickende Tänze zu erfinden, die Notenschreiber arbeiten sich an den Orchester-Stimmen die Finger wund, durch Aufrufe in den Zeitungen werden achtzig junge und „wohlgebaute“ Mädchen zur Mitwirkung verlangt; es melden sich aber deren wohl tausend. Diese Mädchen werden nun in kleinen Trupps nach dem Theater-Bureau beschieden und einzeln gemustert. Der Dramaturg, ein früherer Arzt, vertritt hierbei die Rolle der „Probirmamsell“. Die erste ist ihm zu klein, die zweite zu groß, die dritte zu jung, die vierte zu alt, die fünfte zu rund, die sechste zu eckig, die siebente endlich hat das Glück, vom Secretär in die Liste der Mitwirkenden aufgenommen zu werden.

Ist nach einigen Wochen das nöthige Contingent herausgefunden, so werden sämmtliche achtzig Mädchen dem Balletmeister als Rohmaterial überliefert, um Figurantinnen daraus zu formen, nebenbei bemerkt, eine der schwierigsten Aufgaben bei der ganzen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 120. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_120.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)