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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Das Breite, Harsleber und Kühlinger Thor lagen den Angriffen der Schwarzen gegenüber, aber auch die entfernt liegenden Thore wurden besetzt. Da Halberstadt eine alte Ringmauer mit Brustwehr, sowie verschiedene Mauerthürme besitzt – Befestigung aus dem sechszehnten Jahrhundert – so blieb es immerhin für die Schwarzen eine gefährliche Aufgabe, die Stadt zu stürmen, welche durch eine doppelt so starke Schaar, als der Angreifer in’s Feld stellen konnte, und durch Mauerwerk vertheidigt und geschützt wurde. Aber unter dem Jubelruf der Mannschaften eröffnete Major Korfes den Angriff auf das Kühlinger Thor. Die zweite Colonne führte der Herzog in Person gegen das Harsleber Thor, mit hochgeschwungenem Säbel den anstürmenden Soldaten das Ziel des Tages weisend, ritt er kühn dem Feuer entgegen, welches von den Mauern auf die Schwarzen nieder knatterte. Herzog Wilhelm ließ zu gleicher Zeit zwei Compagnieen unter Capitain Rabiel gegen das Johannisthor vorgehen. Alle diese Colonnen wurden durch Züge von Uhlanen und Husaren unterstützt. Das Feuer ward von beiden Seiten immer heftiger, und die Schwarzen hatten hier offenbar den Vortheil, welchen das Geschütz gewährt, denn die fortwährend durch die Gassen zischenden Granaten hielten den Feind in Athem und Respect. Gleichwohl that Wellingerode vollkommen seine Schuldigkeit. Er war an allen Orten fast zugleich, und trotz des heftigen Feuers der Angreifer gelang es diesen nicht ein Thor zu sprengen. Man schoß sich an und vor den Thoren hin und her.

Leider floß viel deutsches Blut auf beiden Seiten, Verwundete und Todte lagen genug umher. Die Schatten der Nacht stiegen herauf – fast kein Mann der angreifenden Colonne ist unverwundet, das Geschütz wird nur noch matt bedient. Die beiden ersten Officiere des Schützencorps sind schwer verwundet, ebenso die Lieutenants von Döbell und Faber. Der Muth beginnt in Verzweiflung umzuschlagen – da gelingt es Major Korfes, dem das Pferd unter dem Leibe erschossen wird, durch einen glücklichen Schuß das Kühlinger Thor zu sprengen. Als es aufkracht, steigen die Jäger in die Lücke; fast zu gleicher Zeit hat Rabiel das Johannisthor gesprengt; von zwei Seiten dringen die Schwarzen vor, Geschrei, Feuer aus den Häusern, das Krachen der Granaten und die wilden Rufe der Hörner, das Alles rast durch die bisher so friedliche Stadt, auf dem Markte hinter dem Rathhause vereinen sich die beiden Colonnen der stürmenden Braunschweiger. Die Hauptstätte des Kampfes ist die Kühlinger Straße. Wellingerode hat auf dem Fisch- und Holzmarkte die Westphälinger in starken Trupps postirt, sie schießen rottenweise. Hier ist es, wo der Herzog, hoch zu Rosse, die Seinen auf’s Neue anfeuert. Die Reiterei jagt durch die Straßen, das Handgemenge wüthet, es ist fast chaotisch, denn schon beginnt die Dunkelheit Alles mit ihrem Mantel zu umgeben, nur das Aufblitzen der Schüsse zeigt, wo Freund und Feind steht, aber die Feuernden sind kaum noch zu erkennen. Die Reservetruppen Wellingerodes am Rathskeller waren, einige Hundert Mann stark, mit den Reitern des Herzogs stark im Gefecht geblieben, als sie endlich, da ihnen jede Unterstützung ausblieb, die Waffen streckten.

Von diesem Augenblicke an war die Straße ganz in den Händen der Schwarzen. Man drang in die Häuser, aus denen geschossen wurde, und es ist dann freilich hier manche Gewaltthat verübt worden, beklagenswerth, aber wohl zu entschuldigen, vielleicht gerade deshalb, weil die erbitterten Braunschweiger ihre Feinde als Deutsche erkannten, welche aus dem Hinterhalt auf sie Feuer gaben.

Ein sehr heftiger Kampf fand am Ausgange der Schmiedestraße statt. Hier mußte der Major Korfes erst durch Haubitzenfeuer die Westphälinger verscheuchen, die sich am Domplatze wieder stellten. Sie wurden jedoch auch von dort verjagt und streckten am Burchardithore die Waffen. Ehe dies geschah, brachten die Husaren unter Major von Schrader den Oberst von Wellingerode und den Stadtcommandanten Stockmayer als Gefangene ein. Die Officiere Brüder von Girrenald hatten Wellingerode, der sich verzweifelt wehrte, aus seinen Leuten herausgerissen. Als die Nacht vollends angebrochen war, erfüllte ein ungeheurer Lärm die Stadt. Die Marktplätze, die Gassen in deren Nähe, die Kirchen waren mit Soldaten aller Art, mit Sterbenden und Todten überfüllt. Wildes Geschrei, das Rollen der Wagen, der Hufschlag der Pferde, leuchtende Wachtfeuer und die Signalhörner, hie und da auch noch Geknatter von Gewehrfeuer bildeten das Nachspiel des blutigen Dramas, das sich in den Straßen der alten Stadt abgespielt hatte. Zwischen all’ diesem Lärmen tönten die Rufe: „Es lebe der Herzog! Es leben die Schwarzen!“ Leider war der Fischmarkt auch der Schauplatz einer grausigen That. Von den wüthenden Schwarzen ergriffen, ward einer jener unglücklichen Gensd’armen herangeschleppt und, da er sich weigerte um „Pardon“ zu bitten, unter schrecklichem Wuthgeheul niedergemetzelt. Aber erst am Morgen soll ein vorübereilender Uhlan dem Stöhnenden den letzten Stoß gegeben und ihn von seinen Qualen befreit haben.

Sehr muthig und einer bessern Sache werth, hatten die am Ausgange des Breiten Weges abgestellten Westphälinger gestritten. Sie hielten sich die ganze Nacht hindurch. Im Rücken das feste Thor hatten sie aus allerlei festen Gegenständen sich eine Barricade gebildet, und es gelang nicht, sie aus dieser Stellung zu vertreiben, obwohl die Schwarzen zwei Geschütze auffuhren. Hier wurden einem Officier der Braunschweiger die Beine schwer verwundet, und ein harmloser Bäckerlehrling büßte sein Leben ein, als er den Kopf auf die Gasse streckte, dem Kampfe zuzuschauen. Als die Westphälinger aus ihrer Verschanzung hervorbrachen, streckte eine Salve der Schwarzen viele von ihnen leblos nieder. Sie wurden jedoch erst am kommenden Morgen dahin gebracht, sich zu ergeben. Gegen sechs Uhr Morgens verstummte das Feuer. Allmählich öffneten sich die Thüren und die entsetzten Bewohner zeigten sich auf den Straßen. Es gab allerdings genug zu thun. Verwundete waren in Massen vorhanden. Nach der ersten Ruhe ging man an die Schätzung der Verluste. Das Regiment Wellingerode’s hatte sechshundert Mann verloren; die Braunschweiger zählten Vierhundert an Todten und Verwundeten. Viele ihrer Officiere lagen auf dem Platze, vierzehn von ihnen waren – zum Theil schwer – verwundet. Von den Gebliebenen gehörten drei der Artillerie an. Zweitausend Mann und achtzig Officiere fielen den Schwarzen als Gefangene in die Hände. Ein kleiner Theil war durch die Ausfallpforte in’s Freie gekommen und hatte diese Gelegenheit ergriffen, um bequem desertiren zu können. Nach dem Einstellen des Feuers und des Kampfes ruhten Sieger und Besiegte friedlich nebeneinander. Die Zahl der Schwarzen war ja viel geringer als die der Feinde, welche sie zu Gefangenen gemacht hatten.

Der dem Kampf folgende Tag war ein Sonntag. Aber alle Glocken schwiegen, die Kirchen waren nur für die Verwundeten geöffnet. Von allen Seiten fuhr man die Todten herbei; viele Lebende, welche sich versteckt hatten, kamen zum Vorschein, und das Volk beschäftigte sich damit, das Gepäck der Westphälinger zu plündern, welches man ihm preisgegeben hatte.

Während dies auf und in den Straßen und Häusern stattfand, spielten auf dem Rathhause sehr erregte Scenen. Besonders schwebte der Maire der Stadt in Gefahr, denn das Gerücht hatte ihn als einen begeisterten Anhänger der Franzosen gebrandmarkt. Es war die nächste Frage: was nun geschehen solle? Der wackere Herzog, der gegen Freund und Feind gleich menschlich verfahren war, mußte sich selbst sagen, daß er mit seiner kleinen Schaar, von Oesterreich verlassen, nicht weiter an große Erfolge denken könne. Er hatte männlich und ritterlich gestritten. Der Sieg gegen die Uebermacht, welche noch obendrein durch Mauern und Häuser gedeckt stand, hatte gezeigt, wie große Kraft diesen kühnen und braven Leuten innewohnte; das war aber auch das einzige Resultat des erbitterten Kampfes. Ein zweites mag vielleicht die Beschämung gewesen sein, welche viele Tausende empfinden mußten, wenn sie sahen, wie das kleine Heldenhäuflein dem Feinde preisgegeben ward, ohne daß sich die anderen Stämme zu seiner Rettung erhoben. Es gingen, wie gewöhnlich nach den Augenblicken des Glückes, allerlei kühne und hochfahrende Gerüchte umher. Man sprach von Angriff auf Kassel, Aufhebung des Königreichs Westphalen durch die Schwarzen; doch die Verständigen unter den Letzteren, an ihrer Spitze der Herzog, wußten, daß diese Pläne nur in den Köpfen der Exaltirten spukten, eine Exaltation, die aber sicherlich in späterer Zeit auch ihr Gutes hatte, denn als die Nation sich erhob, waren dergleichen Exaltirte nothwendig, sie hielten Alles für möglich und Alles durch die deutschen Waffen zu erringen. Gerade das führte sie zum Siege.

Herzog Wilhelm mußte darauf bedacht sein, die Freischaar möglichst glücklich weiter zu führen auf dem gefährlichen Marsche, und nach dem blutigen, siegreichen Tage von Halberstadt zweifelte auch Niemand mehr daran, daß die Schwarzen sich glücklich durchschlagen würden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_119.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)