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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


Ein deutscher Prinz in Amerika.
Nr. 2.
Ritt über das Schlachtfeld. – General Sigel. – Unangenehme Begegnungen. – Prinz Salm und sein Brigadecommandeur. – Rencontre mit demselben.

Das Wetter war höchst unangenehm, denn es fiel mit eisigem Regen untermischter Schnee, und der Boden wurde schlüpfrig und schwierig. Ein breiter Bach mit steilen Ufern kreuzte unseren Weg. Die Prinzessin setzte mit einem ungeheuern Sprunge hinüber; aber da das eine Hufeisen meines Grauschimmels etwas lose war, so sprang er zu kurz und ich hatte mit ihm das steile Ufer hinaufzuklettern. Das lustige Lachen der Prinzessin verbesserte meine Laune keineswegs.

Wir ritten über das Schlachtfeld von Bull Run, welches einen schauerlichen Anblick darbot, mit welchem der bleifarbene Novemberhimmel trefflich harmonirte. Ueberall lagen zertrümmerte Laffetten, verbogene und verrostete Flintenläufe, nicht crepirte Bomben und weiße Pferdegerippe in Menge. Nicht selten ragte auch durch die dünne und abgewaschene Erddecke ein menschlicher Arm oder ein Bein, von welchen sich bei unserm Herannahen die Geier nur widerstrebend und mit schwerfälligem Flügelschlag entfernten.

Als der Abend herannahte, wurde es empfindlich kalt, und die Prinzessin, die wie Espenlaub zitterte, mußte nun doch meinen Mantel annehmen, den ich ihr jedes Mal angeboten hatte, wenn sie mich um das Glycerin für ihr „großes kleines Mund” bat, was ungefähr alle Viertelstunden geschah.

Um die Situation noch unangenehmer zu machen, führte uns unser Kundschafter in der Dunkelheit irre und es war neun Uhr Abends, als wir endlich in Gainesville anlangten, nachdem wir seit dem Morgen gut dreiundsechszig englische Meilen gemacht hatten. Hier in Gainesville hatte General Sigel sein Hauptquartier, und wir erwarteten dort den Prinzen zu finden, hörten aber sogleich bei unserer Ankunft, daß sein Regiment am Morgen abmarschirt sei, ohne daß man uns sagen konnte, wohin. Das ließ sich am besten von General Sigel selbst erfahren, und wir ritten nach dessen Hauptquartier. Die Prinzessin zog es vor im Sattel zu bleiben, und nur ich stieg ab und ging in das Haus.

Sigel und ich kannten uns von der badischen Revolution her. Ich habe in meinen „Erinnerungen“, die auch in Amerika nachgedruckt wurden, meine Ansichten über Sigel als Mann und General ausgesprochen und was ich darin sagte, ist durch seine Handlungen in Amerika auf das Ueberzeugendste bestätigt worden. Sigel ist ein braver, achtungswerther und wohlmeinender Mann, der durch wunderliche Verhältnisse an Stellen geschoben und mit Aufgaben betraut wurde, denen er durchaus nicht gewachsen war. Seit 1849 hatte ich ihn nicht gesehen und fand ihn nun in einem großen Zimmer vor einem behaglichen Kaminfeuer. Das Zusammentreffen mit mir schien ihn in Verlegenheit zu setzen und die Art, wie er mich empfing, contrastirte in fast komischer Weise mit dem Empfange Blenker’s. – Nachdem ich ihm den Grund meines Besuches mitgetheilt und erfahren hatte, daß Salm mit seinem Regimente in Aldy, dem äußersten Vorposten, stehe, fragte er: „Hm, – ja so – ist die Prinzessin draußen? – hm – ja wohl – so – dann wollen Sie wohl einen Paß? – Ja so – Lieutenant X., sagen Sie doch Asmus, daß er dem Obersten einen Paß giebt. – Ach – ja so – gute Nacht.“

Das war noch derselbe Sigel, wie ich ihn in Baden gekannt hatte, und halb amüsirt, halb ärgerlich folgte ich dem Officier in das Bureau, wo wir Sigel’s Generalstabs-Chef, Oberst Asmus oder Asmussen, fanden. Nachdem er gehört, um was es sich handele, rief er einem andern Officier zu: „Y., geben Sie dem jungen Mann einen Paß!“ – Ich mußte laut auflachen, denn der Oberst konnte mein Sohn sein, und ich erwiderte etwas, was ihn roth machte.

Die Prinzessin, die draußen im Regen gehalten hatte und an die Höflichkeit amerikanischer Generale gewöhnt war, mochte wohl auch ein wenig Höflichkeit von Sigel erwartet haben und schien etwas frappirt, daß weder er, noch irgend ein anderer Officier, den wir anredeten, von ihr Notiz nahm.

„Es wird nichts übrig bleiben, Prinzessin,“ sagte ich, „als daß Sie sich in meinen Mantel wickeln und in irgend eine Ecke legen, während Perkins und ich bei Ihnen Wache halten.“

Die Prinzessin beschloß, selbst mit der Besitzerin der großen Farm zu reden. Ich ließ sie am Feuer in der großen Halle, und es gelang mir und Warren genügende Fourage für unsere Pferde zu erhalten, die indessen im Freien übernachten mußten. Das sind übrigens die amerikanischen Pferde gewohnt. Ich kenne keine ausdauernderen, genügsameren und intelligenteren Pferde als die amerikanischen.

Als ich in die Farm zurückkehrte, hatte sich die Situation bedeutend geändert. Die Liebenswürdigkeit der Prinzessin hatte ihren Einfluß auf die Wirthin und deren Tochter nicht verfehlt; sie fand ein bequemes Zimmer, und auch ich und Warren erhielten ein Zimmer, mußten aber in demselben Bett schlafen. Daran mußte man sich während des Krieges in Amerika gewöhnen. Selbst in großen Gasthöfen erhielt man oft nur einen zweiten Platz in einem Bette angewiesen, und ich habe nicht selten mit Leuten geschlafen, deren Gesicht ich nicht einmal zu sehen bekam. In einer Farm auf der virginischen Halbinsel, am Pamunky – schlief ich acht Tage lang in demselben Bette mit einem Manne, der spät kam und vor Tag aufstand, so daß ich ihn auch nicht einmal gesehen habe.

Am 10. November 1862 brachen wir früh am Tage auf, um bei Zeiten Hoperell Gap zu erreichen, wo Generalmajor Stahel, welcher eine Division befehligte, sein Hauptquartier hatte. Stahel war ein lieber Freund von mir, und ich freute mich sehr darauf, ihn wiederzusehen.

Das Wetter war schön geworden, und wir erreichten schon bei guter Zeit sein Hauptquartier, welches in einem hübschen, auf einem kleinen Hügel gelegenen Farmhaus war. Er empfing uns auf sehr liebenswürdige Weise und bewirthete uns mit einem vollkommenen Frühstück, während wir unsere Pferde beschlagen ließen.

Auf unserem Weiterwege nach Aldy hatten wir einen Wald zu passiren und es schien mir, als ob wir eine Richtung einschlügen, welche uns direct in die feindlichen Linien führen müßte. Unser Kundschafter gestand denn auch ein, daß er nicht genau Bescheid wisse, da er seit Jahren nicht in diesem Theil von Virginien gewesen sei. Als ich vor uns im Waldweg ganz frische Spuren von Cavallerie sah, fing die Sache an mir sehr bedenklich zu werden, und meine Besorgniß wurde gleich darauf von zwei uns begegnenden Kindern bestätigt, welche uns sagten, daß White’s Reiterei nicht weit davon seitwärts im Walde stehe. Der Führer behauptete, daß dies nicht möglich sei; allein ich veranlaßte ihn, in einem Hause, welches wir in einiger Entfernung liegen sahen, nach dem Wege nach Aldy zu fragen. Als er dort hinkam, sah eine alte Frau zum Fenster hinaus, die seine Frage mit der Gegenfrage beantwortete: „ob er zu White’s Leuten gehöre?“ Er war klug genug das zu bejahen und sie sagte ihm, was er zu wissen wünschte. Ich hatte vollkommen Recht gehabt, wir ritten gerade auf den Feind zu, dem wir übrigens jeden Augenblick begegnen konnten. Der Kundschafter fing nun an sehr ängstlich zu werden, dann sagte er: „sie kennen mich und werden mich auf der Stelle aufhängen.“

Wenn ein solches Schicksal auch weder der Prinzessin noch mir drohte, so wäre doch eine Unterbrechung unserer Reise durch Gefangenschaft sehr unangenehm gewesen, und ich wandte alle mögliche Vorsicht an, ein solches Unglück zu verhindern. Zu diesem Zwecke ritt ich mit gespanntem Revolver etwa zweihundert Schritt voraus, um zu recognosciren; allein die Prinzessin rief mit durchdringender Stimme, daß man es eine Meile weit hören konnte „Corvi-i-in! reiten Sie nicht voraus, mein Pferd wird unruhig – oh!“ – Ich mußte über das „Oh!“ lachen trotz meinem Aerger und dachte: „man reitet nicht ungestraft dreiundsechszig Meilen, wenn man nicht ganz von Gummi elasticum ist.“ Ich beschwor sie, ruhig zu sein, aber sie sprach laut und sang sogar, als ob sie es darauf angelegt hätte, daß die Conföderirten uns hören sollten. Ich wurde am Ende ärgerlich, allein je mehr ich schalt, desto ausgelassener wurde sie. Ich war in der That sehr froh, als wir endlich die Chaussee erreichten, die nach Aldy führte, ohne den „Rebs“ begegnet zu sein.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 106. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_106.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)