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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

und der französische Emissär kamen gleichzeitig in Wien an, und der Prinz erfuhr ihre Ankunft am Vorabende des Stelldicheins mit dem französischen Cavalier. Bei Jünglingen in den zwanziger Jahren behält Liebe stets die Oberhand über den Ehrgeiz. Metternich, als routinirter Menschenkenner, wußte dies nur zu gut und hat damals sein Spiel gewonnen. Der Prinz erneute seine Bekanntschaft mit Marie, und da er sie noch immer so spröde fand, bot er ihr zuletzt seine Hand als Zugabe zu seinem Herzen an; der damit verbundene Titel einer Herzogin von Reichstadt blendete die junge Dame derart, daß sie in eine Heirath, welche einstweilen geheim gehalten werden sollte, willigte, und diese soll nach meines Gewährsmannes Joseph von Sz.m…ki Behauptung im Monat December des Jahres 1831 in einer Kirche der Vorstadt Wieden von einem Piaristen als Trauenden vollzogen worden sein.

Mittlerweile hatte der Prinz seine Verbindungen mit Paris nicht ganz aufgegeben, und da er seiner jungen Gattin vorläufig noch das Führen des Titels einer Herzogin nicht gestatten konnte, wollte er ihr einen größeren, den einer Kaiserin der Franzosen, geben.

Die nach dem Tode des Herzogs von Reichstadt ausgestreuten Gerüchte, als sei er in Folge seiner Ausschweifungen gestorben, erwiesen sich durchaus nicht stichhaltig, denn niemals war der Prinz solider als während dieser Zeit, vom Herbst des Jahres 1831 bis zum Sommer des nächstfolgenden; er widmete sich dem Studium von politischen und kriegswissenschaftlichen Werken, da er es sich zur Aufgabe gestellt, dem Namen, den ihm sein Vater hinterlassen, falls er doch berufen wäre, seine Stelle einst auf dem Throne von Frankreich einzunehmen, Ehre zu machen. Drei Tage vor seinem Tode soll er noch im Volksgarten gewesen sein und sich mit mehreren Officieren seines Regimentes (des ungarischen Infanterie-Regimentes Prinz Gustav Wasa, dessen Oberst er gewesen) unterhalten haben; er beklagte sich nur, daß er an Zahnschmerzen litte, und zwar noch mehr, als er sich denselben von Dr. Karabély plombiren ließ. Drei Tage darauf war er todt.

Die Wittwe des Herzogs hat, nach einer bei dem Minister Fürsten von Metternich stattgefundenen Privataudienz, Wien sofort verlassen und verehelichte sich bald darauf mit ihrem ehemaligen Verlobten, dem Baron Ferdinand von H–ky, mit dem sie jedoch nur kurze Zeit lebte, um alsdann Oesterreich zu verlassen. Sie hielt sich ein paar Monate in Teplitz (Böhmen) auf, wo sie außer mit einem Dresdener, einem Arzt und dessen Gattin, mit Niemand sonst verkehrte; hier kann es gewesen sein, daß der Prätendent, welcher sich Prinz Eugen Joseph Napoleon Bonaparte nennt, geboren wurde, und von hier konnte er nach Wurzen gekommen sein. Mein mehrmals erwähnter Gewährsmann Major Sz.m…ki behauptete, die Gräfin sei in gesegneten Umständen gewesen, als der Herzog starb.

Der Beauftragte dieses angeblichen Prinzen giebt noch in seinem Briefe an, dieser Letztere sei in seiner Kindheit oftmals nach N… bei Wurzen zu einer Freiin von R.z…b…g geführt worden, welche er für seine Mutter hält. Wäre dies dieselbe Comtesse Marie S…? Ist es ihr wirklicher Name, den sie mit Recht trägt oder getragen hat? Wir wollten dies sehr bezweifeln, denn da die ofterwähnte Comtesse eben so wie Ihr zweiter Gemahl Baron Ferdinand H–ky katholischer Religion war, konnte eine gänzliche Scheidung zwischen ihnen nicht stattgefunden haben, höchstens eine von Bett und Tisch; eine solche gestattet aber eine andere Ehe nicht. Von der Comtesse S… weiß ich als positiv, daß sie sich bis zum Jahre 1856 in Dresden aufgehalten; was später aus ihr geworden, ist mir unbekannt; ihr Ruf war nicht der beste, namentlich soll sie eine heillose Verschwenderin gewesen sein; es ist sogar wahrscheinlich, daß sie noch im Jahre 1867 gelebt, denn damals traf ich mit dem Baron Ferdinand in Pest zusammen, den ich nach ihr fragte; er wußte mir aber nicht viel von ihr zu sagen, nur daß sie noch damals am Leben war.“

Der Vollständigkeit wegen nehmen wir nach der Berner auch diese Mittheilung auf, ohne, wie schon oben bemerkt, dafür irgend eine Verantwortlichkeit tragen zu wollen.




Der erste Kirchgang der Genesenen. Mit Abbildung. „Verse,“ sagt der Philosoph von Ferney, „werden darüber, ob sie poetischen Geist haben oder nicht, am besten geprüft, wenn man sie in Prosa überträgt, und wenn sie ihn darin behalten.“ Sollte eine zweckähnliche Metamorphose sich nicht auch auf dem Gebiete der Malerei vornehmen lassen? Sind doch im Grunde genommen alle Kunstwerke der Ausfluß eines poetischen Geistes! – Ein Gemälde in Prosa übersetzen, was heißt das aber anders, als ihm den holden Farbenschimmer abstreifen, es durch die graphischen Künste, deren schmuckloseste sich im Holzschnitt bewährt, zur Anschauung bringen? Wirkt selbst dann – nach so wesentlichem Verluste! – das Bild noch sympathisch auf uns zurück, verbleibt ihm selbst dann ein unverwüstlicher Kern an poetischer Kraft: so ist der Beweis seines wahren, idealen Kunstgehaltes geliefert. – Auch das jetzt zu besprechende Gemälde konnte, weil darin das malerische Element zur Geltung gekommen und die Form in einen verklärenden Farbenschein getaucht war, die xylographische Uebertragung nicht ohne Einbuße passiren. Wie vermöchte der Grabstichel jenes goldenduftige Licht wiederzugeben, welches im Originale durch die ehrwürdigen Räume der Kirche bricht und weihevoll über den Häuptern der frommen Betenden schwebt? wie vermöchte er jene zarte Mischung in der Erscheinung des Mädchens anschaulich zu machen, dessen blasses, von der Anstrengung des ersten Ganges nur leicht angehauchtes Gesicht und dessen müdes und doch gewinnendes Lächeln ob der Fürsorge des alten Mütterchens ebensosehr die ersten Zeichen völliger Genesung, wie die letzten Spuren überstandener Krankheit zeigt?

All’ dieser holden Farbenwirkung, welche dem Gemälde einen so unwiderstehlichen Zauber verleiht, muß der formgebundene Holzschnitt entbehren, und trotzdem, welcher beträchtliche Fond an Poesie ist noch in ihm verblieben! Gleich vorn der weißhäuptige Alte, andächtig durch’s Glas in die mürben Blätter seines Gesangbuches schauend, wie charakteristisch ist er in jeder Linie! Man sieht es ihm an, daß es sein Leiblied ist, das trostreiche „Befiehl du deine Wege“, was laut der am Chore hängenden Nummer eben gesungen wird, und wie scharf contrastirt mit ihm der im Mittelgrund befindliche, am Glanze seiner wohlbeleibten Selbstzufriedenheit leicht erkennbare Dorfschulze, in dessen Nähe die Alte aus dem Gemeindespital auf das Pflaster gesunken ist, in der Hand die Krücke, auf der sie sich mühsam in die Kirche geschleppt! Es ist das Ende eines sorgen-, vielleicht auch schuldgebeugten Lebens, das hier unsere wärmste Theilnahme anregt, und wie lichtvoll hat der Künstler die in das Leben tretende Unschuld danebengestellt in den beiden Kindergestalten mit dem noch unverletzten Siegel Gottes auf der Stirn!

Obwohl sich noch eine Fülle von solchen Hinweisen aufdrängt, glaube ich doch – bei der Raumbeschränkung des Blattes – dem Leser selbst das Nachempfinden des diese Gestalten belebenden Schönheitsgefühles überlassen und mit der Mittheilung schließen zu müssen, daß der „Sächsische Kunstverein“ die Originaldarstellung als Hauptbild für das Jahr 1870 erworben und der junge Maler, Hugo Oehmichen (geboren 1843 zu Borsdorf bei Leipzig), seinen Bildungsgang in Prof. Dr. Julius Hübner’s Atelier begonnen hat.

E. U. 




Einer nach dem Andern. Unsere Leser haben gewiß aus München von der Ausstellung des neuesten Kaulbach’schen Bildes gehört, welches den im Jahre 1867 zu Rom heilig gesprochenen einstmaligen spanischen Inquisitor Peter Arbues von Saragossa darstellt, umgeben von blutgierigen und fanatischen Priestern, mitten in den Gräueln der mord- und opferreichen Inquisition. Das Bild erregte in den Münchener katholischen Kreisen natürlich großes Aergerniß und die dortigen ultramontanen Blätter, noch nicht befriedigt durch die Lorbeeren, die sie sich im Kampfe bei den Abgeordnetenwahlen erworben, richteten nun auch auf Meister Kaulbach ihre giftspeienden Geschosse. Ja, sie vermochten den Ingrimm der fanatischen Masse dergestalt zu steigern, daß dem Schöpfer des Bildes anonyme Droh- und Schmähbriefe der verschiedensten Art zugingen. Kaulbach beachtete dieselben anfangs nicht; als sie sich aber in bedenklicher Weise häuften und namentlich auch wiederholt die Zerstörung oder doch Beschädigung seines Bildes in Aussicht stellten, zog es der Meister vor, die Thüren seines Ateliers zu schließen und sein Werk sicher zu stellen in einer Stadt, welche einst F. D–dt insofern mit dem gelobten Lande verglich, als auch in ihr Milch und Honig fließe – nämlich die Wolfsmilch des „Volksboten“ und der Honig[WS 1] der „historisch-politischen Blätter“. In jenen Tagen nun, da Kaulbach’s Bild stündlich mehr Beschauer anlockte, befand sich unter denselben auch, wie der Gartenlaube geschrieben wird, ein Prinz, dessen Haus gegenüber den liberalen Neigungen des Königs im Augenblick so ziemlich als der Mittelpunkt aller für Ultramontanismus einerseits und Particularismus andererseits streitenden Mächte angesehen wird. Kaulbach führte den Prinzen selbst, und dieser konnte sich zuletzt nicht enthalten, seinem Unmuthe wenigstens insoweit Luft zu machen, als er dem Künstler das Grausige seines Motivs vorwarf.

„Die Geschichte,“ rief er, „bietet doch eine Menge anderer Gegenstände; warum greifen Sie immer zu so schrecklichen Gegenständen? Erst malten Sie diesen Nero – jetzt hier Arbues …“

„Hoheit verzeihen,“ fiel Kaulbach sich verbeugend ein, „ein Spitzbube nach dem andern!“




Uniformen der Eisenbahn-Beamten. Eine buntere Musterkarte von Uniformen läßt sich wohl nicht auffinden, als wenn man eine Reise durch unser liebes Deutschland macht und die verschiedenen Uniformen der Eisenbahn-Angestellten betrachtet. – Da trägt der Eine Blau mit rother Passepoilirung, ein Anderer desgleichen mit weißer Besetzung, wieder Andere tragen reichen Goldbesatz an ihren Uniformen und dergleichen. Kurz, es ist das Uniformenwesen so bunt, daß das Publicum sein blaues Wunder darüber haben muß. Am schlimmsten tritt diese Verschiedenheit in der Bekleidung aber hervor, wenn man Fahrcolonnen sieht, die aus Beamten verschiedener Verwaltungen zusammengesetzt sind. Es ist das zum Beispiel der Fall bei den zwischen Berlin und Köln coursirenden Courier- und Schnellzügen, und bei den Schnellzügen zwischen Berlin-Kassel-Frankfurt a. M.; da sieht man bei ein und demselben Zuge Beamte mit der Uniform der preußischen Staatsbahn, der braunschweig’schen und der Berlin-Potsdam-Magdeburger Bahn, welche erheblich in ihren Dienstkleidungen von einander abweichen. Einsender hatte neulich Gelegenheit, das Staunen eines fremden Reisenden über diese Angelegenheit zu beobachten und die satirische Bemerkung zu hören: „So etwas ist doch nur in der Kleinstaaterei Deutschlands möglich.“ Der Mann hatte Recht. Aber sollte denn in dieser Sache bei gutem Willen der Directionen nicht Besserung zu schaffen sein? Wie wäre es, wenn zunächst durch den ganzen Norddeutschen Bund die Uniform der königlich preußischen Staatsbahn-Beamten, allenfalls mit Weglassung der kostspieligen Goldstickerei, eingeführt würde? Diese aus blauem Tuche bestehende Dienstkleidung ist wohl die beste und auch die billigste mit, d. h. wie nochmals hervorgehoben wird, wenn die Goldstickerei, welche überflüssig ist, fortgelassen würde. Die Post- und auch die Telegraphen-Beamten kleiden sich im Norddeutschen Bunde seit dem Jahre 1866 nach einem Muster, und gewähren einen Anblick, der auf Einigkeit schließen läßt: Man mache das mit den Eisenbahn-Beamten ebenso. Freilich ist das bei den vielen selbstständigen Eisenbahn-Directionen leichter gesagt, als ausgeführt; allein im Interesse der Sache dürfte ein so geringfügiges Opfer der Nachgiebigkeit doch wohl mehr als gerechtfertigt erscheinen.


Inhalt: Aus eigener Kraft. Von W. v. Hillern. (Fortsetzung.) – Der Wohlthäter der Taubstummen. Von Ernst Stötzner. Mit Portrait. – Aus den politischen Salons des neuen Italiens. Von Emil Pirazzi. 1. Die Frau des Märtyrers. (Schluß.) – Großvatersspielen. Originalzeichnung von E. Schulz in Elberfeld. – Literaturbriefe an eine Dame. Von Rudolf Gottschall. II. – Hinter der Klosterpforte (Schluß.) – Blätter und Blüthen: Bonapartes an allen Ecken und Enden. – Der erste Kirchgang der Genesenen. Mit Abbildung. – Einer nach dem Andern. – Uniformen der Eisenbahn-Beamten.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. bei Dingelstedt: Sauerhonig
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 96. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_096.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)