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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

„Allen zu gefallen, ist unmöglich!
Bei den Schiffern ist’s behäglich,
Wein und Bier giebt es dort täglich.“

Warum aber die geistreichen Verfasser dieser Ergänzungen sich zur vierten Zeile den Endreim „kläglich“ entgehen ließen, vermögen wir nicht zu bestimmen und erwähnen es auch nur so nebenher, denn die alte ursprüngliche Inschrift ist an den beiden Steinsäulen längst wieder hergestellt.

Das Alter dieses Hauses ist vielleicht auf dreihundert Jahre zu schätzen; wenigstens spricht hierfür sein Inneres, das noch heute unverändert ist. Noch heute erkennt man die Anordnung der Plätze für die Aelterleute (die Schiffer in Lübeck huldigen der Zunft); Tische und Bänke der Compagniebrüder sind mit dem Wappen der commercirenden Collegien geschmückt, und die hoch hinauf reichenden Rückwände können ebenso gut für Zeichen in sich abgeschlossener Gemüthlichkeit als für Zeichen starren Kastengeistes gelten. Die altergeschwärzten Balken sind gleichfalls in derbster Weise verziert, von der Decke aber hängen die seltsamsten Schiffsmodelle früherer Zeit, ein Eskimoboot, die abenteuerliche Gestalt eines Seeungeheuers, Schiffslaternen, Innungsfahnen, Schutzheilige und andere Curiositäten, unter denen das „schwarze“ Brett für „Widerhaarige“ nicht vergessen werden darf.

In diesen Räumen verkehrten früher vorzugsweise an den langen Winterabenden die lübischen Schiffer – jetzt kann jeder Gast dort einkehren – und erzählten sich beim Glase Wein oder „steifen“ Grog Erlebnisse aus dem Seemannsleben, bald heiter, bald düster, je nachdem der Gott des Meeres sie gefügt. Daneben wurden auch Erinnerungen aus älterer und jüngerer Zeit laut. Man sprach von den Kämpfen mit den „Linkendelern“ (Vitalianern), namentlich mit den Häuptlingen der Piraten, mit Claus Störtelbecker, mit Wichmann, Michelt und Gödeke Michalsen; von den Gefechten mit den Niederländern, von Jürgen Wullenweber und dem lübischen Admiral Marx Meier, wie auch von den schwedischen Seekriegen, die Lübeck im sechszehnten Jahrhundert geführt. (Eine Abbildung des Admiralschiffs, der „große Adler“ genannt, das 37,500 lübische Mark kostete, hundertundneun Ellen lang und sechsundzwanzig Ellen breit war und tausend Last führte, ist im Schifferhause noch vorhanden.) Am liebsten jedoch und am nachhaltigsten unterhielten sich die Söhne des Meeres von den beiden lübischen Schiffern Brandt und Schümann.

Und warum? Hören Sie! Ersterer ging im October 1813 mit seinem Schiffe „Elfriede“ aus dem Hafen von Sheerneß unter Segel, um nach Swinemünde zu fahren. Das Schiff war bemannt, außer dem Capitän, mit zwei Schiffsjungen, fünf Matrosen und einem Steuermann (Bruder des Capitäns), für den Nothfall führte die „Elfriede“ zwei Kanonen, fünf sogenannte „Donnerbüchsen“, eine Pistole und einen Degen.

Am ersten November erblickte der Capitän in der Nähe der Doggersbank eine englische Brigantine, die beinahe alle Segel eingebüßt und die Nothflagge aufgezogen hatte. – Der Capitän Brandt ließ, um dem bedrängten Schiffe Beistand zu leisten, alle Segel seines Schiffes in den Wind richten, und, sobald beide Schiffe sich nahe genug gekommen waren, rief die Mannschaft des jenseitigen Schiffes in englischer Sprache: „Rettet uns! Das Schiff will sinken!“

Der deutsche Capitän säumte keinen Augenblick. Er ließ, als er bemerkt, daß auf dem fremden Schiffe kein Boot war, von dem seinigen schleunigst eins in’s Wasser setzen, bestieg dasselbe mit vier Matrosen und fuhr hinüber nach der Brigantine, wo er sich an Bord begab und die Mannschaft in Todesangst und Verzweiflung fand.

Als Brandt sich die Schiffspapiere hatte vorlegen lassen und das Schiff für ein englisches anerkennen mußte, hieß er die Mannschaft – aus sieben Erwachsenen und einem zwölfjährigen Jungen bestehend – in sein Boot steigen und führte alle nach seinem Schiffe. Kaum befanden sich die Geretteten am Bord der „Elfriede“, so schrie Einer von ihnen, daß auf der Brigantine noch ein bedeutender Mundvorrath sich befände, welcher der vermehrten Mannschaft wohl zu statten kommen könne. „So holt die Lebensmittel herüber!“ gebot Brandt. Allein die Geretteten schienen so entkräftet, daß sich seine Leute erboten, sie zu holen. Es fuhren demnach die vier Matrosen und der Koch der „Elfriede“ wieder hinüber nach dem fremden Schiffe. Kaum waren diese aber abgefahren, so baten die Geretteten um etwas Essen, welchem Wunsche der deutsche Schiffer auch entsprach.

Während die Hungrigen sich sättigten, stand der Capitän Brandt mit seinem Bruder und den beiden Schiffsjungen auf dem Hintertheil der „Elfriede“ und blickten ahnungslos hinüber nach der immer mehr versinkenden Brigantine. Da, plötzlich und unerwartet stürzen die sieben Aufgenommenen von dem Vordertheil des Schiffes hervor, dringen schreiend und mit Pistolen bewaffnet auf den Capitän ein, umringen ihn und rufen: „Wir sind keine Engländer, sondern französische Kaper! Euer Schiff ist unser und wenn Ihr Euch widersetzt, seid Ihr des Todes!“ Und noch ehe Brandt sich widersetzen konnte, ist er und sein Bruder von den Piraten in die Kajüte hinabgestoßen.

Was nun anfangen? Gewalt gegen Gewalt setzen? Das war mehr als mißlich und dennoch blieb ihnen keine andere Wahl, als den ungleichen Kampf zu wagen. Zwei gegen Sieben, und überdies waren diese bewaffnet. Aber glücklicherweise befanden sich in der Kajüte fünf Donnerbüchsen, eine Pistole und ein Degen, welche Gegenstände die Seeräuber wahrscheinlich nicht bemerkt hatten. Beide Brüder reichten sich die Hände und sagten gleichzeitig: „wir kämpfen!“ – Während nun der Capitän die Donnerbüchsen lud und der Steuermann neben der Kajütenthüre horchte, jubelten, sangen und tanzten die Piraten auf dem Verdecke und als das Boot mit dem geretteten Proviant daher kam, rief ein Kerl den deutschen Seeleuten zu: „Zurück! dies Schiff ist unser Eigenthum! fahrt seewärts, sonst schießen wir Euch nieder!“ – Die fünf wehrlosen Matrosen wagten es nicht näher zu kommen, obwohl zwei von ihnen darauf bestanden das Schiff zu entern.

Eben überlegten die Gebrüder Brandt, wie der Angriff auf die Piraten am wirksamsten auszuführen sei, als diese den Steuermann auf’s Verdeck riefen, um ihm das Steuer zu übergeben. Jedoch hatte der Capitän so viel Zeit seinem Bruder zuzuflüstern: „Suche die Räuber auf einen Fleck zu bringen!“

Dieser Worte gedenkend, rief dieser alsbald den Piraten zu: „Refft die Segel zur Rechten, damit wir nördlich kommen!“ Alle begaben sich eiligst rechts, während der jüngere Brandt rasch an die Kajütenthür trat, wo ihm der Bruder eine geladene Büchse in die auf den Rücken gelegten Hände schob. Im nächsten Augenblick krachten Beider Donnerbüchsen und streckten vier Piraten zu Boden, von denen sich aber drei sogleich wieder aufrichteten, und Alle erhoben ein Wuthgeschrei, grausig anzuhören.

Beide Brandt erreichten jedoch glücklich die Kajüte, nahmen wiederum eine Donnerbüchse zur Hand und brannten abermals los. Zwei Piraten fielen, einer erhob sich wieder. Blitzschnell eilten beide Brüder abermals in die Kajüte. Der Capitän entreißt dem zitternden Jungen die letzte geladene Büchse und schlägt auf den Anführer der Seeräuber an. Von dem Schusse getroffen, stürzt dieser zwar nieder, erhebt sich aber wieder und dringt auf den Capitän ein. Dieser fühlt im nächsten Augenblick einen Dolchstoß in der rechten Seite und verliert die Besinnung, kommt jedoch schnell wieder zu sich, als ein Schuß fällt und sein Bruder knirschend ruft: „Meine linke Hand ist fort!“ Die Büchse, welche er schleunigst geladen, war gesprungen und hatte ihm den Daumen zerschmettert.

Dieser Aufschrei des Bruders entflammte auf’s Neue den Muth des Capitäns. Er ringt mit seinem Gegner, entreißt ihm glücklich das Dolchmesser und versetzt dem schon Schwerverwundeten einige so heftige Stöße, daß derselbe sterbend zusammensinkt. Jetzt war aber auch der deutsche Schiffer so entkräftet, daß er gleichfalls zusammenbrach in dem Augenblick, wo sein Bruder, den Degen in der gesunden Hand schwingend, wieder auf’s Verdeck stürzt und mit einem Hiebe den Kopf eines Piraten spaltet, daß dieser todt zu seinen Füßen sinkt. Dieser Erfolg entmuthigte die zwei noch übrigen Feinde dergestalt, daß sie sich auf die Kniee warfen und um Pardon baten.

Der Sieg war errungen und der ungleiche Kampf hatte zwar die „Elfriede“ wieder in Besitz des Capitäns gebracht, aber sein und seines Bruders Lage war durchaus nicht beneidenswerth. Beide Männer waren verwundet, zwei unerfahrene Schiffsjungen ihre einzigen Gehülfen und dazu die Nacht vor der Thür. Doch das Sprüchwort: „Wenn die Noth am höchsten, ist die Hülfe am nächsten,“ bewährte sich auch hier. Die fünf Matrosen, welche sich nicht allzuweit entfernt hatten, kamen gegen Mitternacht an Bord.

Der Capitän lag ohnmächtig auf dem Bette, während der Steuermann,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_078.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)