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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


des Versuchs einer Annäherung in dem gedachten Sinne specielle Vollmachten der Führer jener nationalen Partei in Deutschland bei mir führte, der auch ich als dienendes Glied mich angeschlossen hatte. Und wir verständigten uns um so rascher und leichter, als die Unterhaltung stets in unserer gemeinschaftlichen Muttersprache, der deutschen, geführt werden konnte und der gleiche Zug der ursprünglichen Abstammung sie zu Deutschland wie mich zu Italien hinzog. Doch war ich nicht der erste Deutsche, der ihr in solchem Geiste nahe trat; nicht lange vor mir war schon Dr. Hermann Reuhlin, Verfasser verdienstvoller historischer Werke, unter Anderm auch einer neueren Geschichte der italienischen Staaten, dieselben Wege gewandelt, hatte sich in das Haus Pallavicino einführen lassen und lebhaften politischen Gedankenaustausch mit der Herrin desselben gepflogen.

Die äußere Erscheinung der trefflichen Dame ist eine vornehme im besten Sinne des Wortes, fein, liebenswürdig, wohlwollend durch und durch, ihre Conversation weich und stets a mezza voce – wie von beständiger innerer nervöser Angegriffenheit zeugend, welche ihr gegenüber den ewigen großen Aufregungen und Emotionen ihres Lebens und ihrer Stellung gleichsam eine gewisse Zurückhaltung aufnöthigt, damit dieser zarte Körper den unaufhörlich auf ihn heranstürmenden Dingen und Ereignissen nicht vor der Zeit erliege: so steht die edle Frau nach acht Jahren noch hell in meiner Erinnerung. Sie mochte um jene Zeit etwa den Fünfzigen nahe sein, aber ihr Haar war noch dunkel und unberührt von den Jahren. Ihre Ehe mit dem Marchese scheint kinderlos geblieben; wenigstens habe ich von Kindern nie etwas bemerkt oder reden hören. Dieser Zweig des Geschlechtes der Pallavicini stürbe somit in dem Marchese Giorgio dahin.

Das Hautrelief ihrer äußeren Stellung erhielt die Marchesa Anna durch ihre intimen politischen Beziehungen einerseits zu Victor Emanuel, andrerseits zu Giuseppe Garibaldi. Zwischen beide wie eine schöne Fügung des Schicksals hingestellt, dem König, in dessen rauher Heldennatur sie die Configuration Italiens erblickte, aufrichtig ergeben, an den großen Tribunen durch den tiefsten Zug ihres Herzens gefesselt, hat sie, wie oft! zwischen Beiden vermittelt, Botschaft hin- und hergetragen, erwachenden Groll geschlichtet, Verständigung angebahnt. So ward sie in bescheidenster, fast verborgener Weise nicht nur der politische Genius loci von Turin und eine Art weiser Egeria für den König, sondern war auch oft in schwerer und entscheidender Stunde der gute Genius Italiens! Wäre sie es mit mehr Ostentation gewesen und läge es offen vor aller Welt da, was sie hinter den Coulissen bewegt und gewirkt, – der Geschichtsschreiber des neuen Italiens hätte ihren Namen auf manchem Blatte zu zeichnen!

In Deutschland kennt man das eigentlich noch gar nicht, was man einen „politischen Salon“ nennt, und in Folge dessen auch den davon unzertrennlichen Begriff der politischen Frau nicht im großen Styl des Wortes, wie in England, Frankreich, Italien. Das „Warum“ dieser Erscheinung auseinanderzulegen wäre ein hübsches Thema für eine besondere culturhistorisch-politische Studie. In Italien trat diese Species schon sehr früh auf, und kam mit Katharina von Medicis nach Frankreich. Vielleicht ist es auch, im Großen und Ganzen betrachtet, nicht zu beklagen, daß wir bislang diese Gattung entbehren mußten; denn der – „Jupon in der Weltgeschichte“ („die Crinoline in der Weltgeschichte“ wäre pikanter, aber minder correct gesagt!) erscheint nicht immer als Fahne des Fortschritts und der Aufklärung. Wie segensreich aber eine edle Frau auch auf diesem Gebiete zu wirken vermag, – dafür ist Anna Marchesa Pallavicino-Trivulzio doch ein leuchtendes Beispiel!

Ihr Haus in Turin war in jener wichtigen Uebergangsepoche, wo Italien aus den kleinstaatlichen Kinderschuhen in die Toga des Einheits- und Großstaates hinüberschlüpfte, vielleicht der erste politische Salon der Halbinsel, und kaum ein Politiker von irgend welcher Bedeutung stieg in dem stattlichen Trombetta-Hôtel (der damaligen Hauptverkehrsstätte der politischen Faiseurs) am Schloßplatz zu Turin ab, ohne auch an die Pforten des Hauses der Via Carlo Alberto zu klopfen.

Damals war das heute entthronte Turin noch der Focus der nationalen Bewegung in Italien. Von hier gingen ja alle die leitenden Fäden aus, welche über den ganzen Stiefel des Hesperidenlandes die Maschen strickten und das Netz woben, in welchem schließlich alle großen und kleinen Tyrannen des Landes zappeln und in die Luft gehoben werden sollten. Von Turin waren sie ja auch alle ausgegangen, die großen Patrioten, welche das neue Italien erst vorbereitet und dann gemacht hatten, die Carlo Alberto, Cesare Balbo, Vincenzo Gioberti, die Massimo d’Azeglio, Victor Emanuel und Camillo Cavour; – Alle waren sie von Turin gekommen, nur den Einen ausgenommen, den Löwen Italiens, den Garibaldi, der das „Italia farà da se“ am consequentesten durchführen sollte, und gerade seine Heimath wurde an den Fremden dahingegeben!

Die Wohnung der Marchesa Pallavicino liegt weit ab von den geräuschvollen Schlagadern des öffentlichen Verkehrs, wie er zunächst um die Piazza di Castello mit ihren Arcaden pulsirt, nach jenen stilleren Straßenquadraten zu, die sich im Südwesten der Stadt um die öffentlichen Gärten gruppiren und auf die neue Prachtstraße del Re auslaufen, an welcher der Bahnhof und die Waldenserkirche liegen, die erste in Italien in Folge königlichen Decrets vom Februar 1848 erbaute Stätte akatholischer Gottesverehrung.

Als ich eines Abends dort zu Tisch gebeten war, traf ich noch vor der Marchesa selbst in diesem Hause ein; sie sei noch beim König, beschied mich ihre Nichte. Das war sie oft, und die Staatsangelegenheiten wurden dann eingehend und in vertraulichster Weise zwischen Beiden ohne Zeugen besprochen. Die heutige Audienz hatte sich in die Länge gezogen; es mußte wohl wieder Etwas in der Luft liegen, obwohl das gerade damals am Ruder des Staates befindliche Ministerium Ricasoli der Marchesa nicht durchaus sympathisch zu sein schien. Wir waren nur ganz Wenige: außer uns Dreien noch G***, Adjutant des Generals Türr, ein vollendet schöner und flotter Cavalier, der noch in selbiger Nacht in geheimer Mission abzureisen hatte, und eine Persönlichkeit der haute finance. Der Herr des Hauses war in der Lombardie (wie hier stets gesagt wurde) abwesend. Die Unterhaltung über Tisch war die zwangloseste und keineswegs ausschließlich der Politik angehörig. Nach der Tafel verfügte man sich in den Salon, und nun wurden Besuche empfangen: Mitglieder des Parlaments, Mitglieder der Regierung; sie machten ihre Aufwartung, kamen und gingen, bis wir Vier endlich wieder allein waren. Indeß die junge Nichte der Dame des Hauses sich mit dem Adjutanten Türr’s im Nebenzimmer an’s Piano setzte und die Töne ihres muntern vierhändigen Allerleis durch die geöffnete Thür herüberklangen, kam es zwischen der Marchesa und mir zum gemüthlichsten inhaltvollsten Plauderstündchen.

Der Held desselben war natürlich Garibaldi, jener volksthümliche Heros Italiens, dem im Hause Pallavicino der Altar eines besonderen Familiencultus errichtet war. Da gab es denn zu berichten – aber auch zu fragen! Und ich war nicht faul in Letzterem. Die Marchesa brachte ein Ebenholzkästchen herbei, sie kniete am Tisch zur Erde nieder und wühlte und kramte in den Briefen und Andenken ihres vergötterten Giuseppe – denn nur solche enthielt die Schatulle –; ein rührendes Bild! Sie ward nicht müde, von seiner Herzensgüte, seinem kindlichen Gemüth, seiner reinen Seele zu erzählen, und mit fast schwärmerischem Anfluge sprach sie jedes Mal den theuren Namen aus, indem sie ihm, vor dem so Viele erzitterten, oft den zärtlichen Diminutiv des Italieners anhängte: Garibaldino! So gesprochen, ist er gar nicht mehr furchtbar!

(Schluß folgt.)




Im Schifferhaus zu Lübeck.

Eins der alterthümlichsten Häuser in Lübeck ist das Schifferhaus, gewöhnlicher die „Schiffergesellschaft“ genannt. Es liegt am Kuhberge, der Jacobkirche vis à vis, ist mit einem herrlichen Treppengiebel versehen und führt auf dem Beiwerk die Inschrift: „Allen zu gefallen, ist unmöglich!“ Ein wahres Wort. Im vorigen Jahre machten freilich ein hiesiger Professor, ein Maler und ein Schiffer sich die Kurzweil und änderten, oder richtiger, verballhornisirten dieselbe folgendermaßen:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_076.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)