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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


nur eine wohlthuende Wiederholung, wenn wir noch einmal uns des Mannes Seelenbild vor Augen halten. Hat doch Arndt, wie alle großen Männer, das Schicksal gehabt, daß er vielfach verkannt, oft mißverstanden und geschmäht worden ist, daß man ihm Schwanken in seiner Parteistellung und Wankelmüthigkeit in seiner politischen Anschauung und Thätigkeit vorgeworfen hat. Ob Arndt Diplomat, ob er Politiker gewesen, wollen wir dahingestellt sein lassen. Das aber werden selbst seine Feinde und Gegner nicht in Abrede stellen, daß er als Dichter und Mensch groß dasteht.

Arndt’s Zeitlieder haben das nicht zu unterschätzende Verdienst, daß sie uns am besten und klarsten die Stimmung einer großen Zeit in ihrer vollen Wahrheit ohne Uebertreibung und Phrase wiedergeben, einer Zeit, wie Deutschland sie seitdem nicht wieder erlebt hat, noch wieder erleben dürfte. So lange das Andenken und die Erinnerung an den Sieg, an den Ruhm und die Freude des Jahres 1813 dauern wird, so lange wird man auch der Sieges- und der Freudenlieder gedenken, die damals gesungen worden sind, so lange wird man sich auch des alten Sängers von Rügen erinnern.

Doch Arndt war nicht blos Dichter, sondern er war vor Allem ein deutscher Mann im vollen Sinne des Wortes. Schlicht und einfach in seiner Erscheinung, ohne allen Prunk und leeren Schein, treu und wahr in seiner Rede, der Schmeichelei und allem heuchlerischer Wesen feind, liebreich gegen Jedermann, doch stets die Manneswürde wahrend und unbeugsam in dem, was er für Recht erkannte. In schwerer hoffnungsloser Zeit hat er den gebrochenen Muth aufgerichtet, im Rathe der Fürsten und ihrer nächsten Diener mit rastlosem Eifer die Erhebung des Volkes in den Freiheitskriegen gefördert, die Feigen und Muthlosen angespornt, die Jugend entflammt und das funkelnde Schwert des Geistes geschwungen, bis das Ziel des Kampfes erreicht war. – Die Einigkeit, die immer wachsende Herrlichkeit seines Vaterlandes – das war der Traum seiner Jugend, die Arbeit seiner Mannesjahre und ist die Hoffnung seines Alters geblieben.

Nachdem so das, was Arndt Menschenalter hindurch unermüdlich erstrebt hat, hoffentlich jetzt seiner Erfüllung entgegengeht, durfte wohl sein hundertjähriger Geburtstag daran mahnen, daß wir ihm, wie ehern er auch bereits als Wächter am Rhein emporragt, doch noch ein Denkmal und zwar auf der Stätte seiner Geburt schuldig sind. Dieses Heimathdenkmal soll uns weder das Bild des Menschen Arndt noch einmal bringen, noch eine architektonische Geschmacklosigkeit von Tempelhalle und Riesenharfe zeigen, wie verschiedene illustrirte Wochenschriften es als geplant mitgetheilt haben, sondern es soll an den festen deutschen Mann erinnern, und darum ist für dasselbe die Form eines Thurmes gewählt, der auf Rügens höchstem Berge, dem Rugard, weit über Land und Meer emporragt und hinausschauen läßt. Unsere Illustration wird wenigstens eine Ahnung von der Herrlichkeit des Rundbildes erwecken, das auf des Arndtthurms Zinne einst vor dem Wanderer sich aufrollt.

Den Grundstein zu diesem Denkmal haben am Tage des hundertsten Geburtsfestes Arndt’s, am sechsundzwanzigsten December v. J., die Männer des Denkmalausschusses mit vielen anderen Verehrern des gefeierten Todten auf dem Felsenwalle des Rugard festlich gelegt. Sorget nun, Ihr Deutschen allerwärts, auch jenseit der Meere, durch Eure Liebesgaben dafür, daß dieser Bau sich recht bald erheben kann! Die Beiträge sende man an das Comité des Arndt-Denkmals zu Händen des Herrn Bürgermeisters Dr. Richter in Bergen auf Rügen oder an die Redaction unseres Blattes zur Weiterbeförderung.




Schulkindkrankheiten oder Schulkrankheiten?
Ohne phosphorhaltiges Gehirn kein Verstand, kein Gemüth, kein Wille, also keine geistige Thätigkeit.
Strafpredigt für Eltern, Lehrer und Schulvorsteher.
II.


Aus dem elterlichen Hause, wo die Verziehung des Kindes in der Regel während der ersten sechs Lebensjahre so recht con amore vor sich geht, wird das Kind der Schule übergeben, und diese soll nun nicht blos den Geist des Kindes bilden, sondern in moralischer Hinsicht auch an demselben Das wieder gut machen, was zu Hause von den Eltern verdorben wurde. Das kann aber die Schule, wie sie zur Zeit gestaltet ist, durchaus nicht, da die armen Lehrer gezwungen sind, eine ganz widernatürlich große Anzahl Kinder von der verschiedensten körperlichen und geistigen Beschaffenheit und Gesittung gleichzeitig nach der Schablone zu bearbeiten. Freilich könnte dies anders und besser sein, wenn nur alle Die, welche Einfluß auf die Schule haben, eine richtigere Ansicht von der Wichtigkeit der Schule und der Schullehrer für die Befreiung des Menschengeschlechts von Unverstand, Aberglauben, Herrsch- und Sclavensinn, lächerlicher Eitelkeit und niedrigem Egoismus hätten, wenn ferner die Gemeinden für Schuleinrichtung und gute Lehrer größere Opfer brächten, als dies zur Zeit der Fall ist, und wenn das Wohl der Schulkinder unter die Obhut ärztlicher Schulinspectoren gestellt würde.

Die Schüler müssen vor allen Dingen nach ihrer verschiedenen körperlichen Beschaffenheit auch einer verschiedenen Behandlung bei Entwicklung ihrer geistigen Thätigkeiten und zur Bewahrung ihrer Gesundheit unterwiesen werden. Darum sind sie ebensowohl bei ihrer Aufnahme in die Schule wie während der Schuljahre unter ärztliche Controle zu stellen. Ganz besonders verlangt aber das Gehirn bei jedem Schulkinde, ehe die Bearbeitung dieses Organs in Angriff genommen wird, eine genaue Erforschung. Man bedenke, daß das Gehirn nur dann seine Thätigkeit (bestehend im Denken, Fühlen, Wollen) zu entwickeln vermag, wenn es seinen normalen Bau und die richtige chemische Zusammensetzung (bei welcher phosphorhaltiges Fett ganz unentbehrlich ist) besitzt, wenn es ferner durch (die sensuellen) Nerven mit den Sinnesorganen und (durch sensitive Nerven) mit den Empfindungsapparaten unseres Körpers in ununterbrochener Verbindung steht, und wenn es seine erlernte Thätigkeit durch Bewegungsnerven auf Bewegungsapparate (Muskeln, besonders der Sprechorgane) übertragen kann. Es darf natürlich das Gehirn auch in seinem Wachsthum und seiner Ernährung nicht gestört werden. – In Bezug auf das Gehirn des schulpflichtigen Kindes, über dessen richtige Pflege und Behandlung später gesprochen werden soll, beachte man Folgendes:

Bei Kindern unter sieben Jahren ist das Gehirn, selbst wenn die Kinder kräftig und ganz gesund sind, doch noch so weich und wässerig, daß es stärkere Eindrücke (psychischer, sensueller und sensitiver Art) noch nicht ohne Nachtheil ertragen kann. Erst nach dem siebenten Lebensjahre sollte deshalb der ernste Schulunterricht, und auch da noch sehr vorsichtig, beginnen. Uebrigens muß sich der Director und Lehrer (so lange noch kein ärztlicher Schulvisitator existirt) mehr, als dies zur Zeit geschieht, um den Gesundheitszustand (zumal des Gehirns) des Kindes beim Eintritt in die Schule kümmern. Sehr viele zu zeitig in die Schule geschickte Kinder, die anfangs körperlich gesund und geistig sehr befähigt waren, werden durch die Schule nach und nach gesundheitlich elend und machen in geistiger Beziehung keine Fortschritte mehr, bisweilen sogar Rückschritte. – Bei manchen Kindern ist as Gehirn zu klein geblieben (Mikrocephalie, meist in Folge vorzeitiger vollständiger Verknöcherung des Schädels) oder es ist durch frühere Krankheiten (Hirnhautentzündung, Wasserkopf) entartet. Solche Kinder bleiben zeitlebens blödsinnig und gehören nicht in eine Schule, sondern in eine Versorgungsanstalt. – Bei manchen Kindern ist das Gehirn, in Folge noch unbekannter

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_070.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)