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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


In diesem Augenblick erhob Aennchen draußen ein furchtbares Jubelgeschrei und Herr Hösli eilte mit einer Depesche in der Hand, von Aennchen und Frank gefolgt, durch den Garten. Die Art, wie Frank die Thür aufriß, um seinen Herrn eintreten zu lassen, verkündete den Anwesenden schon, daß dieser etwas Gutes bringe.

Herr Hösli war ein eleganter stattlicher Mann von etwa fünfzig Jahren. Er hatte einen dunkeln Backenbart und schwarze lebhafte Augen. Sein ganzes Wesen hatte etwas Ueberlegenes ohne eine Spur von Ueberhebung. Ein Grübchen im Kinn gab ihm etwas Humoristisches, Schalkhaftes, das den meisten Schweizern eigen ist. Das harte Idiom seines Vaterlandes, das kein Schweizer jemals ablegt, ließ ihn im ersten Augenblick spießbürgerlich erscheinen, aber nach wenigen Worten schon war der Mann von Welt unverkennbar.

„Verzeihen Sie, meine gnädige Frau,“ rief er und küßte Adelheid die Hand, „daß ich so hereinstürme, aber ich kann meiner lieben Frau diese Freude nicht einen Augenblick vorenthalten. Ellen, unser Heiri kommt morgen! Da hast Du das Telegramm!“

Frau Hösli saß mit gefalteten Händen da, sie konnte vor Freude kein Wort herausbringen als „Gott sei Lob und Dank!“ Sie warf einen Blick in das Telegramm, ihr Antlitz röthete sich, es war als wollten die grünen Seen ihrer Augen sich über die Wangen ergießen, so reich quollen die Freudenthränen hervor und das Blatt zitterte in ihrer Hand. Aber nur einen Augenblick ließ sie sich von der Bewegung übermannen, dann besann sie sich ihres Besuches und daß derselbe ihre Freude weder verstehen noch theilen könne. Sie steckte das Telegramm sorgfältig in die Tasche, das nichts enthielt als in englischer Sprache die wenigen Worte: „Vater, Mutter, ich komme! Ich grüße Euch, die Geschwister und Großeltern! Morgen Abend bin ich bei Euch! Henry.“ „Verzeihen Sie die Familienscene,“ sagte sie gefaßter zu Frau von Salten. „Die Freude war zu groß! Seit vier Jahren habe ich meinen Aeltesten nicht gesehen und wir erwarteten ihn erst in einigen Wochen, daher die Ueberraschung.“

„O, da muß ich ja sehr um Entschuldung bitten, daß ich eine solche Freude gestört,“ erwiderte Adelheid aufstehend.

„Sie werden sie erst stören, wenn Sie uns Ihrer Gegenwart berauben,“ sagte Herr Hösli artig.

Adelheid mußte zugeben, daß der Mann Manieren hatte, die denen echter Cavaliere zum Verwechseln glichen, aber sie war zu sehr im Innern entrüstet über die Verlegenheit, die Alfred ihr bereitet, um noch etwas Anderes zu beachten. Aenny hatte mittlerweile Alfred erzählt, ihr Bruder sei schon neunzehn Jahre alt und als sie nach Europa übergesiedelt, sei er noch zwei Jahre in Amerika geblieben und habe sich dann noch ebenso lange in England aufgehalten, um das Maschinenfach zu studiren. Aenny wußte das Alles ganz genau und sie war stolz darauf, Alfred die interessante Mittheilung machen zu können, daß ihr Bruder einen neuen Dampfkessel für die Fabrik mitbringe, der viel besser sei als der alte und einen völligen Umbau der Fabrik erfordere. Alfred, der in seinem Leben noch nie von solchen Dingen gehört hatte, hegte die größte Bewunderung für Aennchens umfassende Kenntnisse und hätte ihr gern noch zugehört, aber ein gebieterischer Ruf seiner Mutter machte auch diesem Vergnügen ein Ende.

„Mutter,“ bat Alfred, „ich möchte Herrn Frank noch Adieu sagen, weil er so gut gegen mich war, darf ich?“

„Dazu ist jetzt keine Zeit,“ erwiderte Adelheid streng. „Ich bitte, komm.“

Alfred fügte sich mehr aus dem Gefühle der Schicklichkeit als aus Angst vor der erzürnten Frau.

„Leben Sie wohl!“ sagte er zu Frau Hösli und küßte ihr mit einem Ausdrucke liebevoller Ehrfurcht die Hand. Wieder traf ihn ein Blick des Unwillens von seiner Mutter. Aber zugleich verneigte sie sich tief vor Frau Hösli, duldete, daß Herr Hösli nochmals ihre Finger an seine Lippen führte, und wünschte Beiden ein recht ungetrübtes Wiedersehen mit ihrem Herrn Sohne. Als sie das Zimmer verlassen wollte, wurde sie noch einmal aufgehalten, denn die frohe Kunde von der Rückkehr des Erstgeborenen hatte auch die Großeltern aufgestöbert und aus ihrer Wohnung im oberen Stockwerke heruntergelockt. Die Eltern Hösli’s waren Schweizer vom echten alten Schlage geblieben. Herr Hösli senior, Oberbürgermeister von Zürich, war ein Greis von nahezu achtzig Jahren, aber so frisch und rüstig wie ein angehender Sechziger. Seine dichten weißen Haare standen widerspenstig und kraus in die Höhe, sein scharfer adlerartiger Blick bekundete geistige Regsamkeit und Energie. Er glich seinem Sohne, nur war die Nase etwas mehr gebogen und er trug keinen Bart. Aber auch er hatte das charakteristische Grübchen im Kinn, das durch die herabhängenden Mundwinkel noch tiefer erschien und selbst dem hochbetagten Herrn noch einen schelmischen Zug gab, der ihm sehr gut stand. Er rauchte aus einem kleinen Porcellanpfeifchen einen herzlich schlechten Tabak, und selbst diesen mäßigen Genuß gönnte er sich nur Sonntags – die ganze Woche hindurch wäre es zu theuer gewesen. Er trug einen groben altmodischen Rock und eine Tuchweste, von der er den Leuten gern erzählte, daß sie aus dem Frack zugerichtet sei, in dem er vor fünfunddreißig Jahren sein Amt als Oberbürgermeister von Zürich angetreten habe. Aus der Rocktasche hing ein rothes baumwollenes Schnupftuch; Herr Hösli hatte sich noch nie den Luxus eines Foulards erlaubt, obgleich er der größte Seidenfabrikant Zürichs war, ehe er das Geschäft seinem Sohne übergeben.

Frau Hösli war das würdige Seitenstück ihres Gatten. Klein und mager, mit einem weißen, glatt anliegenden Häubchen und einer schwarzseidenen Schürze war sie das Bild einer einfachen Bürgersfrau, und bei aller Freundlichkeit und Mühe, die sie sich gab, gelang es ihr doch nicht, sich Adelheid verständlich zu machen, denn ihre Sprache war so ausschließliches „Züribieter“ Deutsch, daß es Adelheid vorkam, als spräche sie hebräisch. Es war schade, daß Adelheid sie nicht verstand, denn die Miene der alten Frau weissagte eine Menge guter wohlgemeinter Dinge, die in der undeutlichen rauhen Form wirkungslos an der verstimmten Adelheid abprallten und ihres Zwecks verfehlten, und nachdem auch der alte Herr Hösli seinerseits mit nicht besserem Erfolg versucht hatte, die Frau Baronin seines Respectes zu versichern, wobei er jedoch – leider! – vergaß, die Pfeife wegzulegen, gelangte Adelheid endlich in’s Freie.

Raschen Schrittes, als würde sie gejagt, eilte sie ihrem Hause zu, so daß Alfred kaum folgen konnte und hinterdrein hinkte.

„Eine schöne Frau,“ sagten Hösli Vater und Sohn zu einander, als sie den Rücken gewandt; „schade, daß sie so hochmüthig ist, man kann keine Nachbarschaft mit ihr halten.“

„Was sollen wir auch mit diesen vornehmen Müßiggängern?“ meinte Frau Hösli die jüngere; „wir haben ja kein gemeinsames Interesse. Diese deutschen Frauen verlieren sich in lauter Kleinlichem und haben für nichts Allgemeines Sinn. Man kann bei ihnen nichts lernen. Und nun gar diese Saltens! Was thun sie, wozu sind sie auf der Welt? Treiben sie irgend etwas Nützliches, eine Wissenschaft, ein Gewerbe, oder bekleiden sie ein Amt? Nichts gar nichts! Was sollen wir also mit diesen Leuten? Unthätige Menschen haben immer Langeweile und wollen von Anderen unterhalten sein; sollen wir unsere Zeit damit verderben, ihnen die ihrige zu vertreiben? Mich jammert nur der arme Alfred; um seinetwillen kann ich es nicht über mich gewinnen, den Verkehr mit ihnen abzubrechen. Der Kleine hätte ja gar keine Lebensfreude, wenn er nicht hie und da bei uns aufthaute, und es ist ein so liebes begabtes Kind.“

Sie ergriff den Arm ihres Mannes. „Aber nun genug von den Fremden! Wir wollen darauf denken, was für einen Empfang wir unserm Heiri bereiten, wenn er morgen das Elternhaus betritt.“

(Fortsetzung folgt.)




Ein Denkmal für das „treue deutsche Gewissen“.

Der alte Arndt soll auch auf seinem Kreidefels, auf seiner Heimathinsel Rügen ein Denkmal erhalten! Zur Ausführung dieses Wunsches ist ein Ausschuß von patriotischen Männern zusammengetreten, welche dieses Unternehmen dankbarer Vaterlandsliebe schon vor Arndt’s hundertjährigem Geburtstag der Nation an’s Herz gelegt haben und nun ihre Aufforderung wiederholen.

Wer und was der alte Arndt gewesen, das weiß heute in Deutschland Gottlob schon das Kind in der Schule. Es ist uns

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_068.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)