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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

von schwarzem Marmor auf einem entsprechenden Piedestal, die den Mittelpunkt der Einrichtung bildete und einen Riesenstrauß der schönsten Blumen barg. Alfred näherte sich der Vase und sog neugierig den Duft der herrlichen Rosen ein.

„Stecke die Nase nicht so tief in das Bouquet,“ wehrte Adelheid und war im Begriff, ihm eine Vorlesung über die Schädlichkeit des Blumengeruchs zu halten, wurde jedoch durch den Eintritt der Frau Hösli unterbrochen.

Die Damen begrüßten sich gegenseitig, Frau Hösli durch ein leichtes Kopfnicken, Frau von Salten durch eine nach hinten gezogene Hofreverenz.

Frau Hösli sah keineswegs aus, wie man sich eine Millionärin denkt, was sie doch erwiesenermaßen war. Sie trug ein einfaches Kleid von roher Seide mit Fransen von gleicher Farbe. Es hing in weiten Falten an ihr nieder. Der Begriff Taille schien nicht für sie zu existiren, denn die lockere Jacke war nur um die Hüften mit einem Gürtel gehalten. Alles an ihr war bequem und verrieth einen gänzlichen Mangel an Eitelkeit und Großthuerei. Schmuck trug sie keinen. Ein schmaler weißer Kragen war mit einer geschnitzten Elfenbeinnadel zugesteckt und die Manschetten durch dazu passende Elfenbeinknöpfe geschlossen. Ihre Haare waren schlicht gescheitelt und hinten in einen Knoten gewunden. Ihre Gestalt von mittlerer Größe war etwas beleibt, doch nicht ohne eine gewisse nachlässige Grazie. Die Bewegungen ihres schlanken Kopfes und ihrer tadellosen schönen Hände zeigten Energie und eine jugendliche Elasticität, die es glaublich machte, daß die untersetzte Frau als eine gewandte Reiterin bekannt war und schwimmen konnte wie eine Amphibie. Es ging auch eine erquickliche Kühle von ihrem ganzen Wesen aus, als käme sie soeben aus frischem Wasser. Ihre Hautfarbe war rein und durchsichtig, ihre Augen hell und bläulichgrün, aber sie hatten keinen falschen Blick, wie gewöhnlich Augen von dieser Farbe, sie waren groß, ruhig, klar wie stille Seen, in deren Spiegel grüne Ufer und blauer Himmel ineinanderfließen. Es war etwas in ihr, was beständig an das reine, reinigende Element des Wassers gemahnte, als wäre nie ein Stäubchen dieser Erde an ihr haften geblieben, das nicht durch Fluthen von ihr abgespült worden. Dabei hatte sie aber nichts Schwankendes, Verschwimmendes mit dem Element gemein, das ihr so heimisch war; wie biegsam auch ihre weichen Glieder sein mochten, in sich selbst war sie haltvoll, fest, unverrückbar. Das lehrte ein einziger Blick auf sie und das fühlte Adelheid mit einer Art von Neid als etwas, das der geringeren Frau ein Uebergewicht über sie gab und sie demüthigte. An dieser Frau war alles so flecken- und makellos, Leib und Seele! Sie war so kalt, so unberührt von Allem, was an Adelheid’s Leben und Jugendblüthe zerrte und fraß – sie war reich, gesund und vorwurfsfrei, das war alles unverkennbar, die Glückliche! Und Adelheid, was war sie? Sie richtete sich mit Anstrengung in sich selbst auf: sie war vornehm!

„Wollen Sie Platz nehmen?“ Frau Hösli deutete auf einen der Divans. „Wie geht es Ihnen, Alfred?“ fragte sie den Knaben, der schüchtern ihre dargebotene Hand ergriff. „Setzen Sie sich zu uns.“

„Ist Aennchen nicht zu Hause?“ flüsterte Alfred verlegen.

„O ja, aber –“ Frau Hösli blickte auf Adelheid, „sie taugt wohl nicht zu Ihrer Spielgefährtin, lieber Alfred.“

„Gnädige Frau!“ sagte Adelheid mit Ueberwindung, sie konnte sie doch unmöglich Frau Hösli nennen! „Ich bin gekommen, um ein bedauerliches Mißverständniß aufzuklären von dem ich kaum weiß, wie es entstanden!“ Sie erklärte nun in sehr beredten Worten, daß Alfred’s Aussehen an diesem Morgen sie erschreckt und wie sie in diesem Schrecken Aennchen gebeten habe, ein andermal zu kommen, daß sie aber untröstlich wäre, wenn Alfred diesen charmanten Umgang einbüßen sollte. Sie schloß endlich mit der Bitte, Frau Hösli möge Alfred gestatten, seine liebe kleine Freundin aufzusuchen.

Frau Hösli hatte diese Entschuldigung mit großer Ruhe aufgenommen. „Es ist mir lieb,“ sagte sie einfach, „daß nicht irgend eine Unart Aennchens die Ursache war, um derentwillen Sie das Kind heimschickten. Und ich bitte, machen Sie es nur wieder so, wenn Aennchen Ihnen lästig wird. Ich gestehe gern, daß, wer immer das Glück hatte, so gesunde Kinder zu besitzen wie ich, sich kaum denken kann, welcher Schonung oft ein kränkliches Kind bedarf! Ich finde zwar, je mehr ein Kind seine Kräfte gebraucht, desto stärker wird es – doch das mag bei Alfred etwas Anders sein, und Sie werden das besser beurtheilen können als ich.“

„O glauben Sie mir,“ betheuerte Adelheid, „die Erhaltung dieses Kindes erfordert ein Studium, dem ich mein ganzes Leben widme.“

„Sie befehlen also, daß ich Aenny rufe?“ brach Frau Hösli ab, denn sie fand es entsetzlich, daß in Gegenwart Alfred’s so der Gefahr erwähnt wurde, in der sein Leben schwebte. Sie drückte dreimal am Knopf einer elektrischen Klingel. Der Neger erschien unter der braunen Portiere der Eingangsthür. „Frank,“ sprach sie auf Englisch „Mademoiselle Düchène soll Aenny bringen.“

Frank entfernte sich stumm. Er suchte Aenny im Garten auf, wo sie mit einer französischen und einer deutschen Erzieherin Reif spielte. Er richtete seinen Auftrag gewissenhaft aus, aber Aenny wollte nicht von Fräulein Düchène gebracht sein, sondern auf Frank’s Schultern reiten. Alles Reden half nichts, Frank, der liebe, der herzige Frank, mußte sie tragen. Sie war an ihm in die Höhe geklettert und arbeitete mit Händen und Füßen, um Frank in Bewegung zu setzen, bis er endlich in einen wilden Galopp verfiel. Denn es gab für den Schwarzen keinen andern Willen, als den Aenny’s. „Our child would so“, war seine Entschuldigung für jegliche Tollheit, die Aenny mit seiner Hülfe anstellte. Frank ließ das Leben für seine Herrschaft, aber „unserem Kinde“ einen Wunsch abzuschlagen, das ging über seine Kräfte, das durfte man nicht von ihm verlangen. So trabte er denn mit seinen einwärts gekehrten flachen Füßen durch den Garten, Aenny jauchzte und schrie und hielt sich in Frank’s krausen Locken fest, denn das ungestüme Pferd stieß fürchterlich. Die Gouvernanten eilten in Verzweiflung hinterdrein, und so kam der abenteuerliche Zug zum größten Entsetzen der Frau von Salten vor der Glasthür in Sicht. Der Schwarze hielt an, als er sah, daß er vom Zimmer aus bemerkt wurde, und lud die sich sträubende Aenny ab, seine Miene wurde plötzlich amtsmäßig ernst und seine Haltung so stramm, als hätte er einen Ladestock im Rücken. Dann schritt er mit dem seiner Race eigenen löwenartigen Anstand voraus und öffnete Aenny die Thür, um sie eintreten zu lassen.

„Guten Tag,“ sagte Aenny mit einem etwas schnippischen Knix zu Adelheid und ließ sich nur mit Widerstreben von ihr herbeiziehen. „Wozu küssen Sie mich, Sie können mich ja doch nicht leiden,“ sagte das schreckliche Kind und wischte sich den herablassenden Kuß, der ihm aufgezwungen, ungenirt wieder ab.

„Aenny!“ sagte Frau Hösli streng, „wenn Du so ungezogen bist, dann ist es nur in der Ordnung, daß Frau von Salten Dich nicht leiden kann.“

Da trat Alfred schüchtern wie immer auf Frau Hösli zu und sagte: „Bitte, verzeihen Sie Aennchen, es hat ja ganz Recht, wenn es aufrichtig ist. Sie werden es doch nicht strafen wollen, weil es nicht unwahr sein will?“

Auf diese einfachen Worte des Knaben ließ sich für den Augenblick freilich nichts erwidern, und Aennchen schnitt jede Erörterung einfach ab, indem sie ihre Aermchen um Alfred schlang und rief: „Du guter Alfred, Du braver Bub’, das ist schön von Dir, daß Du zu mir hältst. Du bist gar nicht so dumm, ich sagt’s ja immer. Nun komm nur, ich muß Dir was zeigen, meine Brüder bauen eine Festung hinten am Schänzli und heute Abend stürmen wir sie und werfen Raketen hinein und zuletzt wird sie mit Pulver in die Luft gesprengt, o das wird ein Tag!“

„Aber das ist ja lebensgefährlich!“ meinte Alfred erschrocken.

„Aha, läßt’s Dich schon wieder mit der Courage im Stich?“ lachte Aennchen, „na sei nur ruhig, es geht ja noch nicht los.“

„Aenny, schweig’ jetzt und führe Deinen Freund in den Garten,“ befahl Frau Hösli, und zu den Gouvernanten sprach sie mit unverkennbarer Betonung: „Ich hoffe, die Damen werden Aenny’s Betragen gegen den jungen Herrn streng überwachen.“

„Wir werden thun, was wir können!“ betheuerten diese und machten einen Versuch, Aennchen vorläufig bei der Hand zu nehmen.

Diese aber entwischte ihnen und war kaum draußen, als sie auch schon wieder umkehrte und auf Englisch hereinschrie: „Aber Mama, nicht wahr, Frank darf mitspielen, es ist ja heute Sonntag?“

„Wenn Frau von Salten nichts dagegen hat?“ sagte Frau Hösli.

„O durchaus nichts,“ betheuerte Adelheid, der Alles, was sie gesehen und gehört, den Angstschweiß auf die weiß getünchte Stirn trieb. Sie hatte ein Gefühl, als müsse sie ihr Kleid zusammennehmen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_066.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2021)